Morgens ein Glas Schampus
Eigentlich sind immer alle berauscht. Egal, wohin man schaut: die urbanen Männer und Frauen in Mad Men oder Dallas, die morgens, nach der Anreise aus dem Vorort, ihre erste Amtshandlung mit einem braunen oder weißen Schuss aus der Kristallkaraffe begießen. Die Gäste der ausufernden Partys, die der namengebende Millionär in Der große Gatsby in seinem Palast auf Long Island schmeißt. Der Außerirdische E. T. und sein menschlicher Busenfreund Elliott, die zum ersten Mal Bier probieren. Humphrey Bogart in Casablanca, der an der Theke darüber sinniert, wieso die fatale Frau ausgerechnet in „seinen Gin Joint“ hereinspaziert. Cary Grant alias Roger Thornhill, der in North by Northwest erst abgefüllt und dann hinter das Steuer seines Autos geklemmt wird. Die Teilnehmerinnen der Hen Party in Paul Feigs Brautalarm und in Alireza Golafshans liebevoller Junggesellinnenabschieds-Komödie JGA, die Männer in Hangover, die feierwütigen Spring Breakers auf Harmony Korines gleichnamigem verstörend-misogynem Partytrip. Marilyn Monroe in Some Like It Hot sowieso – bekanntlich nicht nur auf der Leinwand.
Trailer JGA: Jasmin. Gina. Anna. (Leonine Studios, 04.02.2022)
Rausch, egal ob durch Alkohol, Marihuana oder Pillen, ist ein Bewusstseinszustand, der sich auf Leinwänden und Bildschirmen hervorragend vermitteln und als Handlungstreiber einsetzen lässt: Wer berauscht ist, der darf – je nach Geschichte – die Umstehenden zum Handeln zwingen, sich aufführen wie ein Idiot, er kann leiden, quasseln, feiern, lallen, die Wahrheit sagen – oder einfach wegdämmern und das Wichtigste verpassen.
Fiktionale Rausch-Darstellungen fallen darum in verschiedene Kategorien: Es gibt den guten Rausch, den schlechten und den unauffälligen, unmerkbaren. Letzterer ist ambivalent, denn er kann in filmischen Narrativen je nach Intention als Charakterschwäche oder ‑stärke eingesetzt werden: James Bond litt bislang trotz unermüdlichen Wodka- und Vesper-Martini-Konsums weder je an einem Kater, noch pennte er bei einem seiner nächtlichen Observationsjobs ein. Die Konsequenzen eines Rausches durch dementsprechendes Verhalten zu demonstrieren, würde dem superioren Agenten schaden – in der klassischen, nicht authentischen US-Erzählung, die die alkohol- und drogendurchwirkte Geschichte des Landes spiegelt, vertragen echte Männer von Natur aus so viel, dass sich der Rauschzustand bei ihnen ohnehin nie offenbart, von der Anerkennung oder Problematisierung eines Suchtverhaltens ganz zu schweigen.
Für Heldinnen gilt das Gleiche – gerade in US-amerikanischen Unterhaltungsserien trinken Freundinnen erstaunliche Mengen, um am nächsten Morgen frisch (geföhnt) und ausgeruht zu erwachen; ihr Konsum wird als ungefährlicher Witz belächelt (wie bei Penny in The Big Bang Theory) oder als Teil der Sitcom-Prämisse akzeptiert (wie in Cougar Town).
Trailer Brautalarm (Universal Pictures, 23.05.2011)
Stetes Pegeltrinken ohne sichtbaren Rauschzustand kann allerdings auch einen getriebenen Charakter mit vielen Schwächen symbolisieren – bei Don Draper, dem latent unzufriedenen Protagonisten aus Mad Men, steht es für die Brüche in seiner Seele und seiner Vergangenheit, zuweilen wird sein Dauer-Rauschzustand stark thematisiert und als Problem anerkannt: Nachdem er sich bei einer Preisverleihung sogar für seine Begriffe stark betrunken hat, verkauft der Werbeexperte in einer Episode der vierten Staffel einen Slogan, der nicht von ihm stammt, und muss mit den unangenehmen Konsequenzen leben. Später geht er auf einen „Trink-Binge“ mit diversen Filmrissen und verschläft bzw. versäuft die Termine mit seinen Kindern.
Und sogar in And Just Like That …, dem Sequel zu Sex and the City, hat das permanente Cosmopolitan-Stürzen zumindest für eine der Beteiligten ein Ende: Miranda, gespielt von Cynthia Nixon, stellte sich in der ersten Staffel als heimliche Alkoholikerin heraus. Im Gegensatz zu ihren Freundinnen, die noch immer beeindruckende Mengen konsumieren und sich dabei kaum etwas anmerken lassen, muss sie seitdem vor dem Wasserglas hocken – ganz gemäß des durch Suchttherapien etablierten Mottos, dass man abhängig bleibt, selbst wenn man nicht mehr trinkt.
Beim „guten Rausch“, der sichtbar inszeniert wird und immer wieder als kleiner Gag in Partyszenen auftaucht, lassen die Betroffenen zwar durchaus Federn, torkeln durch die Gegend, tanzen wie wild, singen Karaoke oder faseln von psychedelischen Eindrücken. Doch das damit evozierte Gefühl ist harmlose Belustigung – und nicht Sorge: Jeder und jede kann, darf und sollte schließlich mal über die viel zitierten Stränge schlagen. Steven Soderbergh bringt den sorglosen Umgang mit dem in einem gewissen Alter sogar erwarteten Rausch auf den Punkt, wenn er in Magic Mike ein paar junge Frauen einen 21. Geburtstag und damit den Eintritt ins legale Trink-Alter feiern lässt. Die Frauen stoßen in einer Bar auf Mike an, gespielt von Channing Tatum, der ihnen hilft, etwas zu trinken zu bestellen, und den Verlauf des Abends für sie zusammenfasst: „Sie wird 21, wenn ich das richtig sehe? Und warum hängt sie dann nicht kotzend über dem Klo?“ Die Frauen sind von Mikes Charme begeistert.
Trailer Magic Mike (Warner Bros. Pictures, 21.04.2012)
Der sichtbare „schlechte Rausch“ dagegen geht mit all der Macht darin innewohnender Katastrophen einher. Und ist der stärkste, weil realistischste Handlungstreiber: Betrunkene Männer sind gewalttätig und bringen die Figuren um sie herum zum Agieren, betrunkene Frauen (etwa Girl on the Train) sind dagegen bemitleidenswert, abstoßend oder unglaubhaft – zudem je nach Betäubungsgrad leichte Opfer für Missbrauch. Filme wie The Lost Weekend, Barfly, Leaving Las Vegas oder das Heroindrama The Basketball Diaries (mit dem jungen Leonardo DiCaprio) inszenieren kaputte, selbstzerstörerische Helden, mit denen man im besten Falle mitfühlt, sie aber weder amüsant findet, noch um ihre Erfahrungen beneidet.
Ambivalent geht auch Thomas Vinterberg in Der Rausch mit Klischees und einem typisch skandinavischen, oft verharmlosenden Konsumverhalten um: Seine bürgerlichen Protagonisten entscheiden sich bewusst (und aufgrund einer für den Film erfundenen psychologischen These) für den Alkohol – und sind fortan permanent leicht berauscht. Im Gegensatz zum beliebten Zitat von Harald Juhnke, der sich zu Tode getrunken hat, haben sie somit zwar leicht einen sitzen, aber leider doch noch jede Menge Termine.
Der Aufgabe, das „normale“ Leben ohne Rausch auszuhalten (und sich – wenn überhaupt – nur bei speziellen Gelegenheiten in einen giftinduzierten Rausch zu begeben), kommen sie darum genauso wenig nach wie Marilyn Monroe, die mit der Aussage zitiert wird, sie gehe mit „ein paar Tropfen Chanel N° 5 ins Bett“ und stehe „mit einem Glas Piper-Heidsieck auf“ – die früh nach langjährigem Drogen- und Medikamentenmissbrauch verstorbene Schauspielerin gehörte zu den gefährdeten, weil größtenteils heimlichen Rauschanhänger:innen, deren mit einem gewissen Augenzwinkern betrachteter Eskapismus schlichtweg banales Suchtverhalten darstellte.
Trailer Some Like it Hot (Rotten Tomatoes Classic Trailers, 02.09.2011)
Allen filmisch-fiktionalen Rauschdarstellungen, egal ob durch legale (wie Alkohol) oder illegale Drogen verursacht, ist übrigens eines gemein: Den echten körperlichen Erlebnissen ist das Medium nicht gewachsen. Kein Film über einen Junkie, eine Kifferin oder ein paar Säufer:innen kann je das wiedergeben, was die Drogen selbst auslösen können. Regisseur:innen versuchen es trotzdem immer wieder – durch verschwommene Optik oder wackelige Kameraführung, durch psychedelische Musik, wilde Montage-Collagen oder Halluzinationsbilder. Dennoch hat noch niemand tatsächlich körperlich „berauscht“ eine Filmvorführung verlassen, einen Kater oder Entzugserscheinungen gibt es auch nicht wirklich. Insofern ist der Filmrausch doch das Gesündeste, was man sich antun kann. Und legal ist es – meistens – auch.