Nachrichtenvermeidung

Immer mehr Menschen verweigern sich Informationsmedien

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Immer mehr Menschen fühlen sie sich durch die Vielzahl an Schreckensmeldungen und Katastrophennachrichten psychisch belastet. Die Folge: Sie kehren Nachrichtenangeboten zunehmend den Rücken.

Online seit 28.09.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/nachrichtenvermeidung-beitrag-1122/

 

 

In Nachrichtensendungen, durch Info-Magazine, aber auch über die sozialen Netzwerke erhalten wir ständig Informationen über Ereignisse aus aller Welt. Im Mittelpunkt stehen dabei in der Regel negative, belastende Nachrichten: Verbrechen, Unfälle, Kriege, Katastrophen oder der Klimawandel. Viele Menschen wollen zwar gut über das Weltgeschehen informiert sein, aber ist das wirklich immer von Vorteil? Erzeugen die vielen „Horrormeldungen“ nicht auch ein negatives Lebensgefühl oder gar die Angst, eines Tages selbst zum Opfer zu werden? Helfen uns diese belastenden Informationen überhaupt bei der Bewältigung unseres eigenen Lebens?

Immer mehr Menschen wollen inzwischen gar nicht mehr so genau wissen, was in der Welt geschieht, und gehen den medialen Negativmeldungen bewusst aus dem Weg. „Eine aktuelle Repräsentativstudie des VOCER Instituts für Digitale Resilienz stellt ‚alarmierende Symptome eines psychischen Unwohlseins‘ durch die Mediennutzung fest. Eines der zentralen Ergebnisse der Studie: Viele Menschen zeigen im Zusammenhang mit ihrem digitalen Medienhandeln ernste Symptome von Überforderung und Stress. Die Ergebnisse zeigen aber auch: Angesichts eines zunehmenden sozialen und medialen Drucks in Krisenzeiten suchen Betroffene gezielt nach Ausgleichsmöglichkeiten. Der Bedarf an digitalen Resilienzstrategien hat stark zugenommen.“ (Weichert 2022)

Die Folge: Für viele Menschen fühlt sich die Welt an, als wäre sie in einem permanenten Ausnahmezustand. Bankenkrisen, Bürgerkriege, die Coronapandemie, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, die daraus folgende Energiekrise und die weiter steigende Inflation – die Massierung negativer Fakten überfordert immer mehr Menschen und „führt zu so etwas wie eine Nachrichten-Müdigkeit“, so Stephan Weichert, Medienwissenschaftler beim VOCER-Institut und Co-Autor der Studie (Gimmler 2022).

Das sogenannte Doomscrolling, also das Bedürfnis, im Internet exzessiv nach negativen Informationen zu suchen, führt in eine gesundheitsschädliche Abwärtsspirale. 60 % der Menschen, so die Studie, empfinden beim Surfen negative Gefühle, die zu einer ernsthaften psychischen Belastung werden können. Die Betroffenen sehen oft nur noch einen Ausweg: Der Nachrichtenkonsum wird stark eingeschränkt, man geht Informationen zunehmend aus dem Weg. Die Coronapandemie mit immer neuen Schreckensmeldungen und der Ukraine-Krieg haben zu einer erheblichen Reduzierung der Nutzung von Nachrichtenangeboten beigetragen. Vor allem die 19- bis 29-Jährigen haben sich dabei von den Nachrichten in den sozialen Netzwerken abgewandt. Für sie heißt die Lösung: abschalten.

Die Verweigerung betrifft dabei weniger die journalistischen Angebote, die als zuverlässig und in ihrer Darstellungsform gemäßigt gelten. Stärker betroffen sind dagegen die Sozialen Medien. Was für ein paar Tage erholsam sein mag, könnte aber dazu führen, dass sich diese Menschen komplett und dauerhaft vom Weltgeschehen abwenden. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass uns in Zukunft keine Krisen und Katastrophen bevorstehen.

Vielfach wird nun gefordert, dass die Medien sich weniger auf die Nachrichten konzentrieren sollen, die zu dieser Überforderung und Nachrichtenverweigerung führen. Aber das ist nicht so einfach. Schließlich soll und muss Journalismus die ganze Bandbreite der Nachrichtenlage abbilden. Die Frage ist deshalb eher, ob man den Rezipient*innen Methoden vermitteln kann, die ihnen helfen, die negativen Nachrichten besser zu verarbeiten und zu ertragen. „,Wir haben mehr Stressoren digitaler Natur‘, bestätigt auch Roland Gimmler vom Institut für Kommunikationspsychologie und Medienpädagogik der Universität Landau. Das hänge auch mit dem veränderten Nutzerverhalten, von stationärer zu mobiler Mediennutzung, zusammen.“ (Gimmler 2022)

Gimmler hält es durchaus für sinnvoll, „zwischendurch einfach mal auszusteigen […]. ,Aus der klinischen Sichtweise, aus der therapeutischen braucht es zwischendurch immer mal wieder so etwas wie ein Retreat oder eine Diät, mal zu gucken: Wer bin ich eigentlich? Was will ich wirklich? Muss ich mich verrückt machen lassen? Was sind eigentlich meine Bedürfnisse?‘ Es gehe um Selbstregulierung und Selbstbestimmtheit, darum, zu überprüfen, ob nicht die eigenen Mediennutzungsmuster in irgendeiner Form so einen dysfunktionalen Spin bekämen, rät der Kommunikationspsychologe.“ (Ebd.)

Allerdings ist das Wissen über die Welt nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Weltgemeinschaft insgesamt von großer Bedeutung. Was die Mehrheit der Menschen denkt, hat vor allem in Demokratien starken Einfluss auf die Politik. In den sozialen Medien geht es aber vor allem darum, mit besonders beklemmenden Nachrichten in der Masse der Angebote Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dabei wäre es wichtig, Möglichkeiten der Verarbeitung aufzuzeigen, beispielsweise in Form der Erörterung von Konfliktlösungspotenzialen. (Vgl. Fink 2017, S. 9) Das gilt auch und gerade für den klassischen Journalismus. Schreckensmeldungen quantitativ einzuordnen, wäre ein weiterer entlastender Schritt. Denn auch wenn die Medien voll von schwer erträglichen Nachrichten sind, ist die Wahrscheinlichkeit für die Rezipient*innen, Opfer von Gewalttaten oder Katastrophen zu werden, relativ gering: Deutschland ist, mancher mag es kaum glauben, vergleichsweise sicher: „Die Anzahl der registrierten Straftaten in Deutschland ist im Jahr 2021 im Vergleich zu den Vorjahren gesunken. Laut Kriminalstatistik des BKA wurden im Jahr 2021 rund 5,05 Millionen Straftaten erfasst. So wenige registrierte Straftaten gab es zuletzt Anfang der 90er-Jahre.“ (Statista 2022)

Vor diesem Hintergrund wird seit Längerem ein neuer Journalismus gefordert: „Ein bewusst positiver Journalismus, der […]  ausdrücklich auf das Positive fokussiert, wäre ein vollkommen anderer Ansatz, der zu einer völlig neuen Wahrnehmung der Medien führen und womöglich zu einer Lösung der vom kostenfreien Internet indizierten Medienkrise würde. In den englischsprachigen Medien finden sich bereits Beispiele, etwa die Good-News-Section von ABC news, der Huffington Post und zahlreicher weiterer Medien.“ (Fink 2017, S. 8)

Die entscheidende Frage wird letztlich sein, ob die Inhalte eines positiven Journalismus den Bedingungen des Nachrichtenmarkts gerecht werden können: Negative Schlagzeilen sind – noch – schlicht verkaufsfördernder. Den Trend zur Nachrichtenverweigerung zu brechen oder gar umzukehren, dürfte so schwierig werden.
 

Quellen:

Fink, C.: Positiver Journalismus – einführende Gedanken. In: Deutscher Fachjournalisten-Verband (Hrsg.): Positiver Journalismus. Köln 2017, S. 7 – 17

Gimmler, R.: Abwendung von sozialen Medien. Informationsflut überfordert jüngere Menschen. Roland Gimmler im Gespräch mit Martin Böttcher und Vera Linß. In: Breitband, Deutschlandfunk Kultur, 23.07.2022. Abrufbar unter: www.deutschlandfunkkultur.de (letzter Zugriff: 28.09.2022)

Statista: Statistiken und Daten zur Kriminalität. In: Statista Research Department, 04.08.2022. Abrufbar unter: statista.com (letzter Zugriff: 28.09.2022)

Weichert, S.: Mehr Widerstandskraft im Digitalen. In: VOCER – Institut für Digitale Resilienz, 12.09.2022. Abrufbar unter: digitale-resilienz.org (letzter Zugriff: 28.09.2022)