Provokante Machtspiele

„The Idol“ ist eine Serie über den Wiederaufstieg und die Rückfälle des Popstars Jocelyn

Marco Wietzorek

Marco Wietzorek studierte Digitale Medienkultur an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Er arbeitete als Redakteur, Formatentwickler und später als freier Autor für Podcasts. Seit 2023 unterstützt er die FSF-Geschäftsstelle in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Programm The Idol
 Drama, USA 2022
SenderSky, ab 05.06.2023

Online seit 28.07.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/provokante-machtspiele-beitrag-1124/

 

 

In einer schillernden und klebrigen Welt, in der der Wunsch nach Ruhm und Geld der größte Antrieb ist, erzählt Regisseur und Co-Autor Sam Levinson eine skandalöse Geschichte mit skandalträchtigem Blick.

Die aufstrebende Pop-Ikone Jocelyn, gespielt von Lily-Rose Depp, hatte einen Nervenzusammenbruch. Ihre letzte Tour wurde abgesagt, die Karten zurückerstattet. Nach ihrem psychischen Breakdown bemühen sich Jocelyns zynische und unterhaltsame Berater:innen, sie schnellstmöglich zurück ins Rampenlicht zu bringen. Doch Clubbesitzer und Menschenfänger Tedros – gespielt von Abel „The Weeknd“ Tesfaye – macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Jocelyn verfällt dem charismatischen Selbsthilfe-Guru („You should having way more fun“) und was folgt, ist eine Geschichte über Machtspiele und Selbstermächtigung in einem palastartigen Anwesen voller Drogen, Sex, Gewalt und deren Missbrauch.
 

Trailer The Idol (Sky Deutschland, 19.06.2023)



The Idol besticht durch eine erstklassige visuelle Umsetzung, die sowohl auf die herausragende Kameraarbeit von Arseni Khachaturan als auch auf eine Reihe spektakulärer Outfits der talentierten Kostümdesignerin Natasha Newman-Thomas zurückzuführen ist. So manch längere Einstellung referenziert die melancholisch-traurige Stimmung früherer Lana-del-Rey-Musikvideos.

Nichtsdestotrotz wurde die Serie schon kurz nach der Premiere in Cannes kontrovers diskutiert. An dem spannenden und interessant gezeichneten Nebencast liegt das nicht. Izaak (Moses Sumney), Xander (Troye Sivan), Leia (Rachel Sennott), Chloe (Suzanna Son), Destiny (Da’Vine Joy Randolph) und Chaim (Hank Azaria) liefern alle sehenswerte individuelle Leistungen ab. Vielmehr liegt der Hund in den Nebengeräuschen der Produktion und den wahrscheinlich daraus resultierenden Konsequenzen begraben: Die ursprüngliche Regisseurin und Co-Autorin Amy Seimetz wurde entlassen. Angeblich, weil es Co-Producer, Co-Autor und gleichzeitig Protagonist Abel Tesfaye nicht passte, dass die Serie unter ihrer Leitung zu sehr die „weibliche Perspektive“ einnehme. Ersetzt wurde Seimetz durch Sam Levinson, der schon für seine schonungslose Darstellung der Sex- und Drogeneskapaden junger Antiheld:innen in seiner Teenager-Dramaserie Euphoria gleichermaßen gefeiert wie scharf kritisiert wurde.
 


Freigegeben ab …
 

Der FSF lagen die Episoden 1 und 2 zur Prüfung vor. Nachfolgend wird nur auf deren Bewertung Bezug genommen.

The Idol erzählt von Problemen, denen in der Musikbranche wohl viele, vor allem weibliche Personen, ausgesetzt sind: von Sexualisierung und Objektifizierung bei gleichzeitigem „Slut-Shaming“. Dies jedoch aus keiner weiblichen Perspektive, sondern aus einer sehr männlichen.

Die Bildsprache der ersten Episoden hat auffällige voyeuristische Tendenzen. Sie lebt von einer starken Sexualisierung, was einen möglichen kritischen Unterton überdeckt. Das vermittelte Bild von Sexualität und Geschlechterrollen, welches durchaus bildgewaltig und wirkmächtig entworfen wird, wurde für 16-Jährige, die bereits über einen gewissen sexuellen Erfahrungshorizont und ein recht gefestigtes Wertesystem verfügen, nicht als überfordernd bewertet. Der beiläufig und moderat dargestellte Konsum von Alkohol und Drogen erscheint aus Jugendschutzperspektive nicht übermäßig attraktiv. Auch das durchaus problematische Selbstbild der Protagonistin als „Ware“ lässt sich von älteren Jugendlichen im Kontext der Musikindustrie angemessen und kritisch einordnen, ohne dass eine Übertragung auf die eigene Lebensrealität zu befürchten wäre.

Eine weitere Komponente der ersten Episoden der Serie ist die starke Verflechtung von Sex- und Machtfantasien. Eine der sehr drastisch geäußerten Machtfantasien in der zweiten Episode wurde mit einer Schnittauflage für die Ausstrahlung im Spätabendprogramm (ab 22.00 Uhr) versehen, die ungeschnittene Fassung für das Nachtprogramm (Ausstrahlung ab 23.00 Uhr), verbunden mit einer Altersfreigabe ab 18 Jahren freigegeben. Die erste Episode erhielt die Freigabe für das Spätabendprogramm, verbunden mit einer Altersfreigabe ab 16 Jahren.

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Weiterlesen:
Sendezeiten und Altersfreigaben

Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1§ 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

Weiterlesen:
Jugendschutz bei Streamingdiensten