Zwischen Hoffnung, Grausamkeit und Dekadenz

Die Drama-Serie „Unwanted“

Marco Wietzorek

Marco Wietzorek studierte Digitale Medienkultur an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Er arbeitete als Redakteur, Formatentwickler und später als freier Autor für Podcasts. Seit 2023 unterstützt er die FSF-Geschäftsstelle in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Programm Unwanted
 Drama, D/USA/I 2022
SenderSky, ab 03.11.2023

Online seit 17.11.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/zwischen-hoffnung-grausamkeit-und-dekadenz-beitrag-1124/

 

 

Ein Luxusliner im Mittelmeer, ein tragisches Unglück und die Begegnung zweier Welten: Die Sky-Original-Serie Unwanted nimmt uns auf das Kreuzfahrtschiff Orizzonte mit. Zwischen Hoffnung, Grausamkeit und Dekadenz entfaltet sich ein packendes wie leider auch realistisches Drama über die Gewalt unweit der südlichen EU-Außengrenze.

Auf dem italienischen Luxusliner könnte das Leben so schön sein: Es gibt 15 Restaurants, ein Theater, Pools, einen Nachtclub und Meerblick. Doch schon in der ersten Nacht werden die Passagiere des Schiffes mit der Realität auf dem Mittelmeer konfrontiert. Ein Boot mit Geflüchteten erleidet Schiffbruch. Mehr als 100 Menschen ertrinken. 28 Personen können jedoch von Kapitän Arrigo (Marco Bocci) und seiner Crew gerettet werden. Die Überlebenden stehen unter Schock, sind dehydriert und von Narben übersät. Untergebracht werden sie auf einem abgelegenen Deck, um die Urlauber:innen nicht zu stören.

Es gelingt nur kurz, die Neuankömmlinge abzuschotten. Überlebende und Urlauber:innen begegnen sich und auf engstem Raum kollidieren Welten. Zwei Geflüchtete wundern sich über die bizarr anmutenden Yogaposen mit Klangschalenuntermalung und eine Urlauberin beschwert sich beim Hotelmanager, dass sie die Computerterminals zur Videotelefonie nicht nutzen könne. Diese – nun ja, wie solle sie sagen – „armen Leute“ telefonierten gerade nach Hause und das könne ja nicht sein. Es wird deutlich, dass sich niemand auf dem Schiff der neuen Situation entziehen kann.

Die Lage an Bord spitzt sich zu, und auf der Brücke der Orizzonte kommt es zwischen Kapitän Arrigo und seiner idealistischen Ersten Offizierin Edith (gespielt von Jessica Schwarz) zu einem Kräftemessen. Derweil offenbaren sich in der Gruppe der Überlebenden gefährliche Geheimnisse. Und über allem schwebt die Angst: die Angst der Geflüchteten, wieder zurück nach Libyen gebracht zu werden, und die Angst der Crew vor einem Kontrollverlust der Situation.
 

Trailer Unwanted (Sky Deutschland, 06.10.2023)



Regisseur Oliver Hirschbiegel erzählt mithilfe eindringlicher Rückblenden von den Erlebnissen der Überlebenden. Die Geschichten sind zwar fiktional ausgeschmückt, aber nicht aus der Luft gegriffen. Inspiriert sind einige Schicksale von Fabrizio Gattis tiefgehendem Reisebericht Bilal aus dem Jahr 2007. Die Serie erinnert insgesamt an ein reales Ereignis: Im Oktober 2023 befand sich das Kreuzfahrtschiff AIDAblu in einer ähnlichen Situation wie die Orizzonte, nahm im Gegensatz zu ihrer fiktiven Schwester aber keine Geflüchteten an Bord.

Parabolisch und etwas zu langsam erzählt, spiegelt die achtteilige Serie auf dem schwimmenden Luxusresort die bizarre Ambivalenz des Mittelmeeres: Die Passagiere der Orizzonte sind umgeben von Champagnergläsern, aufmerksamen Servicemitarbeiter:innen und Wasser, so weit das Auge reicht. Für viele Europäer:innen ist dies die Erfüllung eines Traumes. Für die vor Folter und Perspektivlosigkeit geflüchteten Menschen aber ist eine Fahrt auf dem Mittelmeer ein notwendiges und oft tödliches Übel.
 


Freigegeben ab …
 

Die Dramaserie greift das virulente Thema der gefährlichen Flucht über die Mittelmeerroute auf, zeigt die Schicksale und das Leid der afrikanischen Geflüchteten deutlich und vermittelt auch die sich zuspitzende Lage auf dem Schiff. Insbesondere die punktuell bedrohlichen und von Gewaltdarstellungen geprägten Sequenzen können Zuschauende ab 12 Jahren durchaus belasten und aufwühlen, eine nachhaltige Ängstigung im Sinne einer Entwicklungsbeeinträchtigung wurde jedoch nicht vermutet. Im dem kritischen, auch moralische Fragen adressierenden Kontext sind die Bilder von Flucht, Folter und Gewalt zumutbar, da sie die dramatische Situation verdeutlichen, ohne jedoch Gewalt und Gewaltfolgen spekulativ in Szene zu setzen oder übermäßig auszuspielen. Viele Dialogpassagen und ruhige Szenen an Bord des Kreuzfahrtschiffes schaffen Raum für Entlastung. Zudem ist das Setting – obgleich das Thema höchst aktuell ist – nicht direkt im Alltag von Kindern und Jugendlichen angesiedelt, was ihnen hilft, sich zu distanzieren. Die Serie bietet ihnen vielmehr die Möglichkeit, sich über die Brücke des Fiktionalen mit der Thematik auseinanderzusetzen, ohne überfordert zu werden. Der FSF lagen zwei Episoden der insgesamt acht Episoden umfassenden ersten Staffel der Serie vor.
 

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

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Sendezeiten und Altersfreigaben

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Jugendschutz bei Streamingdiensten