Social Teen TV
DRUCK und aktuelle Jugendserien
Die norwegische Fernseh- und Webserie SKAM (zu Deutsch etwa: Schande) über den Schulalltag von Teenagern in Oslo avancierte in ihrem Ausstrahlungszeitraum 2015 bis 2017 zu einem Überraschungshit und transnationalen Kultphänomen. Durch seine Onlinepräsenz, die sozialen Medien und Fanpraktiken breitete sich das Format bald über die Landesgrenzen hinweg aus. Die aktuellen Adaptionen in verschiedenen Ländern, einschließlich der deutschen Variante DRUCK auf der Contentplattform funk, stellen nur eine letzte Station jener globalen und transmedialen Erfolgsgeschichte dar.
DRUCK und SKAM bilden in weiterer Hinsicht interessante Beispiele für zeitgenössische Jugendserien: Sie entstammen beide dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das möglichst die gesamte Bevölkerung adressieren soll, aber zunehmend ein jugendliches Publikum verliert. Sie weisen auf eine innovative Distributionsstrategie jenseits etablierter, linearer Sendeplätze, aber auch jenseits des von Netflix geprägten Binge-Watching-Modells hin, die wir als „Social Teen TV“ fassen. Die spezifische Programmierung in kleinen Teilen und in „Echtzeit“ orientiert sich an sozialen Medien. An deren Integration haben sich bereits viele Fernsehproduktionen versucht. Allerdings sind soziale Medien im Fall DRUCK kein konstruiertes Beiwerk, sondern auch auf der Handlungsebene integraler Bestandteil jugendlicher Lebenswelten.
Unaufgeregt und weiblich – Jugendnarrationen in DRUCK
Trotz des Anspruchs, eine zeitgenössische, transmediale Jugendnarration jenseits bekannter Fernsehwege zu sein, knüpft DRUCK an Konventionen des Coming-of-Age-Genres an. So stehen auch in dieser deutschen Adaption die erste große Liebe, damit verbundene Hoffnungen und Zweifel, sexuelles Erwachen, die Auflehnung gegen elterliche Autoritäten und die adoleszente Identitätssuche im Vordergrund (vgl. Wegener 2011, S. 129). Hanna, auf deren Sichtweise und Handlungsmotivation sich die erste Staffel konzentriert, stellt eine für das Genre typische, sinnsuchende Figur dar: Sie hinterfragt sich selbst und ihr Verhältnis zu anderen, sucht einen ihr Sicherheit versprechenden Platz und macht im Laufe der bisherigen Handlung eine signifikante Entwicklung durch. Auf dieser Reise zur Selbsterkenntnis problematisiert sie ihre erste ernsthafte romantische Paarbeziehung, lernt, wem sie auf freundschaftlicher Ebene vertrauen kann und was sie als Person ausmacht. Speziell bei Hannas ersten partnerschaftlichen Erfahrungen verzichtet die Serie auf eine romantisch-verklärende Inszenierung.
Verknüpft mit der Zentrierung auf eine Hauptfigur je Staffel, liegt der primäre Fokus in DRUCK auf der Sichtbarmachung von universellen, mit dem Heranwachsen verbundenen Krisenmomenten und Gefühlszuständen. Sie werden alltagsnah und ohne große dramaturgische Überhöhungen geschildert. Während aktuell populäre US-amerikanische Jugendserien wie Pretty Little Liars (2010 – 2017), 13 Reasons Why (seit 2017) oder Riverdale (seit 2017) sowie auch die bisher bekannteste funk-Produktion Wishlist (seit 2016) das Erwachsenwerden als bedrohlichen Ausnahmezustand inszenieren und Coming-of-Age-Narrative mit Erzählkonventionen des Horror-, Crime- oder Thrillergenres verbinden, setzt DRUCK weniger auf Dramatisierungen und Grenzüberschreitungen. Vielmehr reicht schon eine nicht oder nur verzögert beantwortete Textnachricht aus für einen dramatischen Konflikt.
Dieser unaufgeregte, auf das Innenleben der Protagonistinnen und Protagonisten sowie deren kleinen alltäglichen Krisen konzentrierte Ansatz zeigt sich auch bei der Erzählstruktur: Geradlinig-horizontal wird eine übersichtliche Anzahl an Handlungssträngen miteinander verknüpft und auf eine begrenzte Anzahl an Handlungsorten (wie die Schule, das Jugendzimmer oder variierende Partys) gesetzt.
Verhandlung weiblicher Solidarität und Sexualität
Wenngleich der erzählerische Fokus bislang auf der Entwicklung Hannas liegt, werden über das erweiterte Figurenensemble und zusätzliche, miteinander verflochtene Handlungsstränge ganz unterschiedliche, für jugendliche Rezipierende potenziell relevante Themen aufgegriffen. Hannas neue Mitschülerin und spätere Freundin, die selbstsicher auftretende, sich progressiv gebende Mia, dient etwa dazu, weibliche Solidarität und feministische Ideale zu verhandeln. Die Präsenz der Muslima Amira in Hannas neuer Clique führt zu wiederkehrenden Auseinandersetzungen mit religiöser Identität, kultureller Vielfalt und alltäglichen Ausgrenzungserfahrungen. Daneben macht die Figur der Kiki erste, enttäuschende sexuelle Erfahrungen und hadert mit ihrem Aussehen, womit die Serie den gefühlten sozialen Druck auf Heranwachsende (und nochmals auf bestimmte Weise auf Mädchen) in einer übersexualisierten, auf Äußeres fixierten Gesellschaft darstellt. Letztlich zählt zu Hannas neuer Clique auch die Afrodeutsche Sam, die aber bisher über den Status der Sprüche klopfenden, lockeren Freundin nicht hinauskommt. Als schwarze Figur (die es in SKAM nicht gibt) erhöht sie zumindest die Diversität des Casts. DRUCK schließt so auch an die Diversitätsbestrebungen vieler zeitgenössischer US-Fernsehproduktionen an.
Das besondere Augenmerk liegt allerdings auf adoleszenter Weiblichkeit. Neben weiblicher Solidarität und Freundschaft handelt die Serie weibliche Sexualität aus – vor allem über intime Gesprächssituationen, in denen die Freundinnen offen über Themen wie Verhütung, Masturbationserfahrungen, Nacktbilder im Internet und Penisgrößen reden. So wird gerade das Sprechen über sexuelle Unsicherheiten und Vorlieben enttabuisiert und als selbstverständlicher Teil weiblicher jugendlicher Lebenswelten dargestellt.
Heranwachsen in mediatisierten Lebenswelten
Die Kommunikation von Hanna und ihren Freundinnen verläuft selbstverständlich und parallel auch über digitale soziale Medien. Die fiktionale Alltagswelt der Jugendlichen kann zweifellos als mediatisiert bezeichnet werden: Eine Interaktion mittels Onlinemedien und eine von Angesicht zu Angesicht überlappen einander. Mitunter deutet sich in diesen Darstellungen ein pädagogischer, öffentlich-rechtlicher Impetus an, beispielsweise, wenn Hanna von ihrem Handy nicht lassen kann, wohingegen die als progressiv und reflektiert gezeichnete Mia längere Zeit offline ist. Fernsehen kommt bei Hanna und ihrem Umfeld lediglich in seiner transformierten, konvergenten Variante vor: als Bildschirm für Games oder als Video-on-Demand-Angebot, dessen Rezeption auf dem Laptop vom Smartphone als Second Screen begleitet wird. Die Serie greift diese Kommunikation mittels sozialer Medien und dem Smartphone in ihrer Ästhetik auf: Die Jugendlichen filmen sich selbst und wir sehen einzelne Einstellungen aus dieser Perspektive – so als wären sie mit dem Mobiltelefon gefilmt. Immer wieder sind Textnachrichten zu lesen, die Emotionen verbalisieren. Den Einblendungen kommt so eine ähnliche Funktion wie dem Voiceover in älteren Coming-of-Age-Filmen und -Serien zu.
Einen näheren Einblick in innere, subjektive Zustände der fiktiven Figuren können die Userinnen und User auch erlangen, wenn sie der Serie über das Smartphone und in sozialen Medien folgen. Diese sind nicht nur in den dargestellten Jugend- und Mädchenwelten omnipräsent und treiben die Handlung voran, sondern werden umfassend in die Distribution eingebunden.
„Social Teen TV“ in „Echtzeit“ – die Distribution
Die hier als „Social Teen TV“ pointierte Distribution knüpft an die Darstellungen an: Posts aus der fiktionalen Handlung setzen sich auf verschiedenen sozialen Plattformen fort, wo die meisten Figuren fiktive Profile besitzen. Durch diese können neben der bisherigen Hauptfigur Hanna weitere Charaktere und insofern auch Figurenperspektiven etwaiger zukünftiger Staffeln näher kennengelernt werden. Die Angebote erweitern die Narration und ermöglichen in Ansätzen Rückmeldungen von den Userinnen und Usern, sodass sich von einer transmedialen Storywelt sprechen lässt (vgl. Jenkins 2006). Neben der Website zur Serie gehören zu dieser u.a. die funk-Plattform, der YouTube-Kanal zu DRUCK, Profile der Figuren auf verschiedenen sozialen Medien, eine Playlist auf Spotify und ein WhatsApp-Newsletter, über den sich die Userinnen und User nicht nur updaten, sondern den Produzierenden auch Kritik und Verbesserungsvorschläge mitteilen können.
In der „Echtzeit“-Distributionsstrategie ist DRUCK, wie die Vorlage SKAM, ohnehin auf eine medienübergreifende und mobile Nutzung hin ausgerichtet und bestreitet neue Wege gegenüber der wöchentlichen, linearen Ausstrahlung, aber auch gegenüber dem von Netflix geprägten „binge-publishing model“ (Sundet 2018, S. 9). Zwar lässt sich die Serie am Stück rezipieren (wenn mehrere Folgen auf der zugehörigen Website, auf der funk-Plattform oder im zugehörigen YouTube-Kanal erschienen sind) oder in der Regel wöchentlich am Freitag verfolgen. Zunächst werden einzelne Szenen aber zur fiktiven „Echtzeit“ publiziert. Wenn Hanna sich also am Samstagmorgen von Jonas trennt, ist dies auch am Samstagmorgen erstmals zu sehen. Einblendungen markieren den Zeitpunkt, der sich aus den Charakteren und Geschichten, aber nicht mehr aus einem festen Sendeschema ergibt. Vilde Schanke Sundet (ebd., S. 10) attestiert SKAM diesbezüglich eine „double liveness“: Auf der einen Seite erlebt das Publikum die Ereignisse vermeintlich zeitgleich mit den Figuren, auf der anderen Seite zeitgleich mit anderen „eingeweihten“ Zuschauerinnen und Zuschauern, die den kontinuierlichen Updates folgen. Die „Echtzeit“-Strategie kann daher sowohl Fanpraktiken befördern als auch eine Identifikation mit den Figuren stärken. In Kombination mit den Figurenprofilen und den (bisher) unbekannten Darstellerinnen und Darstellern, deren tatsächliche Hobbys und Vorlieben z.T. in die Figurenzeichnungen einflossen, wird zudem eine Authentizität suggeriert. Die Userinnen und User heben die konstruierte Realitäts- und Alltagsnähe sowie die „Echtzeit“-Strategie hervor und verhandeln diese, wie die qualitative Rezeptionsstudie zeigt.
Transnational und polarisierend – die Rezeption
Um neben den transmedialen Jugendnarrationen in DRUCK auch Lesarten von Heranwachsenden zu ergründen, wurden YouTube-Kommentare (nach Stichproben und zu ausgewählten Folgen) ausgewertet. Diese besondere Schwerpunktsetzung geht auf Abrufzahlen zurück, nach denen die Serie (wie andere funk-Produktionen) besonders hier und größtenteils in ganzen Folgen ihr Publikum findet.
Grundsätzlich gefällt oder missfällt die Serie. Die starke Wertigkeit scheint dem Kontext YouTube geschuldet, wo Kommentare oft zugespitzt und emotional aufgeladen sind. Häufig unterstreichen auch im Fall DRUCK Emojis und Herzsymbole Lob. Die Evaluationen betreffen insbesondere die Figuren. In diesem Zusammenhang deutet sich mehrfach eine Identifikation und Parasozialität als auch eine weitergehende Beschäftigung mittels der Figurenprofile in sozialen Medien an. Ein wichtiges Bewertungskriterium ist zudem die Wirklichkeitsnähe. So bemängelt beispielsweise ein Kommentierender die Szene als realitätsfern, in der die muslimische, migrantische Amira die Disco mit Hijab besucht. Speziell bei dieser Figur vermischen sich Kommentare mit allgemeineren politischen Statements, die stellenweise auch in einer Generalkritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk münden.
Kritische Haltung gegenüber deutschen Serienproduktionen
Transnationale Züge der Rezeption zeigen sich darin, dass die Kommentierenden DRUCK mehrfach mit SKAM abgleichen – insbesondere bei der ersten Folge, während Auseinandersetzungen zu späteren Episoden sich ein Stück weit von der Vorlage entfernen. Viele empfinden die Adaption als nur bedingt gelungen oder hinterfragen deren grundsätzlichen Sinn. Eine Kritik am Kopieren ist mehrfach mit einem grundsätzlich negativen Bild von deutschen Serien verknüpft, denen Innovation abgesprochen wird (allerdings ohne dies genauer belegen zu können). Eine gewisse Dialektik zeigt sich darin, dass Rezipierende Elemente aus der Vorlage vermissen, gleichzeitig aber mehr Änderungen gegenüber dieser einfordern.
Durch SKAM verfügen viele Userinnen und User über ein Vorwissen zum wahrscheinlichen Handlungsverlauf, den sie in Kommentaren verhandeln und „spoilern“. Auffallend ist, dass viele Kommentare zu DRUCK auf Englisch verfasst sind und dass SKAM trotz des Mangels an einer offiziellen Distribution in Deutschland ein Fanpublikum gefunden hat.
Fazit
DRUCK knüpft an den transnationalen Erfolg der norwegischen Vorlage an. Verglichen mit dieser, erreicht die Serie bislang aber ein sehr kleines Publikum, das häufig auch mit dem norwegischen Original vertraut ist. Vielleicht braucht die funk-Produktion Zeit, um sich weiter viral auszubreiten und an Popularität zu gewinnen. Mit der inhaltlich motivierten, transmedialen Einbindung sozialer Medien und der „Echtzeit“-Distribution bestreitet sie durchaus interessante Wege, um in der Gegenwart von Jugend zu erzählen und das Fernsehen zu transformieren. In seinen Jugendnarrationen schließt jenes Stück „Social Teen TV“ zugleich an bewährte Muster des Coming-of-Age-Genres an. Dank Diversität und weiblichem Empowerment lässt es auch einen öffentlich-rechtlichen Hintergrund erkennen.
Literatur:
Jenkins, H.: Convergence Culture. Where Old and New Media Collide. New York 2006
Moseley, R.: Teen Drama. In: G. Creeber (Hrsg.): The Television Genre Book. Basingstoke/Hampshire 2015, S. 38-44
Sundet, V. S.: From ‚Secret‘ Online Teen Drama to International Cult Phenomenon. The Global Expansion of SKAM and its Public Service Mission. In: R. McCulloch/W. Proctor (Hrsg.): The Scandinavian Invasion. The Nordic Noir Phenomenon and Beyond. Bern u.a. 2018 (im Erscheinen)
Wegener, C.: Der Kinderfilm: Themen und Tendenzen. In: T. Schick/T. Ebbrecht (Hrsg.): Kino in Bewegung. Perspektiven des deutschen Gegenwartsfilms. Wiesbaden 2011, S. 121-135
Hinweis:
Eine ausführlichere Diskussion der Studie zur Serie DRUCK soll in dem von Moritz Stock und Florian Krauß herausgegebenen Sammelband Teen TV: Repräsentationen, Rezeptionen und Produktionen zeitgenössischer Jugendserien erscheinen (derzeit in Vorbereitung; geplante Publikation 2019).
Florian Krauß (Foto: privat)
Moritz Stock (Foto: privat)