Streben nach Glück
Die Drama-Serie „Mayor of Kingstown“ bei Paramount+
Es herrschte einmal im fernen Königstadt der Monarch Milo, der schon seit vielen Jahren seine trutzige Burg nicht mehr verlassen hatte. Allein und mit dem Schmuck von glänzenden Ketten angetan, verweilte er huldvoll lächelnd in seiner Kemenate und steuerte doch die Geschicke aller im Land. Seine Feste thronte auf einem Bergmassiv hoch über der Stadt. Sein Volk bestand aus über 20 000 verlorenen Seelen, die einander hassten, weil sie vier verschiedenen alten Familien entstammten:
Die Crips hatten eine etwas dunklere Hautfarbe. Man konnte auf den Rücken ihrer Urväter und Mütter - den gestohlenen Kindern - trockenen Fußes von Amerika nach Afrika gehen. „Seit 500 Jahren war schnell Rennen das Einzige, was einen Schwarzen Mann befreien konnte“, sprach ihr Patriarch, der Dealer Bunny.
Nazi-Petes Abkömmlinge, Rocker und Rednecks, glaubten, allein durch ihre hellere Haut etwas Besseres zu sein und somit auch das Recht zu haben, sich besonders schlecht zu benehmen.
Carlos Familie, die Locos, kamen aus dem Süden und von den Inseln. Sie züchteten Kampfhunde und verdingten sich mit Diebstahl und Drogenhandel.
Eds Familie mit den Dienstmarken war die einzige Gang, die in der Burg Waffen tragen durfte. Sie nutzte das Privileg, indem sie Drogen verkaufte und alle anderen wie Sklaven hielt. Der Glaube des Volkes von Königstadt besagte, dass nur, wer im Leben reich und unabhängig war, es auch nach dem Tod im Himmel sein würde. Und war nicht die Ewigkeit eine verdammt lange Zeit?
Kein Märchen, sondern Mix aus Knastfilm, Gangsterserie, Krimi
Die Serie Mayor of Kingstown ist natürlich kein Märchen, sondern ein Genremix aus Knastfilm, Gangsterserie, Hardboiled – Schwarze Serie, Krimi und Sozialreportage. Es ist die visuelle Ästhetik, die uns glauben macht, eine andere Sphäre wahrzunehmen. Drohnenflüge präsentieren das Gefängnis wie ein Versailles hoch über der Stadt. Der Nebel aus Raffinerien wirkt wie Götterdämmerung. Scheinwerfer irrlichtern in die Dunkelheit und Meister Petz macht sich am Vogelfutter zu schaffen. Das Kamerateam hat die erste Regel der Gefängniswärter, „Abstand ist die beste Waffe“, voll verinnerlicht. In den Einstellungen in der Totalen und den Plansequenzen muss man sich das fiktionale Kingstown in der realen Welt der kommerziellen Gefängnisse selbst erschließen.
Ein Protagonist zwischen Drinnen und Draußen
Der namensgebende Mayor of Kingstown ist Mike McLusky vom Sozialdienst. Er war selbst einmal Mitglied in Nazi-Petes Rockerbande. Dass er jahrelang inhaftiert war, hat seinen Manieren erheblichen Schaden zugefügt. „Irgendwann wird dich irgendetwas glücklich machen“, hatte er lange gedacht. „Und dann stellst du fest, dass es so etwas wie Glück gar nicht gibt“. Am ehesten findet er so etwas wie Zufriedenheit in seiner Hütte im Wald ohne Mobilfunkabdeckung. Er vermittelt Kautionen, schlichtet zwischen den Familien, dem Drinnen und Draußen und weigert sich vor allem, Milo, dem inhaftierten Boss der Russenmafia, zu dienen.
Trailer Mayor of Kingstown (Paramount+ UK & Ireland, 17.06.2022)
Die mahnende Stimme
„Du hast so hart dafür gearbeitet, nichts zu erreichen“, sagt Mikes Mutter Miriam zu ihrem mittleren Sohn. Die Intellektuelle ist die einzige positive Protagonistin und versucht, weiblichen Häftlingen Klassenbewusstsein zu vermitteln. Sie ist wie wir, die Zuschauer:innen, und glaubt, mit bürgerlichen Idealen noch etwas Gutes bewirken zu können. In einer Welt, die sie nicht mehr versteht. Die Kenntnis des Wortes relevant löst sie aus allen menschlichen Bezügen. Vielleicht wird das Wort relevant einmal das wichtigste Wort sein, um unser Zeitalter retrospektiv zu verstehen. Was ist jenseits aller Grabenkämpfe, aller gesellschaftlicher Diskurse, die im aufgeklärten Bürgerturm mit Verve ausgefochten werden, relevant? Sind die Meinungsunterschiede nicht am Ende sogar aufgezwungen und Stürme im Wasserglas, die uns nur blind für Probleme machen, deren Lösung Einigkeit erfordern würde? Am Ende scheitert sie und muss lernen, dass auch eine Lüge die absolute Wahrheit sein kann, wenn sie jenseits aller bürgerlicher Wunsch- und Wahnvorstellungen die einzige Waffe einer Unterdrückten ist.
Steigerung
Im letzten Viertel trudelt die Staffel im erweiterten Finale zunehmend ins Action-Genre ab. Lässt uns an ausgespielten Schlachten teilhaben, taumelt blutbespritzt in Richtung Spätabendprogramm. Mit Bildern, die für sich genommen selten spekulativ sind. Die schlimmsten Szenen verbleiben nur mehr oder weniger vage angedeutet in der Vorstellung. Dort, wo der Schrecken der Welt sich jederzeit ungehindert austoben kann. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann morden sie noch heute und zwar in der zweiten Staffel von Mayor of Kingstown.
Freigegeben ab …
Die Serie zeichnet ein Szenario, in dem Gut und Böse kaum zu unterscheiden sind, in dem sich die Methoden korrupter Polizisten, Gefängnisbediensteter und Krimineller gleichen. Gewalt dient als Mittel, um Macht zu erhalten oder auszubauen, doch wird sie abstoßend inszeniert und erweist sich letztlich kaum als zielführend. Einige eher dialogorientiert erzählte Episoden mit verkraftbaren, dramaturgisch gut eingebetteten Spitzen konnten für das Hauptabendprogramm, verbunden mit einer Altersfreigabe ab 12 Jahren freigegeben werden. Dass sich Korruption und Gewaltbereitschaft durch alle Gruppen ziehen, kann, so der Prüfausschuss, auch Anlass für Zuschauende sein, diese Problematiken zu hinterfragen. Mit Mikes Mutter gibt es zudem eine positive Figur mit klarem moralischem Kompass. Als distanzierend, auch für 12-Jährige, wurden die deutliche Fiktionalität und die Alltagsferne des Geschehens bewertet. Einige Episoden, die drastische und ausgespielte Gewalthandlungen enthalten, wurden hingegen für das Spätabendprogramm und ab 16 Jahren freigegeben. Jugendlichen dieser Altersgruppe wurde aufgrund ihrer entwickelten Medienkompetenz zugetraut, hinreichend Distanz aufzubauen, weshalb eine desensibilisierende, sozialethisch desorientierende oder nachhaltig ängstigende Wirkung nicht vermutet wurde.
Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.
Weiterlesen:
> Sendezeiten und Altersfreigaben
Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.
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> Jugendschutz bei Streamingdiensten