„The Hunt for Raoul Moat“

Fahndungsdrama mit Medienethik

Uwe Breitenborn

Dr. Uwe Breitenborn ist hauptamtlicher Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), Dozent, Autor und Bildungsreferent bei der Medienwerkstatt Potsdam.

Programm The Hunt for Raoul Moat
 Krimi, GB 2023
SenderMagentaTV, ab 05.09.2023

Online seit 05.09.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/the-hunt-for-raoul-moat-beitrag-1124/

 

 

Im September 2023 startet bei MagentaTV eine britische Miniserie, die mit einem spektakulären Drama aufwartet, das vor mehr als zehn Jahren nicht nur Nordengland in Atem hielt. Der Gewalttäter Raoul Moat wird 2010 trotz offensichtlicher Drohungen gegen seine Ex-Freundin Samantha Stobbart aus dem Gefängnis Durham entlassen. Er startet zwei Tage später einen brutalen Rachefeldzug, der schließlich die größte Fahndung in der Geschichte der britischen Polizei auslöst. Moat ermordet Samanthas neuen Freund Chris Brown und verletzt sie sowie den Polizisten David Rathband durch Schüsse aus einer abgesägten Schrotflinte schwer. Auf der Flucht wendet sich der Täter mit Statements und Drohungen an die Presse und Polizei, bevor er in der Gemeinde Rothbury gefunden wird. Zuvor gelingt es der Polizei tagelang nicht, ihn in den Wäldern aufzuspüren. Moat entzieht sich der Festnahme durch Suizid.
 

Fiasko

Die Serie The Hunt for Raoul Moat schildert nicht nur den erschütternden Fall, der auch ein tragisches Lehrstück in Sachen häuslicher Gewalt gegen Frauen ist, sondern sie zeigt auch die Komplexität polizeilicher Ermittlungen. Versagen und Getriebensein sind hier nah beieinander. Es gibt klare Hinweise und Vermerke, die auf die Gefährlichkeit des Täters hinweisen. Doch die Behörden reagieren zu spät und das Drama nimmt seinen Lauf. Aus Angst und um sich zu schützen, behauptet Ex-Freundin Samantha gegenüber Moat, dass ihr neuer Freund Chris ein Polizist sei, was den cholerischen Bodybuilder noch mehr in Rage bringt. Sein Rachefeldzug richtet sich daher nicht nur gegen die Ex-Freundin, sondern auch gegen alle Polizisten. An Samantha ist zudem sichtbar, wie schwer es ist, sich aus toxischen Beziehungen zu lösen. Sie versucht es, wird aber trotz deutlicher Hinweise nicht ausreichend geschützt, obwohl sie ein aufmerksames soziales Umfeld besitzt, das ihr hilft. Aber das reicht eben oft nicht aus.
 

Trailer The Hunt for Raoul Moat (BritishPeriodDramas, 11.04.2023)



Realismus

Regisseur Gareth Bryn hat an Originalschauplätzen im nordenglischen Newcastle und Northumbria gedreht, was der Produktion ein hohes Maß an Authentizität verleiht. Das gilt auch für „dokumentarische“ Inserts, die allerdings zumeist inszeniert sind. Der Dreiteiler nimmt sich Zeit für seine Protagonisten. Die Kamera verweilt lange auf Gesichtern, der britische Sozialrealismus gibt der Produktion einen alltagsnahen Anstrich. Das Darstellerensemble verkörpert die Charaktere äußerst bodenständig. Auch hier: wenig Glamour, viel Realismus. Mit seiner düsteren Aura wirkt der Gewalttäter Raoul Moat (Matt Stokoe) in jeder Situation beunruhigend. Samantha Stobbart (Sally Messham) und ihr Freund Chris Brown (Josef Davies) sind starke und tragische Charaktere. Ermittler Neil Adamson (Lee Ingleby) ist extrem engagiert, aber als Getriebener zugleich auch von Zweifeln geplagt. So besitzt die Serie einen hohen Schauwert, der auf reißerische Gewaltinszenierungen verzichtet, aber trotzdem sehr rough daherkommt. Das liegt auch an einem weiteren Erzählstrang, der vielleicht die größte Überraschung ist.
 

Feed the beast

Die mediale Begleitung des Falles erweist sich als großer Treiber. Bekanntermaßen agiert die britische Boulevardpresse nicht zimperlich. So auch hier, wenn es darum geht, um jeden Preis neue Stories aus dem Umfeld des Täters und der Opfer zu lancieren. Das führt dazu, dass Moat sich durch die investigative Presse provoziert fühlt und letztlich droht, für jede weitere „Lüge“ wahllos Menschen umzubringen. Einen Kontrast dazu bildet in der Serie die „Chronicle“-Journalistin Diane Barnwell (Sonya Cassidy), ein fiktiver Charakter, der teils auf dem Wirken der realen Journalistin Sophie Doughty basiert, die mit David Sampson, dem Autor der Serie, zusammenarbeitete. Sie stellt die richtigen Fragen, bleibt hartnäckig und professionell an dem Fall dran, ohne ihre moralische Integrität zu verlieren. Das unterscheidet sie von der Boulevardmeute. Zutiefst beunruhigend ist auch die aufkommende Social-Media-Praxis, das Geschehen zynisch zu begleiten und offen mit dem Täter zu sympathisieren. In Internetforen tummeln sich schon seinerzeit zahllose Sympathisanten, die einen Moat-Täterkult und Aggressionen gegen die Polizei ausleben. Die Serie fokussiert dieses Phänomen eindrücklich und zeigt auch die Fassungslosigkeit der Opferfamilien, die diese Verrohung mit ansehen müssen, während sie um ihre Angehörigen trauern oder bangen. Das Ganze erzeugt eine Intensität, der man sich nur schwer entziehen kann.

Die Polizei versucht auch, eine Nachrichtensperre bei der rücksichtslosen Boulevardpresse durchzusetzen, um die brutale Dynamik des Täters zu durchbrechen. Es gelingt nur bedingt. Nicht umsonst sagt die Polizeichefin mit Blick auf die Presse lakonisch: „Lets go. Feed the beast!“. So wird aus The Hunt for Raoul Moat ein Fahndungsthriller mit presseethischen Implikationen. Er zeigt auch Verrohungstendenzen, die nicht nur in den sozialen Medien stattfinden, sondern ganz handfest im realen Sozialraum ankommen. So muss der Ermittler in einer Kneipe erleben, wie eine grölende Menge skandiert: „Raoul Moat ist unser Freund, killt die Bullen.“ Am Ende werden mit Schrifttafeln die Fakten und Dimensionen des Verbrechens nochmal klar eingeordnet. So wird unter anderem darauf verwiesen, dass eine Facebook-Seite namens RIP Raoul Moat you Legend 30.000 Abonnenten erreichte, bevor sie gelöscht wurde.
 


Freigegeben ab …
 

Die Serie ist ein interessantes Krimiangebot, das einen intensiven Spannungsbogen aufbaut. Es dominiert zumeist eine dialoglastige Inszenierung, die den Gefühlen und Gedanken der Akteure Raum lässt. Es gibt Gewaltspitzen, die aber nicht übermäßig drastisch inszeniert sind. Die Ermittlungsarbeit sowie das Schicksal der Opfer stehen im Vordergrund. Sympathien für den Täter werden nicht gehegt. Die Serie positioniert sich klar auf der Opferseite. So werden auch medienethische Fragen der Pressearbeit sowie die Sympathiebekundungen für den Täter in Internetforen und sozialen Netzwerken problematisiert. Auch wenn der Fall erschütternd ist, geht er nicht über das hinaus, was für ab 12‑Jährige verkraftbar ist. Auch die zeitliche Ebene sowie die klare Einordnung der Geschehnisse wirken distanzierend. Die „Suicide-by-Cop“-Problematik wird hinreichend eingeordnet. Risiken einer übermäßigen Angsterzeugung, Gewaltbefürwortung oder sozialethischen Desorientierung wurden nicht gesehen, so dass entwicklungsbeeinträchtigende Wirkungen oder Identifikationsangebote für ab 12‑Jährige ausgeschlossen werden können. Die Serie ist nicht nur für True-Crime-Fans interessant, sie hat auch in Sachen Medienethik einiges zu bieten.

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

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Sendezeiten und Altersfreigaben

 

Hinweis:
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Jugendschutz bei Streamingdiensten