„The Red Phallus“

Bewegender Debütfilm aus Bhutan bei Generation 14plus

Barbara Felsmann

Barbara Felsmann ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt „Kinder- und Jugendfilm“ sowie Autorin von dokumentarischer Literatur und Rundfunk-Features.

In diesem Jahr standen in den insgesamt 30 langen und kurzen Wettbewerbsbeiträgen der Berlinale-Jugendfilmsektion 14plus auffallend viele Mädchen und junge Frauen im Mittelpunkt. Sie alle – an den Rand gedrängt, unter Druck gesetzt oder gar mit Gewalt konfrontiert – kämpfen um ein freies, selbstbestimmtes Leben. So auch die 16-jährige Sangay aus dem Debütfilm des bhutanischen Autodidakten Tashi Gyeltshen, The Red Phallus.

Online seit 18.02.2019: https://mediendiskurs.online/beitrag/the-red-phallus/

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Sangay lebt mit ihrem Vater in einem abgeschiedenen Dorf in den Bergen des Himalajas. Der angesehene Kunsthandwerker schnitzt Phalli aus Holz, die – an den Häusern angebracht – böse Geister vertreiben sollen. Alten, oftmals überholten Traditionen verbunden führt er zu Hause ein strenges Regime, kontrolliert jeden Schritt seiner Tochter, bestärkt sie in dem Vorurteil, „nur ein schwaches Mädchen“ zu sein. Von allen Seiten fühlt sich das Mädchen bedrängt. Immer wieder hat sie die Vision, dass sie von fürchterlichen Dämonen hinter blutroten Masken, mit ebenso roten Phalli in der Hand verfolgt wird. Die Situation spitzt sich zu, als der Vater beobachtet, wie sich Sangay heimlich mit Passa, einem unglücklich verheirateten Mann und Vater von zwei Kindern, trifft. Passa möchte mit Sangay in der Hauptstadt Thimphu ein neues Leben beginnen und fordert seine Geliebte auf, die Angst abzulegen und hinter die blutroten Masken zu schauen. Als sie dann wirklich den Mut findet, zieht sie eine radikale Konsequenz, die sich aber tragischerweise letztlich auch gegen sich selbst richtet.
 


Regisseur, Drehbuchautor und Koproduzent Tashi Gyeltshen erzählt in seinem Spielfilmdebüt vom schmerzhaften Kampf eines Mädchens um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit in einer archaisch anmutenden Welt, geprägt durch enge, patriarchale Strukturen. Eingebettet in einer wundervollen Landschaft, die friedlicher nicht sein könnte und ganz im Gegensatz zu Sangays momentaner Situation steht, zeigt Tashi Gyeltshen sensibel und in ungewöhnlich langen Einstellungen die innere Verfasstheit des jungen Mädchens – seine Verzweiflung, seinen Trotz, seine Ängste, Zweifel und schließlich sein Aufbegehren. Dabei lässt er einige Geheimnisse aus der Vergangenheit offen, deutet nur an, beschreibt aber genau und kompromisslos das tragische Ausmaß der Geschehnisse.

In der 1995 geborenen Tshering Euden, die selbst in einem abgelegenen Dorf in Bhutan aufgewachsen ist, hat Tashi Gyeltshen eine beeindruckende Darstellerin gefunden, die die 16-jährige Sangay nicht zu spielen, sondern zu leben und dabei eigene Erfahrungen zu verarbeiten scheint. So ist ein außergewöhnlicher, tief unter die Haut gehender Film entstanden, dessen atmosphärische Bilder lange Zeit nachwirken.