Triggerwarnungen im Jugendschutz
Bei welchen Inhalten sind sie hilfreich?
Den Begriff „Trigger“ erklärt der Diplom-Psychologe Thomas Weber, Geschäftsführer des Zentrums für Trauma- und Konfliktmanagement (ZTK), so: „Trigger sind sogenannte Hinweisreize. Sie können bewirken, dass Menschen mit nicht verarbeiteten Traumata mit den Gefühlen überflutet werden, die damals in der traumatischen Situation abgespeichert worden sind. Zum Beispiel, wenn ein Überfallopfer über die Straße geht und eine Person sieht, die dem Täter ähnlich sieht.“ Das kann Folgendes auslösen: „Ein nicht verarbeitetes Trauma wird im Gehirn anders abgespeichert als ein nicht traumatisch erlebtes Ereignis. Deshalb hat das Gehirn meist keinen Zugriff auf die Gefühle, die die Person in der Situation erlebt hat. Durch einen solchen Trigger wird diese Sperre plötzlich aufgebrochen. Die betroffene Person kann heftige Flashbacks erleiden, anfangen zu schwitzen und zu zittern“ (Weber, in: Eisenhart Rothe 2019).
Medieninhalte können mit der Detailliertheit ihrer Darstellung und den Themen, die sie behandeln, Grenzen des ethisch Vertretbaren und des psychisch Erträglichen überschreiten. In einer Demokratie genießen die Medienanbieter eine sehr weitgehende Freiheit, ihr Programm nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Und Zuschauer, die an grenzüberschreitenden Inhalten interessiert sind, sollen diese auch sehen können, solange sie nicht gesetzlich unzulässig sind. Triggerwarnungen sind für sensible Zuschauer bestimmt, die z. B. auf Gewaltdarstellungen empfindlich reagieren und dadurch in Extremfällen traumatisiert werden könnten:
Wenn solche Hinweise ernsthaft verwendet werden, können sie Betroffene durchaus schützen. Weil ich als Betroffener nicht unvermittelt mit einer Information konfrontiert werde, sondern mir selbst aussuchen kann, ob ich mir das antun will oder nicht. Da Traumatisierte schon häufig erleben mussten, wie solche Trigger bei ihnen wirken, sind sie für solche Warnungen durchaus dankbar. Der inflationäre Gebrauch von Trigger-Warnungen ist aber kontraproduktiv, weil der Begriff dann irgendwann nicht mehr ernst genommen wird. Eine Warnung sollte konkret vor wirklich gravierenden Darstellungen schützen“ (ebd.).
Triggerwarnungen helfen individuell
Die traumatischen Erlebnisse, die durch einen Trigger aus dem Unbewussten hervorgeholt werden, sind äußerst individuell und von Dritten kaum vorherzusehen. Das allein macht es schwer, Triggerwarnungen effizient zu platzieren. Würde man jede individuelle Konstellation berücksichtigen, müsste man bei einem Großteil medialer Inhalte mehr als eine einzige Triggerwarnung vorausschicken. Ein Spielfilm, der seriös und anrührend die Pflege eines dementen Elternteils schildert, kann bei Menschen mit entsprechenden Erfahrungen für sie nur schwer erträgliche Erinnerungen wachrufen. Dennoch geht es um ein wichtiges Problem, mit dem sich viele Menschen auseinandersetzen müssen und wollen. Allerdings sind die konkreten Situationen, die bei Menschen zu einem Trauma führen, sehr unterschiedlich: War es der Stress der Pflege, war es die Trauer über den Verlust eines Menschen oder die Angst davor, selbst einmal in eine solche Situation zu geraten?
Das vom Evangelischen Medienhaus Stuttgart betriebene Portal Medienkompass sieht vor allem folgende relevante Bereiche für Triggerwarnungen: körperliche, seelische oder sexualisierte Gewalt, Krieg, Suizid, Essstörungen, Mobbing, Tod, Selbstverletzungen und Diskriminierungen (Wagner 2022). Sarah Wagner weist allerdings auch darauf hin, dass Triggerwarnungen nicht nur vor eventuell getriggerten Traumata warnen: „Zum Beispiel kann auch eine Warnung vor einem Zeitungsartikel über Essstörungen ausgesprochen werden. Manchmal gibt es zudem Triggerwarnungen vor Epilepsie vor Videos mit schnellen Schnitten oder blinkenden Lichtern, da diese epileptische Anfälle auslösen können“ (ebd.).
Jugendschutz
Durch die Gesetze zum Jugendschutz werden Inhalte, die abgestuft nach Altersgruppen geeignet sind, „die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen“ (§ 10a Ziffer 1 Zweites Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes vom 09.04.2021), Vertriebsbeschränkungen unterworfen, die den Kontakt mit entsprechenden Medien altersgemäß regulieren sollen. Dazu dienen Altersfreigaben in der Kino- oder DVD-Auswertung sowie Zeitbeschränkungen im Fernsehen und Internet.
Darüber hinaus will das Gesetz einen Schutz vor Interaktionsrisiken bieten, bei denen es weniger um den Inhalt geht als um finanzielle Risiken, indem etwa Onlinespiele angeboten werden, die den Nutzer in erhebliche Kostenfallen führen können (§ 10a Ziffer 3 Zweites Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes vom 09.04.2021). Das soll neben der Alterskennzeichnung durch Deskriptoren (Informationshinweise) erreicht werden, die vor Bedrohung der persönlichen Integrität warnen sollen. Diese Deskriptoren sind auch im Entwurf des neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (§ 5 Abs. 1 Satz 3 JMStV‑E) vorgesehen.
Das Mainzer Medieninstitut kommentiert das so:
Grundsätzlich ist der Ansatz, Konsumenten deutlich zu machen, warum eine Alterskennzeichnung wie festgelegt wurde, zu befürworten. Je nach Ausgestaltung kann dies dabei helfen, die Einstufung besser zu verstehen und Eltern eine fundiertere Entscheidung zu ermöglichen, ob ein Inhalt speziell für ihr Kind geeignet ist“ (§ 5 Abs. 1 Satz 3 JMStV‑E).
Jedoch könnten solche Inhalte-Deskriptoren in der Umsetzung auch problematisch sein: „Zunächst ist es ebenfalls möglich, dass beispielsweise bei der Verwendung von zu vielen Deskriptoren deren Orientierungsfunktion verloren geht, da die Konsumenten überfordert werden könnten. Das System sollte demnach bei der Anzahl der Deskriptoren, die es insgesamt gibt, und der Anzahl der verwendeten Deskriptoren pro Inhalt ein Maß finden, das für die Konsumenten verständlich bleibt. Auch die Verwendung allein von Piktogrammen/Symbolen kann Schwierigkeiten bereiten, da diese interpretierbar sind und Missverständnisse verursachen können“ (Auler/Gessinger 2022, S. 3).
Damit sprechen die Autorinnen einen wichtigen Punkt an: Auf der einen Seite wäre es natürlich zu wünschen, dem Jugendschutz und dem Schutz der psychischen Gesundheit der Nutzer gerecht zu werden – aber eine Inflation an Hinweisen könnte auch dazu führen, dass sie nicht mehr wahrgenommen werden.
Wenn jetzt zusätzlich zu den gesetzlich vorgeschriebenen Deskriptoren noch Triggerwarnungen hinzukämen, würde das zu einer Überinformation führen. Darüber hinaus muss allerdings auch bedacht werden, dass Triggerwarnungen und Jugendschutz nur zu einem geringen Teil dasselbe Ziel verfolgen: Anders als bei Triggerwarnungen geht der Jugendschutz über das Wohlbefinden des Rezipienten hinaus, es geht um die Gemeinschaftsfähigkeit, also um Inhalte, welche die Integration des Kindes oder des Jugendlichen in die Wertegemeinschaft und das Regelsystem der Gesellschaft behindern könnten. Berührungspunkte wären höchstens im Bereich der Angstvermeidung vorhanden, die sowohl im Jugendschutz als auch bei Triggerwarnungen relevant ist. Allerdings könnten hier bereits die Deskriptoren entsprechende Hinweise bieten, die – ob als Piktogramm oder Text – auf übermäßige Angsterzeugung hinweisen.
Im Jugendschutz geht es allerdings mehrheitlich darum, Kinder und Jugendliche vor Inhalten zu schützen, die deren Integration in das Werte- und Regelsystem unserer Gesellschaft verhindern könnten. Im Folgenden wird versucht, die in der Vergangenheit diskutierten Themen des Jugendschutzes im Hinblick darauf zu prüfen, ob Triggerwarnungen hilfreich gewesen wären.
Werte und Tabus
Je höher eine Gesellschaft entwickelt ist, desto komplexer sind die Regelsysteme, die das Verhältnis der Menschen untereinander und ihre Beziehungen zu den Institutionen des Staates und den Regierenden ordnen. Es geht um die Verteilung von Waren und Gütern, aber auch um Rechte und Pflichten etwa bei der Kindererziehung. Dabei gibt es eine bestimmte Hierarchie in den Regelungssystemen: Ganz oben steht die Verfassung, gefolgt von den allgemeinen Gesetzen, die wiederum werden konkretisiert in Verordnungen. Auf der unteren Ebene bestehen zahlreiche Konventionen, die jeder kennt. All diese Regeln unterliegen einem ständigen Wandel, der in modernen Demokratien vor allem über die Medien moderiert wird: Welche Änderungen sind nötig, um Gerechtigkeit, Wohlstand und Gleichberechtigung in einer Gesellschaft zu optimieren?
Als allgemeiner Grundwert unserer Verfassung gilt nach Art. 1 unseres Grundgesetzes der Schutz der Menschenwürde. Daraus leitet sich auch die Unterstützung von Menschen durch das Sozialsystem ab, die sich selbst nicht finanzieren und ernähren können, ebenso der Schutz von Flüchtlingen, deren Existenz und Leben in ihrer Heimat bedroht sind. Aus der Menschenwürde leitet sich auch die Gleichheit aller Geschlechter, aller Hautfarben und aller Religionen ab: Nach dem Grundgesetz gilt die Menschenwürde uneingeschränkt für jeden. Trotzdem wird über die Details der Unterstützung von Bedürftigen oder Flüchtlingen immer wieder heftig gestritten. Dabei geht es letztlich um die Verteilung von Ressourcen – und darum, wie großzügig sie verteilt werden: Wie groß ist die Angst, dass dies für einen selbst Nachteile bringt? Aber all diese Regeln sind verhandelbar, man kann mit Argumenten darüber streiten.
Bei Tabus ist das anders. Sie wirken aus dem Unterbewusstsein heraus und entziehen sich oft einer rationalen Begründung. Es gibt sie in allen Ländern und Kulturen in Bezug auf Sexualität und Nacktheit oder auch den Umgang mit Krankheiten: Aber sie sind überall völlig anders. Der Tabuforscher Hartmut Schröder gibt ein Beispiel: „In Vietnam und anderen asiatischen Ländern ist es tabuisiert, in Gegenwart anderer die Nase zu berühren. Das bedeutet, dass man auch keine Taschentücher benutzt, sondern sich schnäuzt, was von der Etikette her nun wiederum in unseren Breitengraden eine Tabuverletzung ist“ (Schröder, in: Gottberg 2010, S. 25).
Schon bei Kindern werden mit Sexualität verbundene Handlungen mit Tabus belegt: „Wenn das Kleinkind anfängt, auch über ein bestimmtes Alter hinaus, seine Genitalien zu berühren, reagieren die Erziehenden nicht diskursiv. Dem Kind wird nicht erklärt, warum man das nicht macht, sondern die Reaktion ist: ‚Pfui, das macht man nicht!‘ Oder: ‚Lass das sein! Was sollen die Leute von dir denken!‘ Das Kind ist in dem Moment der Tabubrecher, der selbst tabuisiert und somit negativ markiert und ausgegrenzt wird“ (ebd., S. 26).
Es gibt die Tabugeber wie etwa Religionsführer oder die Kirchen, die über Charisma, wirtschaftliche oder politische Macht und Autorität verfügen müssen. Es gibt aber immer auch Tabubrecher, die sich offen gegen bestehende Tabus stellen und deren Sinn und Wert bezweifeln. Tabus schaffen aber auch Ordnung und Identität, und so gibt es immer auch Tabuwächter, die bei der Schwächung von Tabus die Zerstörung der Ordnung befürchten.
In Mediengesellschaften werden Tabus u. a. durch veröffentlichte Skandale verhandelt. Der Regelbruch schafft immer Aufmerksamkeit, deshalb ist die Suche nach der Übertretung von Regeln, Anstand oder Tabus das tägliche Geschäft der Redaktionen. Am Anfang steht die Enthüllung. Ob daraus ein Skandal wird, hängt davon ab, ob sich genügend andere Medien und die Rezipienten über den Tabubruch empören. Ist die Empörung groß genug, werden Sanktionen verlangt: Rücktritt, Entmachtung oder Bestrafung (vgl. Hondrich 2002). Erfolgen solche Konsequenzen, wird das Tabu gestärkt. Es zeigt der Bevölkerung symbolisch, dass der Wert noch vorhanden ist und ein Bruch negative Folgen haben wird. Ist die Empörung nach der Veröffentlichung eines Tabubruchs aber gering und bleibt ohne Konsequenzen, dann wird das Tabu entwertet.
Medien sind Tabubrecher, aber auch Tabuwächter
Wie stark die Empörung über einen Tabubruch ausfällt, ist nicht immer vorauszusagen. Viele Sichtweisen, beispielsweise auf den Wert der Geschlechter oder der Hautfarben, haben eine lange Tradition, deren Ursprung niemand mehr kennt: „Das ist ganz häufig so. Historisch betrachtet liegt die Ursache so weit weg, dass man sie nicht mehr erkennen kann, aber das Tabu hat sich so stark verinnerlicht und ein Eigenleben angenommen, dass es für uns stärker als ein Verbot funktioniert“ (Schröder, in: Gottberg 2010, S. 25). Mediale Tabubrüche schaffen einen Diskurs darüber, ob solche Tabus noch zeitgemäß sind oder abgeschafft werden sollen.
Die massiven Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein und später auch gegen andere Filmschaffende und die daraus folgende MeToo-Bewegung hätten einige Jahre vorher wenig Empörung hervorgerufen. Das Verständnis für Menschen, die ihre berufliche Macht dazu ausnutzen, um von anderen sexuelle Gefälligkeiten zu verlangen, hat sich deutlich verändert. Solches Handeln wird von den Strafverfolgungsbehörden schneller und ernsthafter untersucht. Durch diese verschiedenen Fälle ist das Tabu, die Selbstbestimmung des anderen nicht zu verletzen, gestärkt worden. Allerdings zeigt das aktuelle Geschehen etwa im Iran, dass diese Entwicklung auf einige Länder beschränkt ist und die Rechtlosigkeit der Frauen im Iran eher zunimmt.
Sexualberatung im Fernsehen: Erika Berger
In den Anfangszeiten des Privatfernsehens haben die Sender regelmäßig die Grenzen der Tabus getestet, weil sie so hohe Aufmerksamkeit erreichten. Die einen wollten den Tabubruch sehen, die anderen haben sich als Tabuwächter in den Printmedien darüber beschwert und den Tabubruch verurteilt. 1987 startete Erika Berger bei RTL die Sendung Eine Chance für die Liebe, in der sie Fragen des Publikums zum Thema „Sexualität“ beantwortete. Dabei wurden offen Themen angesprochen, die vorher im Fernsehen als Tabu galten. Berger sprach über alle Spielarten von Sexualität, auch wenn diese außerhalb der Ehe stattfand: „Zehntausende Deutsche haben es getan. Anonym, nervös, stotternd, errötend. Angerufen bei Erika Berger. Und über Gruppensex, Selbstbefriedigung mit Staubsaugern und vorzeitige Samenergüsse geredet. Live im Fernsehen, vor einem Millionenpublikum. In den Achtzigerjahren war das noch ein Tabubruch in der Bundesrepublik“ (Gunkel 2014). Die offene Art, in der Berger auch über Sexualität außerhalb der Ehe sprach, stieß auf viel Kritik:
Die Moderatorin wurde unter anderem von Sexualtherapeuten dafür kritisiert, Seitensprünge zu propagieren“ (Zeit Online/dpa/tgr 2016).
Die Sendung von Erika Berger wurde aus Jugendschutzgründen erst nach 23.00 Uhr ausgestrahlt und hat viele Sitzungen der Aufsichtsbehörden veranlasst – letztlich hat sie aber auch zu einem entspannteren Umgang mit Sexualität beigetragen.
Viele Zuschauer fanden die offene Art der Gespräche über Tabuthemen allerdings abstoßend. Für sie wären Triggerwarnungen vielleicht sinnvoll gewesen. Allerdings bestand deren Problem nicht nur darin, sich so etwas ansehen zu müssen, sondern sie empörte allein die Tatsache, dass über so etwas offen im Fernsehen geredet werden konnte.
Das Problem ist nicht immer, was man sieht, sondern die Art der Produktion
Auch bei den Talkshows in den 1990er‑Jahren wurde eine Menge gefühlter Tabus verletzt, bei denen es zum einen um Ängste oder die Enthemmung des Schamgefühls junger Zuschauer ging, zum anderen aber um den vermuteten Umgang der Talkshows mit den Gästen. Geistig schwache Menschen mit auffälligen Eigenschaften oder Verhaltensweisen, die sich einer wenig elaborierten, eher kreischenden und vulgären Ausdrucksweise bedienten, wurden zu Themen befragt, teilweise sogar aufeinandergehetzt, die sich jenseits der Grenze des gesellschaftlichen Normalfalles bewegten. Es ging um Betrug, Trunkenheit, um extreme sexuelle Wünsche wie Sadismus oder Masochismus, um Menschen, die das Tragen von Windeln als sexuell stimulierend empfanden oder die ihre erotische Befriedigung nur beim Gruppensex oder in Swingerklubs suchten. Aber auch hier lag das Tabu weniger in der Verletzung der Gefühle des Zuschauers. Im Zentrum der Kritik standen die Produktionsbedingungen: Darf man Menschen, die im Umgang mit den Medien ungeübt sind, zur Unterhaltung des Publikums vorführen?
Als 2000 das Menschenexperiment Big Brother startete, richtete sich die Kritik darauf, dass zehn Personen über Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt in einen Container gepfercht und dabei mit der Kamera beobachtet wurden. Politiker wie der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck sahen darin einen Verstoß gegen die Menschenwürde. Beck forderte schon vor der Ausstrahlung von den Landesmedienanstalten, die Sendung zu verbieten (Beck 2000). Auch hier lag der Tabubruch weniger darin, eine solche Sendung anzuschauen als in den Bedingungen der Produktion. Insofern hätten auch hier Triggerwarnungen nicht weitergeholfen.
Das Gleiche gilt für Castingshows. Am 9. November 2002 startete der RTL-Dauerbrenner Deutschland sucht den Superstar (DSDS). Dort traten in den Castings mehr oder weniger (un‑)begabte Kandidaten auf, die sich mit einer kompletten Selbstüberschätzung schon als Gewinner der Show sahen und dann häufig in einer schwachen Performance unerkennbare Melodien vortrugen, ohne auch nur den Text zu beherrschen. Trotzdem behaupteten sie, dass alle Verwandten und Freunde (auch Mutter, Vater und Geschwister) versichert hätten, sie seien großartig. Vor allem in den Castings mussten die Kandidaten meist schon vor Beendigung der ersten Strophe derbe Kommentare über sich ergehen lassen. Außerdem gab es Nachbearbeitungen, welche die negativen Eigenschaften der Kandidaten noch einmal durch zusätzliche Geräusche oder Bilder unterstrichen: Eine Jurorin säuberte sich unter dem Tisch die Hände, nachdem sie vorher einen Kandidaten mit Handschlag verabschiedet hatte, bei einer Kandidatin mit großen, beim Hinausgehen wiegenden Brüsten wurden ergänzend die Glocken vom Kölner Dom eingespielt. Zudem gab es ein Repertoire an verletzenden und erniedrigenden Sprüchen, die vor allem vom Jury-Vorsitzenden Dieter Bohlen abgegeben wurden.
Fazit
Triggerwarnungen sind vor allem bei Inhalten angebracht, die für manche Menschen schwer zu verarbeitende, detaillierte, meist Angst auslösende Darstellungen enthalten. Da Ängste aber sehr vielfältig sein können, sollte man Triggerwarnungen auf Themen beschränken, die besonders häufig stark angstbesetzt sind: etwa sexuelle Gewalt gegenüber Frauen oder Gewalt gegen Kinder – die Liste sollte anhand der bestehenden Forschung konkretisiert werden. Wichtig wären auch Hinweise auf Hilfsangebote, z. B. Beratungsstellen.
Bei Nachrichtensendungen oder Reportagen aus Kriegsgebieten wie gegenwärtig der Ukraine kann der Rezipient vermuten, dass es hier zu Gewaltdarstellungen kommen wird. Warnungen wären aber dann angebracht, wenn die Grausamkeiten ein normales Maß erheblich überschreiten. Triggerwarnungen sollten nicht inflationär verwendet werden, weil sie dann nicht mehr ernst genommen werden.
Triggerwarnungen können sinnvoll sein, um den Zuschauern die Einordnung eines medialen Inhalts z. B. in Bezug auf seine Entstehung zu erleichtern. Wenn wir heute amerikanische Filme aus früheren Zeiten zeigen, etwa den Klassiker Vom Winde verweht (USA 1939), so ist das immer noch ein sehenswerter Film. Allerdings haben sich sowohl das Frauenbild als auch das Bild von Menschen anderer Hautfarbe oder von Untergebenen sehr geändert. Deshalb wäre hier eine kurze Einordnung hilfreich. Bei vielen Inhalten liegt das Problem der ethischen Einordnung nicht in der detaillierten Darstellung von Nacktheit oder Gewalt, sondern in der Konzeption der Sendung. Und letztlich ist es ja auch wünschenswert, wenn Zuschauer potenzielle Tabubrüche der Medien zur Kenntnis nehmen, sich darüber beschweren und so ein neuer Diskurs beginnt.
Literatur:
Auler, L./Gessinger, K.: Stellungnahme zum Diskussionsentwurf zur Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV). In: Mainzer Medieninstitut, 15.06.2022. Abrufbar unter: www.mainzer-medieninstitut.de
Beck, K.: Position des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck zur Diskussion um Big Brother und vergleichbare Sendeformate. In: tv diskurs, 3/2000 (Ausgabe 13), S. 42 – 43
Eisenhart Rothe, Y. von: Getriggert? Ein Psychologe erklärt, warum Trigger nicht bloß ein Meme sind. Ein Gespräch mit Thomas Weber. In: Spiegel Psychologie, 19.03.2019. Abrufbar unter: https://www.spiegel.de
Gottberg, J. von: Grenzen, über die man nicht debattieren muss. Tabus als gesellschaftliche Orientierungshilfe. Ein Gespräch mit Hartmut Schröder. In: tv diskurs, 4/2010 (Ausgabe 54), S. 24–29
Gunkel, C.: Sex-Talk-Ikone Erika Berger. „Worüber soll man denn sonst reden?“. In: Spiegel Geschichte, 13.08.2014. Abrufbar unter: https://www.spiegel.de
Hondrich, K. O.: Enthüllung und Entrüstung. Eine Phänomenologie des politischen Skandals. Berlin 2002
Wagner, S.: Was sind Triggerwarnungen, wie setzt man diese ein und was sollte man beachten?. In: medienkompass, 09.05.2022. Abrufbar unter: https://medienkompass.de
Zeit Online/dpa/tgr: Moderatorin. Erika Berger ist tot. In: Zeit Online, 16.05.2016. Abrufbar unter: https://www.zeit.de