Umweltschutz spielen

Wie Computerspiele nachhaltiges Denken und Handeln fördern

Achim Fehrenbach

Achim Fehrenbach lebt und arbeitet als freier Journalist in Berlin. Er schreibt vor allem über Digital- und Schulthemen.

Als interaktives Medium eignen sich Games besonders gut für Klima- und Umweltschutzthemen – weil sie spielerisch Lösungswege aufzeigen. Doch auch die Games-Industrie selbst muss einiges tun, um ihre Umweltbilanz zu verbessern. Aktuelle Spiele und Initiativen im Überblick.

Online seit 24.05.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/umweltschutz-spielen-beitrag-772/

 

 

Sommer, Sonne, Meeresrauschen: Die fiktive Mittelmeerinsel Secarral ist ein wahres Urlaubsparadies. Auch das Mädchen Alba ist von dem Fleckchen Erde vor der Küste Spaniens begeistert, als es seine Großeltern dort besucht. Alba erkundet die Flora und Fauna der Insel, macht Fotos von heimischen Tieren und sammelt die Entdeckungen in ihrem Tagebuch. Schon bald bemerkt Alba allerdings, dass die Insel unter Umweltverschmutzung leidet: An allen Ecken liegt Müll, den die Urlauber:innen hinterlassen haben; im Stadtpark hat jemand giftige Flüssigkeit verklappt, die nun den Eichhörnchen schwer zusetzt. Am nächsten Tag verkündet der Bürgermeister, dass mitten im Naturschutzgebiet von Secarral ein Luxushotel errichtet werden soll – das würde der Insel Geld und Arbeitsplätze bringen, aber wohl auch viele seltene Tiere verdrängen. Alba und ihre Freundin Ines gründen spontan eine Liga zum Schutz der Tiere und werben bei den Inselbewohner:innen für mehr Umweltschutz. Doch um die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu bringen, gibt es noch jede Menge zu tun …

Alba: A Wildlife Adventure ist ein Computerspiel, empfohlen für Kinder ab sechs Jahren, das auf mehreren Ebenen funktioniert. Die verwinkelte Insel Secarral lädt zum Entdecken ein, die reichhaltige Tierwelt macht neugierig und ermuntert dazu, auch die seltensten Arten zu entdecken und zu klassifizieren – vom Wiedehopf bis zum Iberischen Luchs. Neben dem Sammel- und Lerntrieb weckt das Spiel aber zugleich das Bedürfnis, sich für den Erhalt dieses fragilen Ökosystems einzusetzen. Je mehr sich Alba und Ines für die Natur engagieren – sei es beim Müllsammeln, bei der Tierrettung oder bei Gesprächen mit den Inselbewohner:innen –, desto größer erscheint die Chance, hier wirklich etwas bewegen zu können.
 

Trailer Alba: A Wildlife Adventure (ustwo games, 11.11.2020)



Bemerkenswerterweise gelingt es dem Spiel, trotz der ernsten Thematik stets leichtfüßig zu bleiben. Man habe Albas Geschichte optimistisch und ermutigend erzählen wollen, sagt Jane Campbell vom Spielestudio ustwo games. „Denn manchmal können die Themen Naturzerstörung und -bewahrung ziemlich beklemmend und überwältigend erscheinen.“1 Bei der Entwicklung des Games achtete ustwo darauf, dass Alba nicht zu sehr in Richtung „Bildungsspiel“ („educational game“) abdriftete. „Wir wollten eine Balance finden“, so Campbell. Das Spielgeschehen sollte nicht zu sehr vom Charme der Insel ablenken, aber auch so motivierend sein, dass Spieler:innen die Initiative ergreifen.
 

Neue Leichtigkeit der Umwelt- und Klimaspiele

Alba ist nur eines im immer größer werdenden Segment der Computerspiele, die Umwelt- und Klimafragen thematisieren – und dabei wirklich Spaß machen. Dass Games sich mit diesen Themen beschäftigen, ist zwar keineswegs neu. Doch allzu häufig setzten die Studios den Schwerpunkt in der Vergangenheit auf die Vermittlung von Sachwissen und vernachlässigten dabei die Tatsache, dass Unterhaltung sehr wohl auch lehrreich sein kann. Die Zeit staubtrockener Serious Games scheint nun allerdings zu Ende zu gehen. Schon allein deshalb, weil die Konkurrenz aus dem reinen Unterhaltungssegment riesig ist. Ein Spiel, das heute aus der Masse zehntausender Neuerscheinungen herausragen will, muss spannende Charaktere, eine packende Story und motivierendes Gameplay bieten. Wenn es ihm dann auch noch gelingt, die Spieler:innen für Umweltfragen zu interessieren – umso besser.
 

Umwelt-Games: die Bandbreite wird größer

Die Auswahl an Umwelt-Games ist mittlerweile groß und die Bandbreite an Teilthemen beeindruckend: Sie reicht von Artenschutz und Wassersparen über Mülltrennung und nachhaltige Landwirtschaft bis hin zur Frage, wie sich Umweltzerstörung rückgängig machen lässt. Erst kürzlich erschien beispielsweise Terra Nil, das die klassische Aufbaustrategie-Formel (erkunden, erobern, ausbeuten) ins Gegenteil verkehrt. In dem „Rückbau-Strategiespiel“ des südafrikanische Studios Free Lives geht es darum, mittels Hightech ein verseuchtes Ödland zurück in ein blühendes, ausgewogenes Ökosystem zu verwandeln – und dann auch noch die letzten Spuren menschlichen Einwirkens zu beseitigen.
 

Trailer „Rückbausimulation“ in Terra Nil von Free Lives (Games Trailers, 28.03.2023)



Für viel Aufsehen sorgte zuletzt Endling – Extinction is Forever, in dem eine Fuchsmutter für ihre Jungen kämpft, während der Mensch den Lebensraum der Tiere zunehmend einengt. Das hochemotionale Spiel wurde bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet.
 

Endling: Extinction is Forever | REVIEW | Wunderschön betrüblich (PC Games, 13.07.2022)



Auch dem nachhaltigen Ressourcenmanagement widmen sich immer mehr Games. Im Onlinespiel Eco entwickeln Spieler:innen gemeinsam ein Asteroiden-Abwehrsystem, ohne dabei die Natur zu zerstören – echte Wetterdaten inklusive. Imagine Earth wiederum lässt uns fremde Planeten besiedeln, deren Ökosystem aber schnell kippt, wenn man nicht nachhaltig wirtschaftet. Das Browsergame Klim:S21 simuliert derweil die Auswirkungen des Klimawandels in unterschiedlichen Naturräumen Deutschlands und thematisiert die Interessenskonflikte von Anwohner:innen, Wirtschaft und Umweltschützer:innen. Selbst der weltweite Klötzchenbau-Hit Minecraft hat inzwischen eine Education Edition, in der Spieler:innen Nachhaltigkeit und Umweltschutz einüben, indem sie Plastikmüll aus den Meeren fischen oder Korallenbänke züchten.
 

Games als prominente Plattform für Umweltthemen

Die Beispiele zeigen: Videospiele greifen die unterschiedlichsten Teilaspekte von Klima- und Umweltschutz auf und machen sie in gängigen Spielmechaniken erfahrbar. „Generell können Games Jung und Alt dabei unterstützen, die oft abstrakten Zusammenhänge und langen Wirkungszeiträume der Klimakrise oder anderer Umweltkatastrophen besser zu verstehen“, sagt Çiğdem Uzunoğlu, Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Spielekultur. Im vergangenen Jahr hat die Stiftung zu dem Thema eine Fachkonferenz veranstaltet, Titel: One Planet Left – Umweltbewusstsein mit Games stärken.

Uzunoğlu zufolge eignen sich Games hervorragend als Vermittlungsmedium, weil „es sich bei ihnen um interaktive Systeme handelt, auf die wir direkten Einfluss nehmen“. Games veranschaulichten besonders gut, „wie ein bestimmter Auslöser beziehungsweise ein bestimmtes Handeln eine Kette von Ereignissen in Bewegung setzt, die am Ende eventuell verheerende Konsequenzen haben kann“. Entscheidet man sich beispielsweise im Browsergame Klim:S21 gegen ein teures Brandwarnsystem, dann schont das zwar kurzfristig die kommunale Kasse, erhöht aber die Gefahr, dass Teile des Waldes in der nächsten Dürreperiode niederbrennen. Laut Uzunoğlu veranschaulichen Umwelt-Games zudem, „wie nachhaltig gestaltete, alternative Wirtschafts- oder Gesellschaftsmodelle aussehen können“. Ein gutes Bespiel hierfür ist Imagine Earth: Die Spieler:innen finden einen bisher unbesiedelten Planeten samt unangetastetem Ökosystem vor und können deshalb von Grund auf entscheiden, wie sie ihr Wirtschaftssystem aufbauen wollen.

Als großen Vermittlungsvorteil von Games sieht Uzunoğlu die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Im spielerischen Rahmen werde deutlich, dass man schwierige und herausfordernde Situationen meistern könne.

Games zeigen uns somit Wege auf, wie wir uns selbst engagieren können“, sagt Uzunoğlu. „Das ist eine Eigenschaft, die wir im Angesicht der aktuellen Krisen in jedem Fall benötigen.“

Das Mädchen Alba, das die Inselbewohner:innen mit ihrem Engagement für den Umweltschutz begeistert, kann also durchaus als Vorbild für reales Engagement dienen.

Die Selbstwirksamkeit kann aber auch in einem Spiel wie Die Müll AG erfahrbar werden, in dem es darum geht, verschiedene Wertstoffe unter Zeitdruck zu trennen: Wer die spielerische Mülltrennung gut hinbekommt, traut sich das womöglich auch im echten Leben zu. Spiele wie Die Müll AG oder das englischsprachige Sorted! nutzen übrigens ähnlich simple Gameplay-Mechaniken wie populäre Casual Games (sortieren, zusammenführen etc.), um Spielspaß zu erzeugen. Nur dass der Spielspaß hier einen informativen Mehrwert hat.

Games sind auch deshalb als Plattform für Umweltthemen prädestiniert, weil sie ein kulturelles Massenphänomen sind. „Videospiele sind das Unterhaltungsmedium unserer Zeit“, sagt Deborah Mensah-Bonsu. „Die Reichweite und der potenzielle Einfluss unserer Branche ist unübertroffen. Man muss die Menschen dort abholen, wo sie sind – und mehr als drei Milliarden Menschen verbringen Zeit mit Games.“ Mensah-Bonsu ist Gründerin der Initiative Games for Good, die das Potenzial des Mediums für sozialen Wandel nutzen will. „Videospiele unterscheiden sich von allen anderen Medien“, sagt Mensah-Bonsu. „Sie geben uns Handlungsfähigkeit. Das bedeutet, dass sie uns helfen können, uns besser in Themen hineinzuversetzen und eine tiefere Verbindung zu diesen Themen aufzubauen. Gleichzeitig bieten sie uns aber auch einen Raum, in dem wir lernen, scheitern und uns die Zukunft vorstellen können.“
 

Die Games-Branche will nachhaltiger werden

Um dieses Potenzial zu nutzen, kooperiert Games for Good mit etlichen Unternehmen der Spieleindustrie. Vergangenes Jahr organisierte Mensah-Bonsu den Green Game Jam, an dem mehr als 50 Spielefirmen aus aller Welt teilnahmen. Ein Game Jam ist ein branchenübliches Event, bei dem die Teilnehmer:innen in spontan zusammengestellten Arbeitsgruppen in wenigen Tagen oder Stunden Prototypen neuer Games entwickeln. Der Green Game Jam 2022 stellte jedoch Spiele in den Mittelpunkt, die bereits am Markt verfügbar waren, bereits eine große Reichweite besaßen und ursprünglich vielleicht gar nicht als Umwelt-Games konzipiert waren.

Ziel des Jams war, nachträglich umweltbezogene Inhalte in diesen Spielen unterzubringen und damit Umweltthemen ins Rampenlicht zu rücken. Mensah-Bonsu nennt einige besonders prägnante Beispiele dafür, wie das im Green Game Jam umgesetzt wurde. Riders Republic etwa lässt Spieler:innen in verschiedenen Outdoor-Disziplinen gegeneinander antreten. Dazu gehören  Mountainbiking, Skifahren, Snowboarding und Wingsuit-Fliegen. Anlässlich des Green Game Jam veranstaltete das Gamestudio Ubisoft Annecy in Riders Republic einen digitalen Klimamarsch: Die Spieler:innen konnten mit ihren Avataren und digitalen Transparenten an dem Marsch teilnehmen und so auf drängende Klimaschutzfragen aufmerksam machen. Ein weiteres Beispiel ist Anno 1800 von Ubisoft Blue Byte: Das Studio etablierte im Rahmen des Jam neue Gameplay-Mechaniken, die Spieler:innen für nachhaltigeres Wirtschaften belohnen.
 

Kurzvideo zur Initiative Playing for the Planet (SYBO TV, 23.09.2019)



Mensah-Bonsu organisierte den Green Game Jam im Auftrag der Vereinten Nationen. Deren Umweltprogramm UNEP hat 2019 eine Allianz ins Leben gerufen, um die Spielebranche umweltfreundlicher zu machen. Im Rahmen dieser Playing for the Planet Alliance haben sich etliche große Firmen zu konkreten Maßnahmen verpflichtet. Die Industrie hat hier großen Nachholbedarf, denn Games sind momentan alles andere als ein umweltfreundliches Hobby. Konsolen und Spiele-PCs verbrauchen viel Strom, auch wenn die Hersteller:innen mittlerweile für verbrauchsärmere Standby-Modi werben. Wahre Energiefresser sind auch die gigantischen Serverfarmen, die Onlinespiele, Cloud-Gaming und Spieledownloads erst ermöglichen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Verpackung von Games: Zwar werden immer mehr Neuerscheinungen digital vertrieben, doch die Spiele für den physischen Handel kommen nach wie vor in Plastikverpackungen daher. Einiges an Müll entsteht auch durch ausgediente Gaming-Geräte wie Controller, Tastaturen, Bildschirme und Computergehäuse. Bei Playing for the Planet verpflichten sich Spielefirmen wie Sony, Microsoft und Nintendo, das selbsterklärte Ziel der Klimaneutralität bis zu konkreten Terminen umzusetzen. Die Glaubwürdigkeit der Initiative wird allerdings entscheidend davon abhängen, ob die UN die gesteckten Ziele auch konsequent überprüfen – und mögliche Verfehlungen öffentlich anprangern. Immer wieder gibt es nämlich auch in der Games-Branche den Versuch, das Firmenimage durch Greenwashing zu verbessern – eine Praxis, die letztlich der Glaubwürdigkeit der gesamten Industrie schadet. Die Ziele und Fortschritte der Initiative beschreibt die Playing for the Planet Alliance übrigens in ihrem Annual Impact Report.

Ein Beispiel für eine durchaus löbliche Initiative ist der GamesForest.Club, eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Berlin. Laut Mitgründerin und Geschäftsführerin Maria Wagner unterstützt die Organisation Spielefirmen dabei, „ihren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren und zur Regeneration des Klimas und der Artenvielfalt beizutragen“. Die Spendengelder der Firmen investiert GamesForest.Club in ausgewählte Projekte rund um den Globus, die zum Ziel haben, Waldgebiete wiederaufzuforsten oder bestehende Wälder zu konservieren. Der Anreiz für die Teilnahme wird dabei durch Gamification-Elemente gesteigert. „Wir bilden jeden Beitrag in einem digitalen Zwilling – dem ‚GamesForest‘ – visuell ansprechend und spielerisch ab“, erläutert Maria Wagner. „So wird jede Aktion transparent und für die Unternehmen einfach zu kommunizieren.“ Besucher:innen der Website können mit einem virtuellen Heißluftballon über die bepflanzten Gebiete fliegen und erhalten per Mausklick weiterführende Infos zu den entsprechenden Projekten.
 

GamesForest.Club: die Ziele im Kurzvideo (GamesForest.Club, 18.02.2022)



Neben der Spendeninitiative organisiert der GamesForest.Club auch Netzwerktreffen und Webinare rund um Themen wie Kohlenstoffreduzierung, ‑kompensation und nachhaltige Geschäftsreisen. „Uns ist aufgefallen, dass es viele Unternehmen gibt, die etwas gegen den Klimawandel unternehmen wollen, aber noch nicht genau wissen, wie“, sagt Maria Wagner.

Einige haben Angst, in das falsche Projekt zu investieren, andere wissen nicht, wie sie kommunikativ mit dem Thema umgehen sollen – oder sie haben schlicht nicht genug Kapazitäten, um eine passende Strategie zu entwickeln.“

Für diese Firmen, so Wagner, könne der GamesForest.Club maßgeschneiderte Lösungen bieten.

Interaktivität und Reichweite machen Games zu einer ausgezeichneten Plattform für Umwelt- und Klimathemen. Eine Vermittlungsfunktion, die glaubhafter wäre, wenn die Branche ihre eigene Umweltbilanz verbessern würde.
 

Games mit Umweltthematik – eine Auswahl:
Alba: A Wildlife Adventure
Terra Nil
Endling – Extinction is Forever
Eco
Imagine Earth
Klim:S21

 
Anmerkung:

1) Alle Zitate entstammen Interviews, die der Autor mit den erwähnten Personen geführt hat.