Unter dem Radar

Rechtsextreme Inhalte wandern auf kleinere Onlineplattformen

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Große soziale Plattformen sind gesetzlich verpflichtet, Beschwerden gegen rechtswidrige Inhalte kurzfristig zu prüfen und die Inhalte gegebenenfalls innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Das hat nun offenbar dazu geführt, dass Verbreiter rechtsradikaler Inhalte kleinere Netzwerke wie Odysee nutzen.

Online seit 30.08.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/unter-dem-radar-beitrag-1122/

 

 


Die Zeiten, als rechtsextreme Inhalte auf YouTube oder Facebook ungehindert verbreitet werden konnten, sind vorbei. Aktuelle Gesetze verpflichten die Anbieter, illegale Inhalte in ihren Netzwerken aufzuspüren und zu entfernen. Dazu gehören auch rechtsextreme Aktivitäten. Verschwunden sind diese dadurch aber nicht.

Eine neuere, kleinere Social-Media-Plattform namens Odysee bietet ähnlich wie YouTube die Möglichkeit, Dateien, meistens Videos, mit anderen zu teilen. Dort sind auch rechtsextreme Inhalte zu finden, die es bei den großen Netzwerken schwer haben. Nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (§ 1 Abs. 2 NetzDG) müssen soziale Netzwerke mit mehr als zwei Millionen registrierten Nutzer*innen ein transparentes Beschwerdeverfahren anbieten und offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden löschen (§ 3 NetzDG). Zu diesen Inhalten gehören vor allem Straftatbestände wie Volksverhetzung, Beleidigung, Verleumdung, Gewaltdarstellung und Bedrohung oder öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Außerdem sind sie verpflichtet, über diesbezügliche Aktivitäten halbjährlich einen umfassenden Bericht abzugeben, wenn sie im Jahr mehr als 100 Beschwerden über rechtswidrige Inhalte verzeichnen (§ 2 NetzDG). Da Odysee nach eigenen Angaben bisher weniger als zwei Millionen Nutzer*innen in Deutschland hat, liegt die Plattform also noch unter dem gesetzlich festgelegten Radarschirm.

Nach einer Studie des Institute for Strategic Dialogue Germany (ISD), die vom Bundesministerium für Justiz gefördert wurde, ist diese Plattform daher äußerst attraktiv für Anhänger*innen von rechtsradikalen Ideologien, Verschwörungstheorien oder „querdenkerischem“ Gedankengut. Odysee selbst vermarktet sich als Alternative zu YouTube (Matlach et al. 2022, S. 10). Anders als bei YouTube werden Nutzer*innen bei Odysee für ihre Aktivitäten belohnt, indem sie für das Hochladen von Inhalten, das Abspielen von Videos oder durch gewonnene Abonnent*innen die virtuelle Währung Library Credits erhalten. Ähnlich wie bei anderen dezentralen Videohosting-Portalen werden die Library Credits auf Krypto-Plattformen gehandelt. Die Nutzer*innen haben zudem die Möglichkeit, mit sogenannten Trinkgeldern von den Zuschauer*innen direkt Geld zu verdienen (vgl. Schwarzer 2022).

Odysee spricht nicht per se Nutzer*innen bestimmter politischer Richtungen an, die Plattform wird vom gesamten politischen Spektrum genutzt. Allerdings ist Odysee für rechte Aktivist*innen äußerst attraktiv, weil die interne Kontrolle gering ist und die Plattform aufgrund ihrer noch geringen Nutzungszahlen auch von außen nicht allzu große Beachtung findet. Zwar gibt es bei Odysee interne Richtlinien zur Verhinderung illegaler Inhalte, aber diese werden nicht besonders konsequent durchgesetzt, so Matlach (vgl. Linß/Wiese 2022).

Die Plattform stellt sich selbst als dezentral und zensurresistent dar. Allerdings ist, laut der Fallanalyse des ISD, zu erkennen, dass die Betreiber trotzdem Angebote einschränken, teilweise werden sogar ganze Kanäle blockiert.

Soziale Netzwerke müssen nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (§ 5 NetzDG) eine Person auf ihrer Website nennen, die Beschwerden über rechtliche Verstöße entgegennimmt und an zuständige Stellen weiterleitet. Bei Odysee wird an keiner Stelle auf diese gesetzlich vorgeschriebene zustellungsbevollmächtigte Person hingewiesen. Die Plattform handelt in Deutschland also ordnungswidrig.

In den Fokus des ISD rückte Odysee bei einer Untersuchung zu Wanderungsbewegungen im Internet. Tatsächlich lassen sich solche Migrationen von Nutzer*innen oft angesichts schärferer gesetzlicher Regelungen feststellen. Darüber hinaus scheint die Plattform trotz geringer Reichweite auch finanziell interessant zu sein. In der Studie wurden 53 Accounts analysiert, mit denen innerhalb von 16 Monaten immerhin über 122.000 US-Dollar verdient worden waren (vgl. Matlach et al. 2022). Wie hoch der Anteil an rechtsradikalen Angeboten auf der Plattform insgesamt ist, lässt der Bericht offen. Man kommt allerdings sehr schnell mit solchen Inhalten in Berührung. Trotzdem sei die Plattform „noch nicht im Mainstream angekommen“, so Matlach. Das könnte sich aber bald ändern.

„Eine Youtube-Alternative will die Plattform Odysee offensichtlich sein – und legt sich dafür derzeit mächtig ins Zeug,“ so der Journalist Mattias Schwarzer (2022). Wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erfuhr, werden gezielt bekannte und weniger bekannte YouTube-Influencer*innen angeschrieben, um sie auf die Plattform zu locken. Dabei wird mit 40 Millionen Nutzer*innen geworben – weltweit! „Diese ‚lieben‘ angeblich ‚Vlogs aus dem Urlaub, erlebte Abenteuer und Events‘“ (ebd.).

Paula Matlach schlägt vor, Odysee und andere digitale Plattformen – neben Konzerten, Festivals und Tonträgern – als potenzielle Finanzierungquelle rechtsextremer Angebote in den von Bundesinnenministerin Nancy Faeser vorgestellten Aktionsplan gegen Rechtsextremismus aufzunehmen. Wichtig sei, dass diese Netzwerke in Zukunft nicht mehr unbeobachtet blieben (Matlach et al. 2022, S. 6).

Wie berechtigt der Hinweis ist, zeigt sich, wenn man die Plattform aufruft: RT DE, ein russischer Propagandasender, der in Deutschland seit Anfang März 2022 verboten ist, kann auf Odysee ohne Probleme angesehen werden.
 

Quellen:

Matlach, P./Hammer, D./Schwieter, C.: Auf Odysee: Die Rolle von Blockchain-Technologie für die Monetarisierung im rechtsextremen Onlinemilieu. In: Institute for Strategic Dialogue 2022. Abrufbar unter: www.isdglobal.org

Linß, V./Wiese, T.: Social-Media-Plattform Odysee. Das neue YouTube für Rechte? Gespräch mit Paula Matlach. In: Breitband – Deutschlandfunk Kultur, 20.08.2022. Abrufbar unter: www.deutschlandfunkkultur.de (letzter Zugriff: 26.08.2022)

Schwarzer, M.: Zwischen Nazis und Kochtipps: Die dubiose Welt der Videoplattform Odysee. In: RadaktionsNetzwerk Deutschland, 09.02.2022. Abrufbar unter: www.rnd.de (letzter Zugriff: 26.08.2022)