Verrat für einen guten Zweck

Bundesregierung schafft Regeln für legales Whistleblowing

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Für viele Menschen sind Whistleblower*innen Held*innen, für andere Kriminelle und Verräter*innen. Sie haben vor allem eines: Angst vor Verfolgung und vor harten strafrechtlichen Konsequenzen bis hin zu lebenslanger Haft. Oftmals droht ihnen sogar Lebensgefahr. 

Online seit 24.10.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/verrat-fuer-einen-guten-zweck-beitrag-1122/

 

 

Manche Whistleblower*innen haben es durchaus zu internationaler Berühmtheit gebracht: Edward Snowden, Julian Assange oder die US-Soldatin Chelsea Manning (damals: Bradley Manning), die gegen die Vorschriften des US-Militärs Videos über Folterungen während des Irakkriegs an Wikileaks weitergeleitet hatte und dafür von einem US-Gericht zu 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde (vgl. Süddeutsche Zeitung 2013). Für viele Menschen sind Whistleblower*innen Held*innen, für andere Kriminelle und Verräter*innen. Sie haben vor allem eines: Angst vor Verfolgung und vor harten strafrechtlichen Konsequenzen bis hin zu lebenslanger Haft. Oftmals droht ihnen sogar Lebensgefahr. Edward Snowden ist für die US-Regierung eine Art Staatsfeind Nr. 1: Durch seine veröffentlichten Daten hat er nach US-Sicht großen Schaden angerichtet: „Er hat die Antiterrormethoden der NSA offengelegt, er hat die Abwehr- und Angriffsmethoden Amerikas gegen Cyberangriffe publiziert. Der IS weiß jetzt, dass die NSA schon vor 2009 das Handynetz des IS in Mossul geknackt hatte.“ (Krauel 2016) Snowden musste unter schwierigen und gefährlichen Umständen fliehen und fand Asyl – ausgerechnet in Putins Russland (vgl. Tagesschau 2022). Soweit man das beurteilen kann, hat er aus innerer moralischer Überzeugung gehandelt.

Aber nicht alle Whistleblower*innen sind uneigennützig handelnde Lichtgestalten, manche besitzen durchaus kriminelles Potenzial: Sie stehlen ihren Arbeitgeber*innen – zum Beispiel Liechtensteiner oder den Schweizer Banken – Daten ihrer Kund*innen, um dann die sogenannten Steuer-CDs für Millionenbeträge an deutsche oder internationale Steuerfahnder und Finanzministerien zu verkaufen. Damit verstoßen sie nicht nur gegen ihren Arbeitsvertrag, sondern auch gegen die Gesetze ihres Heimatlandes. So unterstützen sie zwar die Steuerehrlichkeit in Deutschland, aber ihr Motiv ist wohl vornehmlich profitorientiert. Die Frage ist: Würden sie auch durch das geplante Gesetz geschützt?

Für Staat und Gesellschaft sind solche Personen oft von großer Bedeutung, solange staatliche Organe nicht deren Opfer sind, wie die US-Regierung durch Snowden. Nicht nur Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaften und Steuerfahnder setzen auf Whistleblower*innen, auch Journalist*innen brauchen die vertraulichen Insiderinformationen für investigative Recherchen. Sie helfen, Korruption, kriminelle Machenschaften, Ausbeutung von Mitarbeiter*innen, heimliche Videokontrollen bis hin zu Toilettenbesuchen, Untreue leitender Angestellte*r, Steuerhinterziehung etc. öffentlich zu machen und damit abzustellen. Bei der Aufklärung der Vetternwirtschaft in der Führungsetage des RBB hat der Sender extra Ansprechpartner*innen und Regelungen geschaffen, um den Mitarbeiter*innen eine risikolose Möglichkeit zu schaffen, ihre Kenntnisse für die Aufklärung des Skandals zur Verfügung zu stellen – quasi eine Vorwegnahme wichtiger Eckpunkte eines geplanten Gesetzes (vgl. HORIZONT online / dpa 2022).

Aus diesem Grund hatte die Europäische Union bereits 2019 die Hinweisgeberrichtlinie der Europäischen Union verabschiedet, die eigentlich bis zum 17. Dezember 2021 auch in Deutschland hätte umgesetzt werden müssen – gegen Deutschland und andere Mitgliedsländer läuft daher ein Vertragsverletzungsverfahren. Auch der Europäische Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung entsprechende Leitlinien formuliert. Beides will die Bundesregierung nun durch ein Gesetz in deutsches Recht umsetzen.

Das Bundesjustizministerium begründet den Entwurf wie folgt: „Beschäftigte in Unternehmen und Behörden nehmen Missstände oftmals als erste wahr und können durch ihre Hinweise dafür sorgen, dass Rechtsverstöße aufgedeckt, untersucht, verfolgt und unterbunden werden. Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber übernehmen Verantwortung für die Gesellschaft und verdienen daher Schutz vor Benachteiligungen, die ihnen wegen ihrer Meldung drohen und sie davon abschrecken können.“ (Bundesministerium der Justiz 2022)

„Kernstück des Entwurfes ist ein neu zu schaffendes ‚Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen‘ (Hinweisgeberschutzgesetz, HinSchG). Dieses Gesetz soll dem Entwurf zufolge die wesentlichen Anforderungen und Verfahren an den Hinweisgeberschutz beinhalten. Danach müssen grundsätzliche [sic] alle Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine interne Meldestelle einrichten, Unternehmen mit bis zu 249 Mitarbeitenden können dabei Meldestellen gemeinsam aufbauen. Als externe Meldestelle soll grundsätzlich das Bundesamt für Justiz dienen, für einige Bereich [sic] sind spezielle Meldestellen vorgesehen. Wie die Bundesregierung ausführt, ist der Anwendungsbereich entsprechend der Vorgaben der EU-Richtlinie weit gefasst und umfasst neben Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer auch Beamtinnen und Beamten [sic], Anteilseignerinnen und Anteilseigner, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Lieferanten und Personen, die bereits vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses Kenntnisse von Verstößen erlangt haben.“ (Deutscher Bundestag 2022)

Daneben werden aber auch Regelungen für folgende Fälle geschaffen: Wendet sich ein Whistleblower an die Öffentlichkeit – sprich die Medien –, wenn die zuständigen Stellen nicht in angemessener Zeit auf seine Informationen reagieren oder „‚der Verstoß wegen eines Notfalls, der Gefahr irreversibler Schäden oder vergleichbarer Umstände eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann‘ oder ‚im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind‘“ (ebd.). Völlig risikolos allerdings ist das Handeln der Whistleblower*innen nicht: „Für den Hinweisgeberschutz im privatwirtschaftlichen Bereich fordern die Abgeordneten zusätzliche Sanktionsmöglichkeiten für Hinweisgeber, sollte dieser ‚bei der Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt‘ haben. Eine ‚Strafsanktion‘ soll nach Auffassung der Fraktion auch für den Fall vorgesehen sein, ‚dass sich der Hinweisgeber unter Verletzung des Paragrafen 4 GeschGehG eine Information beschafft oder weitergeleitet hat, die als Geschäftsgeheimnis anzusehen ist, wenn sich die Verdächtigung im Nachhinein als falsch herausstellt und das Geschäftsgeheimnis zum Schaden des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses verwertet wird.‘“ (ebd.)

Einem Bündnis verschiedener Verbände, darunter der Deutsche Journalistenverband (DJV) und der Verband privater Medien (VAUNET), gehen die Regelungen allerdings nicht weit genug: „‚Der Gesetzesentwurf schafft nicht die nötige Sicherheit und wird in dieser Form verhindern, dass relevante Informationen bekannt werden‘, kritisiert das Medienbündnis. ‚Missstände und Skandale gehören an die Öffentlichkeit. Journalistinnen und Journalisten und ihre Quellen brauchen eine allgemeinverständliche Gesetzgebung, die Hinweisgebende vor Strafverfolgung und Vertragsstrafen schützt. Es ist ein Gesetz notwendig, das der Transparenz und dem öffentlichen Interesse Rechnung trägt.‘ Das Bündnis appelliert an die Mitglieder des Deutschen Bundestags, die Weichen in die richtige Richtung zu stellen.“ (VAUNET 2022)

Transparency International Deutschland und das Whistleblower-Netzwerk verlangten die Möglichkeit, auch anonyme Meldungen zu ermöglichen: Informationen zu den Skandalen um Wirecard und Cum-Ex seien zunächst anonym abgegeben worden. Rechtsanwalt David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisierte, dass das Gesetz Nachrichtendienste pauschal ausnehmen würde: Der Whistleblower Edward Snowden wäre durch das Gesetz nicht geschützt worden. Dagegen warnte die Wirtschaftsrechtlerin Hildegard Reppelmund, das Gesetz könne für Falschinformationen missbraucht werden (vgl. epd 2022).

Quellen:

Tagesschau (o. A.): US-Whistleblower im Exil – Putin gewährt Snowden Staatsbürgerschaft. In: Tagesschau.de, 26.09.2022. Abrufbar unter: www.tagesschau.de

Bundesministerium der Justiz: Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. 27.07.2022. Abrufbar unter: www.bmj.de

Deutscher Bundestag: Entwurf zum besserer Schutz von Whistleblowern beraten. 29.09.2022. Abrufbar unter: www.bundestag.de

epd: Sachverständige fordern Änderungen am Entwurf zum Whistleblowerschutz. In: epd medien, 19.10.2022. Abrufbar unter: https://epd.de/

HORIZONT online / dpa (o. A.): Nach Vorwürfen gegen Intendantin – RBB richtet Whistleblower-System ein. In: HORIZONT.net, 01.08.2022. Abrufbar unter: www.horizont.net

Krauel, T.: NSA-Affäre –Edward Snowden ist und bleibt ein Verräter.In: Die Welt, 23.09.2016. Abrufbar unter: www.welt.de

Süddeutsche Zeitung (o. A.): Wikileaks-Informant – Manning ersucht Obama um Begnadigung. 21.08.2013. Abrufbar unter: www.sueddeutsche.de

VAUNET: Whistleblowerschutz nach wie vor unzureichend. Pressemeldung, 28.09.2022. Abrufbar unter: https://vau.net/

 

Weiterlesen:

> Wahrheitssucher – Investigativer Journalismus in Film, TV und Serie
Werner C. Barg in mediendiskurs.online, 26.01.2022

> Die Verantwortung der Medien für das Gemeinwohl
Joachim von Gottberg im Gespräch mit Ina Schmidt in: tv diskurs 97, 3/2021, S. 29-34