Von Dr. Sommer zu Dr. YouTube?

Sexualaufklärung im Internet

Nicola Döring

Prof. Dr. Nicola Döring ist Psychologin und leitet das Fachgebiet „Medienpsychologie und Medienkonzeption“ an der Technischen Universität Ilmenau. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören u.a. Gender- und Sexualforschung im Zusammenhang mit alten und neuen Medien.

Wenn Jugendliche Antworten auf ihre sexuellen Fragen suchen, dann wenden sie sich inzwischen bevorzugt an das Internet – vor allem an ihre Lieblingsadresse, die Videoplattform YouTube. Doch welche Art von Aufklärungsvideos finden sie dort?

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 3/2018 (Ausgabe 85), S. 95-99

Vollständiger Beitrag als:

Fragt man Jugendliche in Deutschland heute, auf welchem Wege sie am liebsten Antworten auf ihre sexuellen Fragen erhalten möchten, so steht das Internet an erster Stelle: Die Mehrheit der Jungen (62 %) und Mädchen (59 %) möchte laut bevölkerungsrepräsentativer BZgA-Studie Jugendsexualität 2015 (Bode/Heßling 2015, S. 58) sexuelle Wissenslücken am liebsten via Internet schließen. Alle anderen Medien und alle Vertrauenspersonen folgen erst mit großem Abstand: Nur ein Viertel bis ein Fünftel der Jugendlichen präferiert bei sexuellen Fragen Informationen von Eltern, Lehrkräften oder Peers, aus Fernsehsendungen, Büchern, Broschüren oder Jugendzeitschriften (ebd., S. 18, S. 58).
 

Sexualaufklärung auf YouTube

Nicht nur Jugendliche, auch Erwachsene suchen sexuelle Informationen inzwischen bevorzugt online (Daneback u.a. 2012; Döring u.a. 2017). Denn die Vorzüge des Internets liegen auf der Hand: Man kann online völlig unabhängig von Zeit und Ort sowie ganz diskret und kostenlos auf eine Fülle sexueller Informationen zu allen erdenklichen Themen zugreifen. Sexuelle Informationen findet man im Internet u.a. in Wikipedia, in Onlinezeitschriften und Onlineforen, in Facebook-Gruppen, auf dezidierten Aufklärungswebsites oder in YouTube-Videos.

Wenn Jugendliche das Internet zur sexuellen Informationssuche nutzen, dann geben sie ihre Fragen typischerweise als Erstes in die Suchmaschine Google ein oder suchen direkt auf YouTube (Holstrom 2015; Döring 2017b). Denn die Videoplattform YouTube ist laut bevölkerungsrepräsentativer JIM-Studie 2017 aktuell ihre Lieblingsadresse im Netz: 88 % der Jugendlichen nutzen YouTube mehrmals pro Woche, 63 % täglich (mpfs 2017, S. 43). Doch welche Art von Videos zur Sexualaufklärung finden Jugendliche auf YouTube? Der vorliegende Beitrag beschreibt das Angebot aus sexualpädagogischer Perspektive (für eine ausführlichere Darstellung siehe: Döring 2017a).
 

Anbieter von Sexualaufklärung auf YouTube

Auf YouTube finden sich Tausende von deutschsprachigen Videos, die Informationen über sexuelle Themen wie Kondom, Selbstbefriedigung, Pubertät, Penisgröße, erstes Mal oder Analsex bieten. Ein Großteil dieser Videos stammt von Aufklärungskanälen, die regelmäßig sexuelle Fragen behandeln und somit Dutzende, teilweise Hunderte von Aufklärungsvideos verbreiten. Ein YouTube-Kanal ist dabei gekennzeichnet durch seinen Kanalnamen, die Menge der veröffentlichten Videos und die Anzahl der Kanal-Abonnements. YouTube-Nutzende, die den entsprechenden Kanal abonniert haben, bekommen neue Videos im Push-Modus zugespielt. Nichtabonnenten sehen die Videos im Pull-Modus, wenn sie über die YouTube-Suchmaske gezielt einschlägige Stichworte eingeben.

Im Zuge umfangreicher Onlinerecherchen wurden insgesamt 33 deutschsprachige Aufklärungskanäle auf YouTube identifiziert. Diese ließen sich sechs weitgehend trennscharfen Anbietergruppen zuordnen (ebd.):

  1. Fachkräfte und Fachinstitutionen der Sexualaufklärung,
  2. Berater und Coaches im Bereich „Sexualaufklärung“,
  3. Massenmedien,
  4. Entertainmentbranche,
  5. Erotikbranche und
  6. sexuelle Szenen.

Aufklärungsbezogene YouTube-Videos aller sechs Anbietergruppen werden im Folgenden vorgestellt.
 

YouTube-Videos von Fachkräften und Fachinstitutionen der Sexualaufklärung

In diese Anbietergruppe fallen YouTube-Kanäle, die von akademisch ausgebildeten Fachkräften der Sexualaufklärung aus den Bereichen „Pädagogik“, „Psychologie“, „Medizin“, „Soziale Arbeit“ und angrenzenden Disziplinen stammen. Im deutschsprachigen Raum existieren zumindest zwei Aufklärungskanäle auf YouTube, die von ausgebildeten Sexualpädagogen betrieben werden: 61MinutenSex von Jan Omland (alias Jan Winter) existiert seit 2010 und ist mit über 550 Videos und 220 Mio. Videoaufrufen einer der umfassendsten und reichweitenstärksten deutschsprachigen Aufklärungskanäle auf YouTube. Egal, nach welchem sexualbezogenen Thema man auf YouTube sucht, ein Video des Kanals 61MinutenSex befindet sich fast immer unter den ersten Treffern. Nachgefolgt ist im Jahr 2013 der Sexualpädagoge Benjamin Scholz mit dem Kanal jungsfragen, der rund 280 Videos bietet (Stand: Mai 2018). Beide Kanäle richten sich primär an junge männliche Zielgruppen.

Die Psychologin und Sexologin Ann-Marlene Henning, bekannt durch ihre Aufklärungsbücher und ihre TV-Sendung Make Love (MDR/SWR), betreibt mit DochNochBlog einen Aufklärungskanal, der sich an Erwachsene wendet und sporadisch neue Videos bietet. Neben einzelnen Fachpersonen sind auch Fachinstitutionen auf YouTube vertreten. So betreibt die Deutsche AIDS-Hilfe seit 2009 den YouTube-Kanal Deutsche AIDS-Hilfe, der jedoch eine geringe Reichweite aufweist. pro familia und die BZgA als die beiden in Deutschland wichtigsten Fachinstitutionen der Sexualaufklärung sind auf YouTube (bislang) nicht mit eigenen Aufklärungskanälen vertreten. Insgesamt konnten in der Rubrik „Aufklärungsvideos von ausgebildeten Fachkräften und Fachinstitutionen“ vier deutschsprachige YouTube-Kanäle identifiziert werden.

Im sexualpädagogischen Fachdiskurs wird seit Langem problematisiert, dass die offizielle Sexualaufklärung, die Jugendliche in Elternhaus und Schule erhalten, an den vordringlichen Anliegen junger Menschen vorbeigeht (Döring 2017a; 2017b). Denn die offizielle Sexualaufklärung konzentriert sich meist auf biologische Fakten, Schwangerschaftsverhütung und Geschlechtskrankheiten (Bode/Heßling 2015, S. 36 f.). Was Jugendliche darüber hinaus brennend interessiert, sind jedoch Fragen rund um Liebe, Lust und Leidenschaft. Sie wollen – abhängig von ihrem Alter und Entwicklungsstand – ganz genau wissen, wie alle möglichen Techniken und Stellungen funktionieren, worauf Jungen und Mädchen sexuell besonders stehen, was es mit Pornografie und Selbstbefriedigung auf sich hat. Mit Eltern oder Lehrkräften möchten sie über derart intime Themen aber nicht sprechen, das wäre allen Beteiligten zu peinlich. Hier kommt YouTube gerade recht: Der mediale Kontakt ist diskret und dadurch offen und unbefangen. Jugendliche können alle ihre Fragen stellen, auch die lustbezogenen, und erhalten Antworten. Spitzenreiter auf dem Kanal 61MinutenSex ist entsprechend auch das Video Freundin fingern – so fingert man richtig. Die besten Techniken!?! (2013; 15 Mio. Aufrufe), während auf dem Kanal jungsfragen das meistgeklickte Video Taschen-Muschi bauen (2015; 1,3 Mio. Aufrufe) ist.
 


YouTube-Videos von Beratern und Coaches im Bereich „Sexualaufklärung“

Viel größer als die Zahl der akademisch qualifizierten Fachkräfte im Bereich „Sexualaufklärung“ ist die Zahl der Berater und Coaches mit ganz unterschiedlichen Erfahrungshintergründen, die auf YouTube mit ihren Beiträgen zu weiblicher und männlicher Sexualität, sexueller Heilung, Persönlichkeitsentwicklung und Beziehungsberatung präsent sind. Sie berufen sich als Ausbildungshintergrund oft auf Yoga und Tantra, diverse spirituelle Schulen oder Ansätze der Körperarbeit. Mit den ausdrücklichen Bezügen zur Spiritualität greifen sie einen Aspekt menschlicher Sexualität auf, der in der herkömmlichen Sexualaufklärung oft ausgeblendet wird. Beispiele sind YouTube-Kanäle wie LoveBase Yella Cremer, Das Feuer deines Herzens oder Sexological Bodywork aus der Schweiz.

Andere Coaches verweisen auf keinerlei Ausbildung und berufen sich einfach auf ihren eigenen Entwicklungsweg, so etwa der Kanal Liebe geht raus!. Auch Martin und Sven von dem YouTube-Kanal Männlichkeit stärken (Motto: „Sei frei. Sei geil. Sei Mann.“; mehr als 600 Videos) benennen als Qualifikation auf ihrer Website ausschließlich ihren persönlichen Erfahrungshintergrund: „Früher haben wir gekifft, zu viel Zeit vor dem PC vergeudet, nichts auf die Reihe bekommen und wirkliche Freunde hatten wir auch nicht. Von Frauen ganz zu schweigen. Mittlerweile sind wir Experten für Männlichkeit.“

Auch wenn derartige YouTube-Kanäle Fragen nach der Fachlichkeit aufwerfen, so ist doch ernst zu nehmen, dass Onlinecoaching und Onlineberatung zu Fragen rund um Dating, Flirt und Sex auf YouTube boomen. Die erfolgreichsten Videos des Kanals Männlichkeit stärken widmen sich Themen wie „Frauen ansprechen“, „Frauen befriedigen“, „Frauen richtig lecken“, „Keinen hoch bekommen“ oder „Mein Weg aus der Pornosucht“. Coaches veröffentlichen die kostenlosen YouTube-Videos, um damit bekannt zu werden und für ihre kostenpflichtigen Online- oder Offlinecoachings, Kurse und Bücher zu werben. In der Rubrik „Aufklärungsvideos von Beratern und Coaches“ konnten fünf deutschsprachige YouTube-Kanäle identifiziert werden.

YouTube-Videos von Massenmedien

Die klassischen Massenmedien (Print, Hörfunk, Fernsehen) sind angesichts des Onlinebooms inzwischen auch auf YouTube aktiv. Die Jugendzeitschrift „Bravo“ (Bauer Verlag) mit ihrem legendären Aufklärungsteam Dr. Sommer hat 2016 den YouTube-Kanal Dr. Sommer TV betrieben, ihn inzwischen aber wieder eingestellt. Aufklärungsformate im Fernsehen wie die Sendungen Make Love (MDR/SWR) der Sexologin Ann-Marlene Henning und Paula kommt – Sex und gute Nacktgeschichten (sixx) der Journalistin Paula Lambert sind auf YouTube mit gleichnamigen Kanälen vertreten, die das TV-Programm ergänzen. Der österreichische Radiosender KroneHit bietet flankierend zur Radiosendung Total versext der Journalistin Sandra Raunigg einen gleichnamigen YouTube-Kanal an, der sich ausdrücklich an Frauen richtet. Gedreht wird zu Hause im Bett der Journalistin, wo sie ihre ausschließlich weiblichen Interviewgäste zum sexuellen Erfahrungsaustausch empfängt.

ARD und ZDF starteten im Rahmen ihres jungen Programms funk Ende 2016 den YouTube-Kanal Fickt euch! – Ist doch nur Sex. Hier zeichnet die Journalistin Kristina Weitkamp verantwortlich. Ihre im Auftrag von funk professionell im TV-Studio produzierten Aufklärungsclips richten sich an Jugendliche und liefern Sachinformationen (z.B. Sex während der Periode?, 10 Fakten zu Analsex), berichten von persönlichen Erfahrungen (z.B. Meine größten Sex-Fehler, Ich habe kleine Brüste. Ja und?!), geben Ratschläge und reflektieren Normen (z.B. Soll ich mir die Schamhaare rasieren?; Selbstbefriedigung – Tipps für Mädchen).

In der Rubrik „Aufklärungsvideos von Massenmedien“ konnten vier deutschsprachige YouTube-Kanäle identifiziert werden, wobei sich diese Zahl auf drei reduziert, da funk den Aufklärungskanal Fickt euch! – Ist doch nur Sex im Jahr 2018 nicht mehr weiterführt. Mit knapp 13.000 Kanal-Abonnements nach einem Jahr blieb die Reichweite wohl hinter den Erwartungen zurück.
 


YouTube-Videos von Angehörigen der Entertainmentbranche

Auch wenn YouTube ein wichtiges Informationsmedium darstellt, so überwiegt doch generell die Nutzung zu Unterhaltungszwecken: Musik- und Comedyvideos sind beim jungen YouTube-Publikum besonders beliebt (mpfs 2017). Die zahlreichen Entertainment-Kanäle auf YouTube suchen wiederum nach geeigneten Themen – und hier fällt die Wahl immer wieder auch auf Sexualität, da sich dieses Thema unterhaltsam und aufmerksamkeitswirksam aufbereiten lässt. Humorvolle YouTube-Videos zu Sexpannen oder zu verschiedenen Arten des Küssens greifen Alltagssituationen auf, überspitzen und parodieren sie. Gleichzeitig werden aber auch direkt und indirekt sexualbezogene Werte, Normen und Geschlechterrollen transportiert, weshalb neben dem Unterhaltungseffekt hier durchaus auch Sozialisations- und Lerneffekte zu unterstellen sind. Problematisch mag dabei sein, dass die humoristische Verarbeitung sehr oft an sexuellen und Geschlechterklischees ansetzt und immer wieder vorführt, was angeblich „typisch Junge“ oder „typisch Mädchen“ ist (Döring 2015). Ein Video wie Mädchen normal vs. wenn sie ihre Tage haben (2,3 Mio. Abrufe) auf dem Entertainmentkanal JONAS verstärkt vermutlich eher negative Menstruationsklischees.

Im Vergleich zu den anderen Anbietergruppen verzeichnen sexualbezogene Kanäle aus der Entertainmentbranche die größten Reichweiten in Form von Abrufzahlen, aber auch Kanal-Abonnements. Die jeweiligen Kanalbetreibenden, die sich als Entertainerinnen und Entertainer inszenieren, haben den Status von YouTube-Berühmtheiten mit eigenen Fangemeinden. Aus Gender-Perspektive fällt auf, dass YouTube-Entertainerinnen den Sexualbezug in viel stärkerem Maße als ihre männlichen Kollegen mittels Selbstsexualisierung herstellen: Sie präsentieren sich freizügig vor der Kamera und zielen mit provokanten, an die Ästhetik der Pornografie angelehnten Vorschaubildern und Titeln ihrer Videos (SO BEFRI*DIGE ICH MICH, SO kann man mich BEFRI*DIGEN!) offenkundig auf Voyeurismus ab. YouTube-Entertainerinnen wie Sexy Julia (inzwischen umbenannt in Einfach Echt Julia und Katja Krasavice sind unter Jugendlichen oft Gesprächsthema und erhalten ambivalente Reaktionen: Großes Interesse und sehr hohe Aufrufzahlen gehen stets mit überdurchschnittlich vielen Dislikes und Negativkommentaren („billig“, „peinlich“) einher. Die Trans*Entertainerin Kim-Nala arbeitet als Model, ihr YouTube-Kanal ist Comedy, Beauty und Lifestyle gewidmet, enthält aber auch ernstere Videos wie Mein Freund sieht das 1. Mal eine Transgender Vagina oder Ich wurde vergewaltigt. In der Rubrik „Aufklärungsvideos aus der Entertainmentbranche“ konnten vier deutschsprachige YouTube-Kanäle identifiziert werden.
 

YouTube-Videos von Angehörigen der Erotikbranche

Wer wäre besser darauf vorbereitet, vor der Kamera unbefangen und detailliert über sexuelle Themen zu sprechen und Publikumsfragen zu sexuellen Techniken zu beantworten, als Vertreterinnen und Vertreter der Erotikbranche. Gleichzeitig haben diese Anbieterinnen und Anbieter ein Interesse, ihre Produkte und Dienstleistungen zu bewerben. So werden einschlägige deutschsprachige Aufklärungskanäle dieser Anbietergruppe von einem Sexshop (EIS), der u.a. die neuesten Sexspielzeuge präsentiert, von Pornodarstellerinnen (LexysRoxxstation, Aische Pervers), die u.a. vom Pornodreh berichten, einer Stripperin (AllAboutSEX), die u.a. das Strippen erklärt, und einem Kondomhersteller (BillyBoyOnline), der u.a. die richtige Kondomanwendung thematisiert, betrieben. Dabei ist vom Anbietertyp und dessen ökonomischen Interessen nicht automatisch auf mangelnde Videoqualität oder fragwürdige Inhalte zurückzuschließen. Ein Video wie Kondom richtig überziehen des Kanals AllAboutSEX kann durchaus alle relevanten Informationen zur Kondomanwendung enthalten, die auch Fachinstitutionen vermitteln würden.
In der Rubrik „Aufklärungsvideos aus der Erotikbranche“ konnten fünf deutschsprachige YouTube-Kanäle identifiziert werden.
 

YouTube-Videos von Mitgliedern sexueller Szenen

Sämtliche sexuellen Szenen und Spezialkulturen sind auf YouTube vertreten, darunter LGBTIQ (Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex Queer), aber auch Asexualität, Demisexualität, Pansexualität, Polyamorie, alle möglichen Varianten von BDSM (Bondage and Discipline, Dominance and Submission, Sadism and Masochism) und Fetischen. In der Forschung am meisten beachtet wurden bislang die Repräsentationen von Homosexualität (Wuest 2014) und Transidentität (O’Neill 2014; Raun 2016) auf YouTube. Dabei existieren Kanäle als Kollaborationsprojekte, die jeweils von einem Team betrieben werden und dadurch besonders häufig (oft mehrfach pro Woche) neue Videos veröffentlichen können. Dazu gehören z.B. YouTube-Kanäle wie queerblick, MrThink Queer oder TheNosyRosie. Auf diesen Kanälen geht es um nicht heterosexuelle Lebensweisen, um sexuelle und geschlechtliche Identitäten, Coming-Out-Prozesse und Szene-Informationen (Döring/Prinzellner 2016).


Andere Kanäle werden von Einzelpersonen betrieben, die sich jedoch manchmal mit Partnerin oder Partner vor der Kamera zeigen. Deutschsprachige YouTube-Kanäle von Einzelpersonen existieren mit Fokus auf Homosexualität bzw. Queerness (AbisZett, kNOwHomo, Jan Di, Marcel Dams), Transidentität (TransFleur, JustNate) oder BDSM (Hera’s Tagebuch, bound-nhit). Die Kommunikation auf den Kanälen dieser Anbietergruppe ist als Peer-to-Peer-Kommunikation von und für Angehörige sexueller Minoritäten und Spezialkulturen einzustufen und besonders wichtig, da es den Zielgruppen im Alltag sonst oft an Rollenmodellen fehlt. In der Rubrik „Aufklärungsvideos von und für sexuelle Szenen“ konnten elf deutschsprachige YouTube-Videos identifiziert werden.
 

Fazit

In der Bilanz zeigt sich, dass YouTube eine große Menge und Vielfalt an Aufklärungsvideos bietet. Die identifizierten 33 Aufklärungskanäle, die von sechs Gruppen von Anbietern stammen, präsentieren in Summe mehr als 12.000 Videos, die insgesamt nahezu 900 Mio. Videoaufrufe auf sich vereinen (Döring 2017b). Die Herausforderung für die Wissenschaft besteht darin, die Inhalte der Videos, ihre Nutzung und Wirkung systematisch zu untersuchen und mit anderen Aufklärungsformen zu vergleichen. Die sexualpädagogische Praxis ist gefordert, sich mit eigenen Beiträgen stärker an der Onlinekommunikation auf YouTube und anderen Social-Media-Plattformen zu beteiligen. Denn über Broschüren erreicht man Jugendliche heute kaum noch. Schließlich ist bei YouTube auch die Frage der Medienkontrolle im Blick zu behalten. Offenbar werden bislang recht willkürlich einzelne Aufklärungsvideos mit Altersbeschränkung belegt oder zuweilen auch ganze Kanäle temporär gesperrt. Inwiefern hier wirklich dem Kinder- und Jugendschutz Genüge getan wird oder sich Ressentiments gegenüber bestimmten Themen und Personen durchsetzen, wäre zu klären.
 

Literatur:

Bode, H./Heßling, A.: Jugendsexualität 2015. Die Perspektive der 14- bis 25-Jährigen. Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativen Wiederholungsbefragung. Köln 2015

Daneback, K./Månsson, S./Ross, M./Markham, C.: The Internet as a Source of Information about Sexuality. In: Sex Education, 12/2012, S. 583–598

Döring, N.: Die YouTube-Kultur im Gender-Check. In: merz – medien + erziehung, zeitschrift für medienpädagogik, 1/2015/59, S. 17–24

Döring, N.: Online-Sexualaufklärung auf YouTube: Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen für die Sexualpädagogik. In: Zeitschrift für Sexualforschung, 4/2017a/30, S. 349–367

Döring, N.: Sexualaufklärung im Internet: Von Dr. Sommer zu Dr. Google. In: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung und Gesundheitsschutz, 60/2017b, S. 1016–1026

Döring, N./Prinzellner, Y.: Gesundheitskommunikation auf YouTube. Der LGBTIQ-Kanal „The Nosy Rosie“. In: A. Camerini/R. Ludolph/F. Rothenfluh (Hrsg.): Gesundheitskommunikation im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Baden-Baden 2016, S. 248–259

Döring, N./Daneback, K./Shaughnessy, K./Grov, C./Byers, S.: Online Sexual Activity Experiences Among College Students: A Four-Country Comparison. In: Archives of Sexual Behavior, 46/2017, S. 1641–1652

Holstrom, A.M.: Sexuality Education Goes Viral: What we Know about Online Sexual Health Information. In: American Journal of Sexuality Education, 3/2015/10, S. 277–294

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs): JIM-Studie 2017. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart 2017. Abrufbar unter: https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2017/JIM_2017.pdf

O’Neill, M.: Transgender Youth and YouTube Videos: Self-Representation and Five Identifiable Trans Youth Narratives. In: C. Pullen (Hrsg.): Queer Youth and Media Cultures. London 2014, S. 34–45

Raun, T.: Out Online: Trans Self-Representation and Community Building on YouTube. New York 2016

Wuest, B.: Stories like Mine: Coming Out Videos and Queer Identities on YouTube. In: C. Pullen (Hrsg.): Queer Youth and Media Cultures. London 2014, S. 19–33