Welchen Wert haben Triggerwarnungen?

Eine Studie zeigt, dass sie auch kontraproduktiv wirken können

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Nicht alles, was die Medien präsentieren, kann jeder Zuschauer ohne Probleme verarbeiten. Wirkungsmächtige Bilder oder Narrative können Traumata zurückholen und die Rezipienten in tiefe psychische Probleme stürzen. Zudem können ältere Beiträge der Fernsehgeschichte überholte Rollenschemata oder Werthaltungen beinhalten, die von den Zuschauern nicht übernommen werden sollten. Um die negativen Wirkungen abzumildern, werden in letzter Zeit immer häufiger Triggerwarnungen oder Content Notes, also Inhaltswarnungen, eingesetzt. Eine gerade veröffentlichte Metastudie stellt deren positive Wirkung infrage.

Online seit 25.09.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/welchen-wert-haben-triggerwarnungen-beitrag-772/

 

 

Horst Schimanski hat zwischen 1981 und 2013 im Duisburger Tatort und in Schimanski sowohl verbal als auch im Hinblick auf das Polizei- und Ordnungsrecht manche Grenze überschritten. Harald Schmidt in Schmidteinander oder die Shows mit Otto Waalkes unterhalten zwar heute noch, bewegen sich aber häufig jenseits der aktuellen Political Correctness. Auch bedeutende Philosophen könnten uns irritieren: Wenn man heute eine filmische Biografie über den wichtigsten Denker der Aufklärung, Immanuel Kant, drehen würde, müsste nicht nur die epochale Überlegung, die Vernunft über die Religion zu stellen, Erwähnung finden. Es dürfte auch nicht unerwähnt bleiben, dass er ein Rassist war und die weiße „Rasse“ anderen vermeintlichen „Rassen“ überlegen wähnte (vgl. Beckmann 2020).
 

Umgehen mit historischen Stoffen

Noch bevor Der junge Häuptling Winnetou am 11.08.2022 in die Kinos kam, gab es Krach im Ausschuss der Filmbewertungsstelle (FBW). Während sich die Mehrheit für das Prädikat Besonders wertvoll aussprach, übte eine Minderheit öffentlich harsche Kritik: „Die haben das Klischee und das falsche Idyll bemängelt, das Folkloristische und die Abwesenheit der Lebensrealität der indigenen Völker Nordamerikas als nicht auszeichnungswürdig erachtet. Bemängelt wurden die ihrer Ansicht nach verkitschten Elemente aus dem Karl-May-Kosmos, den man als rückwärtsgewandt empfunden hat und so nicht auszeichnen wollte,“ fasst die Geschäftsführerin der FBW, Bettina Buchler, die Kritik zusammen (Frank 2022).

Wie gehen wir also mit der Ausstrahlung von Filmen oder Shows aus vergangenen Zeiten um, deren zugrundeliegende Wertvorstellungen heute nicht mehr akzeptabel sind? Wie können wir verhindern, dass Zuschauer durch Darstellungen von Gewalt, ob in Bild, Sprache oder Erzählung, an erlebte Traumata erinnert werden und dadurch möglicherweise eine Retraumatisierung erfahren? Die radikale Lösung: Die Sender verzichten auf die Wiederholung solcher alten Sendungen oder potenziell traumatisierender Darstellungen. Doch ist das wünschenswert? Die Inhalte aus der Fernsehgeschichte haben durchaus noch ihre Qualitäten. Zum einen sind sie häufig amüsant, zum anderen stellen sie eben auch ein Stück Zeitgeschichte dar. Eine weniger radikale Lösung: Der Zuschauer wird gewarnt. Und so wird beispielsweise die Wiederholung der mehrteiligen Die Otto-Show im WDR in letzter Zeit von einer Triggerwarnung beziehungsweise einer Content Note begleitet:

Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden.“ (Zitiert nach Schröder 2023)


Rezipienten sollen wissen, was sie erwartet

Immer häufiger stellen die Fernsehsender solchen Inhalten einen entsprechenden Hinweis voran. Und da Triggerwarnungen im Gegensatz zu späten Sendezeiten Zuschauer wahrscheinlich selten davon abhalten, eine Sendung anzuschauen, warnt man lieber, bevor man sich vorwerfen lässt, Rezipienten leichtfertig mit gestrigen Werten, degradierenden Rollenbildern oder traumatisierenden Inhalten zu konfrontieren. Ähnlich verhält es sich bei True Crime: Da kommen schon einmal Schilderungen und Bilder vor, die für zarte Gemüter schwer zu verkraften sind. Auch werden in manchen Spielfilmen erotische Szenen recht explizit dargestellt, was für den einen oder anderen anstößig sein mag. Auch hier: vorsichtshalber warnen. Eine moderne Praxis, die unterschiedlich wahrgenommen wird: „Was für Jüngere durch Instagram, Twitter/X und andere soziale Medien zur Normalität geworden ist, hinterlässt bei Älteren vermutlich Fragezeichen“ (ebd.).
 

Triggerwarnungen auch im Hörsaal

Inzwischen wird auch in Universitäten darüber diskutiert, bei belastenden und möglicherweise traumatisierenden Lehrinhalten Trigger- beziehungsweise Contentwarnungen vorauszuschicken. In einem Gastbeitrag auf FAZ.NET schreibt Eva von Contzen: „Zuletzt sorgten Handreichungen des Gleichstellungsbüros an der Universität Bonn für Diskussionen (F.A.Z. vom 23. September). Wenig präsent sind Perspektiven aus der Praxis. Wie lehrt es sich unter dem wachsenden Druck, zu solchen Warnhinweisen Stellung zu beziehen? In den Literatur- und Kulturwissenschaften ist der Druck besonders hoch. In der Anglistik und Amerikanistik ist die Gretchenfrage ‚Wie halten Sie’s mit Trigger Warnings?‘ längst Teil des Alltagsgeschäfts geworden. Für die Mehrheit der Dozenten, die ohne solche Warnhinweise akademisch sozialisiert wurden, mag der erste Impuls ablehnend sein. Es lohnt sich aber, sich damit auseinanderzusetzen, was Trigger- und Content-Warnungen bewirken können, im Positiven wie im Negativen.“ (Contzen 2023)

Die Autorin wirft die Frage auf, ob die Maßstäbe, nach denen Triggerwarnungen derzeit ausgesprochen werden, den Anforderungen ihrer Stoffe, etwa des literarischen Metiers, gerecht werden: „Umso wichtiger ist es, Literatur in ihre historischen Zusammenhänge einzuordnen und vor dem Hintergrund des Wandels ihre ästhetische Dimension zu erfassen. Dieser Dimension nämlich tragen Inhaltswarnungen keine Rechnung. Dabei sind es immer Inhalt und Form, die Ebenen des Erzählens und des Erzählten sowie ihr Zusammenspiel, die für die Rezeptionserfahrung entscheidend sind. So bleibt auch die Macht des Ungesagten und des nicht Dargestellten unbeachtet. Kann eine Gewaltszene, die nicht erzählt, die nicht explizit erwähnt wird, die man aber in einen Text hineinlesen, hineininterpretieren könnte, Gegenstand einer Inhaltswarnung sein?“ (Ebd.)

Mit Bezug zur Form beziehungsweise zur jeweiligen Fachrichtung stellen sich also auch einige Fragen: Wenn man etwa eine Veranstaltung über Bildethik und die Grenzen des Zeigbaren anbietet, muss man in einem solchen Kontext die Zuschauer warnen? Gehört die Kenntnis darüber, über das man urteilt, nicht zum Handwerk? Oder wenn man im Studium der Geschichte über die Gräueltaten der Nazis berichtet, soll man vorher vor der Gefahr schlafloser Nächte warnen? Jurastudenten können im Rahmen ihrer Ausbildung zum Strafrecht bei Obduktionen zuschauen: Soll man sie vorher warnen, dass ihnen dabei vielleicht übel werden kann?
 

Studien zur Wirkung von Triggerwarnungen

Es gibt verschiedene Studien über die Wirkung von Triggerwarnungen. In der Fachzeitschrift „Clinical Psychological Science“ ist nun eine Metaanalyse erschienen, in der die verschiedenen Studien ausgewertet wurden. Die Psychologen Victoria Bridgland und Kollegen, unter anderem von der Harvard University, haben ein Dutzend Studien analysiert, die die Wirkungsweise von Triggerwarnungen auf das Verhalten von Rezipienten untersuchen. Die Ergebnisse fassen sie wie folgt zusammen:

„Befürworter behaupten, dass Warnungen den Menschen helfen, sich emotional auf belastende Inhalte vorzubereiten oder diese ganz zu vermeiden. Kritiker argumentieren, dass Warnungen sowohl zu einer Vermeidungskultur beitragen, die im Widerspruch zu evidenzbasierten Behandlungspraktiken steht, als auch Angst vor den auf sie folgenden Inhalten schüren. […] Insgesamt stellten wir fest, dass Warnungen keinen Einfluss auf die affektiven Reaktionen auf negative Inhalte oder auf das Verständnis der Inhalte hatten. Allerdings steigerten Warnungen zuverlässig die Affekte im Vorhinein. Die Ergebnisse bezüglich der Vermeidung waren gemischt und legen nahe, dass Warnungen entweder keine Auswirkungen auf die Beschäftigung mit den Inhalten haben oder dass sie die Beschäftigung mit negativen Inhalten unter bestimmten Umständen erhöhten. Einschränkungen und Auswirkungen auf die Einsatzstrategien und die therapeutische Praxis werden diskutiert.“ (Bridgland et al. 2023, Übersetzung ins Deutsche durch Gottberg)
 

Triggerwarnungen können die Angst verstärken

In einigen Experimenten führten die Warnhinweise bei den Probanden selbst zu negativen Emotionen. Ängste entstanden bereits, bevor die Nutzer mit den entsprechenden Inhalten konfrontiert wurden. Beim Anschauen der Inhalte war die emotionale Reaktion zwischen den nicht gewarnten und den gewarnten Zuschauern in etwa gleich. Die Triggerwarnung hatte in diesen Fällen also gar keine Effekte. (Vgl. ebd.) Die Forscher resümierten:

Insgesamt legen die aktuelle Studie und andere Forschungsprojekte nahe, dass Triggerwarnungen kein effektives Instrument sind, um zu verhindern, dass vulnerable Gruppen mit verstörenden Inhalten in Kontakt kommen“ (Bridgland et al. zitiert nach Schröder 2023).

Ähnliches schreibt Sarah Rondot nach einem Gespräch mit dem Psychotherapeuten Christian Lüdke: „Das ist wie bei einer Placebo-Pille, nur umgekehrt. Bei Placebo denken wir, etwas hilft – und dann hilft es auch. Bei einer Triggerwarnung kann es passieren, dass ich Angst bekomme, weil mir die Warnung ankündigt, dass ich Angst bekommen könnte. Die Triggerwarnung weckt eine negative Erwartung, die zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird.“ (Rondot 2023)

Bisher wurden in den Studien vor allem die Kurzzeitfolgen untersucht, die Erforschung von Langzeitwirkungen auf die psychische Gesundheit steht noch aus. Außerdem weisen die Autoren der Metaanalyse darauf hin, dass alle einbezogenen Studien aus westlichen Gesellschaften stammen und die Ergebnisse deshalb nicht auf alle Teile der Welt übertragbar seien (vgl. Bridgland et al. 2023).
 

Bestärken statt warnen?

Der Psychotherapeut Christian Lüdke schlägt vor, zu bestärken statt zu warnen: „Ein Beispiel hierfür ist die Triggerwarnung, die beim Podcast ‚Ein Mensch verschwindet – Daniel Küblböck‘ eingesetzt wird. Dort heißt es: ‚Bevor wir beginnen, möchte ich euch auf Folgendes hinweisen: Es werden in dieser und anderen Folgen Suizid, psychische Erkrankungen, Homophobie, Gewalt und Transfeindlichkeit thematisiert. Falls ihr auf diese Themen sensibel reagiert, hört den Podcast vielleicht lieber mit einer vertrauten Person, mit der ihr die Folgen auch unterbrechen könnt, um euch über das Gehörte zu unterhalten.‘ – Dieser Hinweis regt dazu an, nicht direkt abzuschalten, sondern ermutigt den Hörenden, eine Situation zu schaffen, in der er die Sendung hören kann.“ (Rondot 2023)
 

Quellen:

Beckmann, A.: Wissenschaftsgeschichte. War Philosoph Immanuel Kant ein Rassist? In: Deutschlandfunk, 17.12.2020. Abrufbar unter www.deutschlandfunk.de (letzter Zugriff: 21.09.2023)

Frank,A.: Winnetou-Film spaltete die FBW-Jury. „Es wurde intensiv diskutiert. Aber die Fronten konnten nicht aufgelöst werden“. In: SPIEGEL Kultur, 24.08.2020. Abrufbar unter www.spiegel.de (letzter Zugriff: 21.09.2023)

Bridgland, V. / Jones, P. J. / Bellet, B. W.: A Meta-Analysis of the Efficacy of Trigger Warnings, Content Warnings, and Content Notes. In: Sage Journals, Clinical Psychology Science, 18.08.2023. Abrufbar unter journals.sagepub.com (letzter Zugriff: 21.09.2023)

Contzen, E. v.: Warnhinweise. Der ästhetische Lehrwert der Trigger Warnings. In: FAZ.NET, 29.12.2021. Abrufbar unter www.faz.net (letzter Zugriff: 21.09.2023)

Rondot, S.: Wie sinnvoll sind Triggerwarnungen? In: SWR Wissen. Abrufbar unter: www.swr.de (letzter Zugriff: 21.09.2023)

Schröder, H.: PSYCHOLOGISCHE STUDIE LEGT DAR. Triggerwarnungen machen die Sache erst so richtig spannend. In: FAZ.NET, 18.09.2023. Abrufbar unter www.faz.net (letzter Zugriff: 21.09.2023)