Yippie-yi-o Yippie-yi-yay
Die Westernserie „1883“ bei Paramount+
„What is that? Some eastern kind oft thing?“ – „Far from it.“
1883 ist eine neue Westernserie, die das gewohnt männliche Terrain aus dem Augenwinkel einer 18-Jährigen zeigt. Es lohnt sich, Elsa zu folgen wie sie Kleider gegen Hosen tauscht und ihren Spiegel gegen einen Revolver von Colt: „Die Sterne als Decke, die Erde als Bett, ein gutes Pferd und das weite Land, mehr braucht ein Cowgirl nicht.“ Wie sie sich gegen alle Konventionen von Genre und Familie einfach schnell verliebt und einfach schnell Sex hat und dabei in Echtzeit über ihre jeweiligen Gefühle berichtet. Über Euphorie ebenso wie über tiefe Niedergeschlagenheit. Und das in einem Umfeld, in dem die Schauspieler*innen gut und authentisch aussehen, in dem sie alt sind oder Schwarz oder jung oder ein echtes Ehepaar oder der First Nation angehören. Vorbei sind die Zeiten, in denen die indigene Bevölkerung von weißen Frauen mit Fönfrisuren dargestellt wurde oder mal eben ein paar Dutzend kroatische Bergbauern zu Apachen umgespritzt wurden.
Elsas deutsche Synchronstimme erinnert an die Youtuberinnen Bibi oder Dagi Bee – aber das ist auf den zweiten Blick vielleicht gar nicht so schlecht. Ein bisschen wirkt Elsa mit den minutenlangen Großaufnahmen ihres Gesichtes, mit ihren wehenden blonden Haaren, mit ihren langen subjektiven Monologen wie eine schöne Influencerin. Und wer, wenn nicht sie, könnte auch junge Menschen in eine filmische Westernfiktion führen, in der es weder Amazon noch Instagram, Barista-Kaffee oder überhaupt auch nur WLAN gibt – in den geistigen Dschungel!
Dabei ist 1883 trotz aller Authentizität sogar verdammt hyggelig. Löste das Bild eines Tipis früher noch Assoziationen an Little Bighorn (1876) oder gar an Soldier Blue (1970) aus, bedeutet es jetzt etwas völlig anderes: Glamping! Luxuriöses Cool Camping. Wenn Elsa und Sam unter der frisch gewaschenen Patchworkdecke schmusen, wenn die Familien zu Wolfsgeheul um das Feuer kauern oder die beiden älteren Frauen im zauberhaft pittoresken Gemischtwarenladen in Doans Crossing sich mit Whiskey Sour berauschen, dann erträumt man sich einen Planwagen, die Decke aus Sternen oder eben ein Tipi im Regen.
Trailer 1883 (Paramount+ UK & Ireland, 17.06.2022)
Das Genre Western gebiert in letzter Zeit viele Ableger wie Hell on Wheels, Godless und viele andere. Das bildet vielleicht ein zunehmendes gesellschaftliches Bedürfnis ab: Allen Westernserien gemein ist, dass die Natur viel Raum einnimmt. Etwas, das vielleicht nur noch in der Vergangenheit präsentabel ist. Natur mag man in diesem Zusammenhang noch gerne ansehen. Man muss sich nämlich keine Sorgen um sie machen – nicht wie im richtigen Leben.
Damals war die Welt noch zu groß. Man konnte scheitern beim Versuch, die Grenzen der Zivilisation zu überschreien. Scheitern in der unendlichen, unzivilisierten Weite. Wer wissen will, wie diese neue Welt wirklich aussah, sollte seinen Blick nicht mit zerkratzten Daguerrotypien beleidigen, wie sie auch stilisiert über den Vorspann huschen und wie wir gewohnt sind, den wilden Westen anzusehen. Man betrachte lieber die bis zu acht Quadratmeter großen Gemälde von Albert Bierstadt, A Storm in the Rocky Mountains, Mt. Rosalie etwa von 1866 oder Among the Sierra Nevada Mountains von 1868. Wenn einen schon die Betrachtung einer ungefähr handtellergroßen sehr feinen Malerei etwa von Carl Spitzweg in eine differenzierte Welt führen kann, dann möge man tief Luft holen, sich in diese mindestens so gut ausgeführten Gemälde von beinahe Kinoleinwandgröße werfen und man versteht sofort: Das ist das Land, das die schöne Heldin Elsa „Gott“ nennt, bevor es von „schmutzigen Händen angefasst“ und in nur wenigen Jahrzehnten zerstört wurde. Als hätte man einen Wecker auseinandergenommen, um das Ticken zu finden.
Die Serie gibt sich viel Mühe, dieses Land noch einmal zu zeigen. Meterweise Sonnenunter- und ‑aufgänge. Nebel wabert grünlich über dem Wasser und ein vielleicht sogar echter Tornado tobt über den Bergen und über dem Liebespaar. Funken stieben von den Hufen vorausreitender Pferde und sind auf dem Bildschirm das einzige Licht in der Nacht. Jederzeit ist mit dem Auftauchen von Geisterreitern zu rechnen.
“As the riders loped on by him
He heard one call his name
If you wanna save your soul
From hell a-riding on our range
Then, cowboy, change your ways today
Or with us you will ride
Trying to catch the devil's herd
Across these endless skies”
Eigentlich hat man als Cowboy*girl sogar noch Glück. Man hat die Wahl und kann sich ändern. Wir anderen sind schon auf dem „highway to climate hell with our foot still on the accelerator“.
“Yippie-yi-o
Yippie-yi-yay
Ghost riders in the sky”
Freigegeben ab …
Die Westernserie zeigt die Härten des damaligen Lebens und enthält diverse, überwiegend genretypisch inszenierte Gewaltspitzen, die nicht besonders ausgespielt oder spekulativ dargestellt werden und in die Handlung eingebettet sind. Das historische, alltagsferne Setting ermöglicht ab 12‑Jährigen eine hinreichende Distanzierung vom Geschehen, so dass eine nachhaltige Ängstigung für diese Altersgruppe nicht vermutet wird. Durch die Perspektive der 18-jährigen Erzählerin, für die das Faustrecht und die Omnipräsenz von Gewalt bedrohlich sind, kann auch eine gewaltbefürwortende Wirkung ausgeschlossen werden.
Lediglich in einer Episode überschreitet die dargestellte Gewalt in ihrer Intensität die Verarbeitungsfähigkeiten ab 12‑Jähriger, weshalb diese nur mit Schnitten im Hauptabendprogramm (ab 20.00 Uhr) ausgestrahlt werden kann.
Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.
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> Sendezeiten und Altersfreigaben
Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.
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> Jugendschutz bei Streamingdiensten