Zukünftige Aufgaben der Selbstkontrollen im Medienbereich
Staatliches Handeln stößt immer mehr an seine Grenzen
Die Resonanz der Öffentlichkeit auf die gegenwärtigen gesetzlichen Änderungen und Diskussionen im Jugendschutz fällt eher verhalten aus. Fragen wie die nach dem Schutz vor Gewaltdarstellungen oder pornografischen Bildern, die gestern noch die Gemüter von Politikern, besorgten Eltern und Pädagogen aufwühlten, stehen schon seit einiger Zeit nicht mehr im Mittelpunkt. Themen dieser Art werden zunehmend von der Frage verdrängt, wie Heranwachsende heute insgesamt mit der medialen Flut und der digitalen Vernetzung fertigwerden. Auch die Veränderung der Mediennutzung wird mit Blick auf die Informationsbeschaffung zunehmend als Problem gesehen.
Das Fernsehen stand lange Zeit im Fokus der Medienschelte. Dabei war es in seinen Nachrichtensendungen zumindest immer bemüht, breit über die aktuell bedeutenden Entwicklungen in der Welt zu berichten. Heutige Kinder und Jugendliche rezipieren Fernsehsendungen zwar noch, doch sehen sie diese häufig individuell und zeitlich unabhängig über die Mediatheken. Nachrichten und gesellschaftlich relevante Themen werden dabei nach eigenen Interessen gefiltert, eine breit angelegte Information über Denkweisen und Meinungen anderer findet immer weniger statt. Die Themen werden selektiert: Manche Ereignisse, welche die Welt bewegen, werden selbst dann nicht wahrgenommen, wenn sie für die eigene Lebensgestaltung durchaus von Relevanz sein könnten. Dies erschwert die notwendige Auseinandersetzung mit unterschiedlichen, miteinander streitenden politischen Parteien oder Ideen und damit die Voraussetzung für die Meinungsbildung in der Demokratie.
Neu ist dieses Phänomen keineswegs: Menschen bevorzugen gerne Positionen und Meinungen, die der eigenen Haltung entsprechen. Nur wenige sind daran interessiert, sich konkret über die Denkweisen anderer zu informieren. Die aus der Kommunikationswissenschaft seit Langem bekannte Theorie der kognitiven Dissonanz beschreibt genau das: Wer sich für Sport interessiert, wird in der Regel eine Kulturzeitschrift oder ein politisches Magazin nicht wahrnehmen und umgekehrt (präkommunikative Selektion). Auch im privaten Kreis trifft man sich lieber mit Freunden, die die eigenen Ansichten und Interessen teilen, als mit denen, die andere Meinungen haben. Was sich allerdings geändert hat, ist die Perfektion, mit der z.B. durch Einstellungen in sozialen Netzwerken die Konfrontation mit Botschaften, die der eigenen Haltung widersprechen, blockiert werden kann.
Auch Phänomene wie Beleidigungen und Hassbotschaften in sozialen Netzwerken oder auf Webseiten sowie die Zunahme von Fake News sind eine neue Bedrohung für die demokratische Meinungsbildung. Ist es richtig, die Beseitigung dieses Problems vor allem den Betreibern sozialer Netzwerke zu überlassen? Sollen jetzt Facebook und Co. die Zensur übernehmen, die unser Grundgesetz (GG) eigentlich verhindern will? Sollen Mitarbeiter von Internetfirmen, über deren Einstellungen, Qualifikation und Ausbildung nichts bekannt ist, etwa die Aufgaben von Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten und dem Presserat übernehmen, ohne einer pluralistischen Kontrolle zu unterliegen?
Die Selbstkontrollen im Medienbereich können hier in Zukunft eine wichtige Funktion übernehmen. Sie haben Erfahrung damit, zwischen Anbietern, Gesellschaft und Nutzern zu vermitteln. Der Staat wird dieses Problem allein nicht lösen können. Dies gilt schon wegen des Zensurverbots in Art. 5 Abs. 1 unseres Grundgesetzes, aber auch mit Blick auf die Masse der entsprechenden Angebote. Jugendschutz, das steht schon heute fest, muss in Zukunft neu gedacht und organisiert werden.
Ihr Joachim von Gottberg