Das Fernseharchiv: Der Fall ARABELLA

Christian Richter

Dr. Christian Richter ist Medienwissenschaftler und Referent für Medienbildung am Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg. Sein Forschungsschwerpunkt ist u.a. die Programmgeschichte des Fernsehens.

Aufstieg und Ende der Talkshow Arabella (ProSieben, 1994 – 2004).

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 2/2022 (Ausgabe 100), S. 28-29

Vollständiger Beitrag als:

Natürlich sind wir an Grenzen gegangen. Das war das Konzept der Sendung.“1

Das Fazit der Moderatorin Arabella Kiesbauer zum Ende ihrer täglichen Talkshow Arabella fiel im Juni 2004 nüchtern und distanziert aus. Vorangegangen war dieser Abrechnung eine turbulente zehnjährige Laufzeit, in der sie das deutsche Fernsehen der 1990er-Jahre maßgeblich prägte.

Als Arabella am 6. Juni 1994 um 14.00 Uhr auf ProSieben erstmals zu sehen war, knüpfte die Sendung an den Trend der sogenannten Daily Talks an. Dieses Konzept stammte aus den USA und war zuvor durch Hans Meiser (RTL, 1992 – 2001) und Ilona Christen (RTL, 1993 – 1999) in Deutschland etabliert worden.2

Obgleich sie sich in diese Tradition einreihte, verstand sich die Sendung dennoch als junge Alternative zu den bisherigen „gediegenen Damen und Herren“3, die sich auf den anderen Kanälen austauschten. Dafür kombinierte man die „freche Moderatorin“ mit dem Tempo, der Bildsprache und dem Look der damaligen Musiksender. Das Ergebnis gefiel zwar der anvisierten Zielgruppe, stieß jedoch erwachsene Zuschauende oft ab. So resümierte „Der Spiegel“, dass Kiesbauer durch die Gespräche führe „wie eine Mischung aus Schmetterling und Zappelphilipp: bloß nichts vertiefen, bloß keinen Stillstand. Von einer wie betrunken herumzoomenden Kamera umschwärmt, schneidet die Moderatorin bei jeder sich bietenden Gelegenheit kommentierende Gesichter ins Objektiv.“

Die Rechnung ging trotzdem auf, denn in den Anfängen erzielte Arabella gewöhnlich Marktanteile über 20 % in der werberelevanten Zielgruppe, was bald zu einer Vielzahl von Nachahmer:innen führte – etwa Bärbel Schäfer (RTL, 1995 – 2002), Andreas Türck (ProSieben, 1998 – 2002), Birte Karalus (RTL, 1998 – 2000), Ricky! (SAT.1, 1999 – 2000) oder Britt (SAT.1, 2001 – 2013).

Ein wichtiger Baustein für den Erfolg all dieser Formate war, dass sie häufig Diskussionen über (vermeintliche) Tabus aus den Bereichen „Sexualität“ und „Intimität“ aufnahmen. Insbesondere bei Arabella wurde in unzähligen Episoden – die u. a. die Titel trugen wie Frauen beraten Nieten im Bett, Männer sind schwanzgesteuert oder Sein kleiner Freund, wie groß muss er sein? – am frühen Nachmittag freizügig und bildhaft über sexuelle Vorlieben und Praktiken gesprochen.

Diese Entwicklung sorgte für viel Kritik von Zuschauenden, Initiativen, Kirchenvertreter:innen und (selbst ernannten) Jugendschützer:innen. Einer von ihnen war Mathias von Gersdorff, Leiter der „Aktion Kinder in Gefahr“, der immer wieder lautstark Vorwürfe gegen die nachmittäglichen Produktionen formulierte. Er warf ihnen (und ausdrücklich Arabella) vor, die Kindheit „kurz und klein zu schlagen“, denn durch die ausführlichen Berichte entstehe „eine wahre Sexualsucht, die schnell zu allen möglichen Perversitäten, bis hin zum Sadismus und zur Kinderschändung, führen kann.“5

Derartige Anklagen waren keine Seltenheit und brachten regelmäßig die Landesmedienanstalten oder die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) auf den Plan, die mit zunehmender Häufigkeit einzelne Ausgaben prüften. Darunter befand sich eine Ausstrahlung von Arabella am 25. Juni 1997 zu dem Thema: Im Urlaub will ich nur das Eine. Mathias von Gersdorff hielt dieser vor, Jugendliche würden darin „richtig angeheizt“, sich anonymen Geschlechtsverkehr und sexuellen Exzessen hinzugeben:

Diese Talkshow sagt ihnen, wie das geht. Sie sagt ihnen, an welchen Orten sie ausschweifende Sexualität erleben können und wie sie dazu kommen.“6


Der zuständige Ausschuss der FSF konnte eine solche Gefahr bei exakt dieser Folge allerdings nicht erkennen. Im zugehörigen Prüfgutachten heißt es vielmehr: „Insgesamt appelliert die Sendung an Toleranz: Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse. […] Die deutlichen Sympathien und Beifallsbekundungen der Jugendlichen und Kinder zeigen, daß die Sympathien einer monogamen Freundschaft/Liebe/Partnerschaft gelten, nicht den indifferenten Verhaltensweisen der Befürworter der Promiskuität.“7

Obwohl in diesem speziellen Fall den Anschuldigungen standgehalten werden konnte, war die generelle Kritik an den Shows nicht gänzlich unberechtigt. Schließlich bewegte sich eine große Anzahl von Folgen von Arabella (und ihrer Nachahmer:innen) an der Grenze des Zulässigen – häufig sogar jenseits davon. Für die Ausgabe vom 3. Juli 1997 mit dem Thema Ich werde terrorisiert kommt der Ausschuss der FSF beispielsweise zu dem Urteil, dass diese nicht vor 22.00 Uhr gezeigt werden sollte.8 Arabella Kiesbauer selbst gab nach dem Ende ihrer Sendung zu: „Wir haben sicher themenmäßig oft über die Strenge [sic!] geschlagen – aber das ist wohl rückblickend mit unbändiger jugendlicher Neugierde auf das Leben zu entschuldigen.“9

Als die Daily Talks im Jahr 1998 immer häufiger mit Abmahnungen und Beanstandungen konfrontiert waren, einigte sich die Branche auf einen gemeinsamen Code of Conduct10 – auch, um einer drohenden staatlichen Regulierung zuvorzukommen. Zu einer vollständigen Entschärfung des Genres führte diese Vereinbarung jedoch nicht. Eher zu einer thematischen Verlagerung, die allerdings ebenso durch den wachsenden Wettbewerb entstand.

Auf dem Höhepunkt der Welle zur Jahrtausendwende, als täglich insgesamt 13 verschiedene Sendungen um das Interesse des Publikums buhlten, setzte eine Wandlung ein, in der nun konkrete zwischenmenschliche Streitigkeiten ins Zentrum rückten, die mithilfe von Vaterschaftstests und Lügendetektoren scheinbar gelöst wurden. In dieser Zuspitzung waren die benötigten Zerwürfnisse vermehrt von Autor:innen arrangiert und von Laiendarsteller:innen vorgetragen. Eine Entwicklung, die Arabella Kiesbauer für ihre Talkshow mehrfach öffentlich ablehnte, gegen die sie sich aber nicht dauerhaft zur Wehr setzen konnte. Als der Sender ProSieben entschied, ihr Format angesichts sinkender Quoten in eine Geständnisshow umzuwandeln, in der Schauspieler:innen fiktive Konflikte austragen sollten, endete die zehnjährige Zusammenarbeit abrupt und wenig glamourös. In ihrer letzten Ausgabe am 4. Juni 2004 erhielt Kiesbauer zum Abschied neben einem Ständchen der Deutschland sucht den Superstar-Kandidatin Gracia Baur bloß noch einen großen Teller Sushi. Wohl bekommt’s!
 

Anmerkungen:

1) Festenberg, N. von/Wolf, M.: „Ich fühlte mich wie die Hexe.“ Die österreichische TV-Moderatorin Arabella Kiesbauer, 35, über das Ende ihrer Talkshow und den Siegeszug der Fiktion. In: Der Spiegel, 23/2004, 28.05.2004, S. 104. Abrufbar unter: https://www.spiegel.de (letzter Zugriff: 11.03.2022)

2) Auf die Entwicklung der Talkshows in Deutschland wird ausführlich eingegangen in: Richter, C.  Jenseits der guten Kinderstube. Eine Geschichte des Daily Talks in Deutschland. Abrufbar unter: https://mediendiskurs.online

3) Aus einer Pressemitteilung von ProSieben  Die 2000. Sendung. „Arabella“ goes future. Dezember 2002

4) Der Spiegel: FERNSEHEN 13. bis 19. Juni. In: Der Spiegel, 24/1994, 12.06.1994, S. 238. Abrufbar unter: https://www.spiegel.de (letzter Zugriff: 11.03.2022)

5) Gersdorff, M. von: Talkshows. Die Furche des Schmutzes für die Heime. Frankfurt am Main 1998, S. 255 und 261

6) Ebd., S. 162ff.

7) FSF: FSF-Prüfgutachten Nr. 2324K zu: Arabella Kiesbauer: „Ich werde terrorisiert“. In: tv diskurs, Ausgabe 5, 2/1998, S. 51 – 59. Abrufbar unter: https://mediendiskurs.online (letzter Zugriff 25.04.2022)

FSF: FSF-Prüfgutachten Nr. 2326K zu: Arabella Kiesbauer: „Im Urlaub will ich nur das Eine“. In: tv diskurs, Ausgabe 5, 2/1998, S. 60 – 61. Beide abrufbar unter: https://mediendiskurs.online (letzter Zugriff: 11.03.2022)

8) Ebd.

9) Parke, C.: TV-Plaudertasche: Arabella Kiesbauer: Sah aus wie Stiefschwester der Kelly Family. In: bz-berlin.de, 31.07.2015. Abrufbar unter: https://www.bz-berlin.de (letzter Zugriff: 11.03.2022)

10) Freiwillige Verhaltensgrundsätze der im VPRT zusammengeschlossenen privaten Fernsehveranstalter zu Talkshows im Tagesprogramm vom 30. Juni 1998 (Code of Conduct). In: tv diskurs, Ausgabe 6, 2/1998, S. 90 – 91. Abrufbar unter: https://mediendiskurs.online (letzter Zugriff: 11.03.2022)