Das Fernseharchiv. Der Fall: „Eddy Highscore“

Christian Richter

Dr. Christian Richter ist Fernseh- und Medienwissenschaftler und Referent für Medienbildung. Er beschäftigt sich mit der Theorie und Programmgeschichte des Fernsehens und den Mechanismen und Ästhetiken von On-Demand-Angeboten sowie mit Medienbildung und Digitaler Bildung.

Hauptsache Zukunft, Computer und Interaktion. Die kurzlebige ZDF-Show X-Base präsentierte im Jahr 1994 allerhand technische Spielereien und mit Eddy Highscore den ersten computeranimierten Moderator in einer deutschen Live-Sendung. Das Fernseharchiv blickt diesmal auf eine frühe Vorstellung von KI und ihre Wurzeln in der 80er-Kultfigur Max Headroom zurück.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 3/2023 (Ausgabe 105), S. 4-5

Vollständiger Beitrag als:

[Er] sieht aus wie eine Animation, die sich aus der Amiga-Konkursmasse rübergerettet hat und in Augenblicken höchster technischer Brillanz mal eine Augenbraue zucken läßt.“1


Besonders großer Beliebtheit erfreute sich Eddy Highscore wahrlich nie, obwohl sich hinter ihm eine technische Sensation verbarg. Schließlich war er der erste virtuelle Moderator des deutschen Fernsehens und seiner Zeit gleichzeitig voraus und hinterher. Aber der Reihe nach. Eddy Highscore war Bestandteil der Spielshow X-Base – Computer Future Club, die am 3. Oktober 1994 im ZDF auf Sendung ging und für den öffentlich-rechtlichen Kanal dringend benötigte junge Zuschauende anlocken sollte. Dafür erschuf man ein Konzept, das sich Computerspielen widmete und hierbei nicht bloß serviceorientierte Informationen über Games und Hardware lieferte, sondern das Spielen selbst in den Fokus rückte. Erste Erfolge mit diesem Ansatz feierten bereits die kurz vorher gestarteten Reihen Playtime TV (RTL ZWEI 1994), Games World (SAT.1 1994 – 1995) und Hugo – Die interaktive Gameshow (Der Kabelkanal 1994 – 1997).

Die nachmittägliche ZDF-Variante entstand auch in einer Zeit des digitalen Aufbruchs, als virtuelle Realitäten und computergenerierte Bilder zunehmende Präsenz erfuhren. Außerdem versprach das sogenannte „interaktive Fernsehen“, schon bald über die heimische Mattscheibe Einkäufe, Bankgeschäfte, Lernprogramme und Spiele sowie die Mitgestaltung des TV-Programms, den Abruf von Videofilmen sowie das Kommunizieren mit fremden Personen ermöglichen zu können (vgl. Schwarz 1995). Diesem Trend folgend integrierte man in X-Base alle verfügbaren Elemente, die irgendwie interaktiv oder innovativ schienen. Die Zuschauenden konnten sich per Bildschirmtext (Btx) beteiligen, über die Auswahl von Videoclips per Telefon abstimmen, an den Computerspielen mittels Mehrfrequenztelefon teilnehmen oder stationäre Terminals nutzen, die in Deutschland verteilt und über ISDN-Bildtelefon mit dem Studio verbunden waren. Die Produktion war zudem eine der ersten, die im damals neuen PALplus-Modus und somit im Format 16 : 9 ausgestrahlt wurde. Das Studio war in spaciger Raumschiff-Optik gestaltet, die meiste Zeit dominierten Computerfenster und Splitscreens das Fernsehbild. Alles musste nach Zukunft, Computer und Interaktion geradezu schreien, weil doch junge Menschen solche Dinge liebten.

Als Krönung erhielt die Show noch einen virtuellen Moderator, der die überdrehten menschlichen Präsentator:innen unterstützen sollte. Aus heutiger Sicht kann jener Eddy Highscore als eine frühe Version von künstlicher Intelligenz (KI) verstanden werden, die mit einem menschlichen Antlitz auf einem Bildschirm menschenähnlich agierte und über ein umfassendes Wissen verfügte.

Er knüpfte an die ikonische Figur Max Headroom an, der im Jahr 1985 erstmals in Erscheinung trat und sich zu einem „einzigartigen Pop-Kultur-Phänomen der 80er entwickelte, der alles Wunderbare und Schreckliche der Dekade in sich vereinte“ (Bishop 2015). Einst beworben als erster computergenerierter TV-Host, erlangte Max Headroom durch seine arrogante Art und seine bissigen Kommentare schnell große Bekanntheit. Er präsentierte zunächst eine Musikshow für einen britischen Kanal, bekam später eine Talkshow, eine US-Krimiserie und wurde zum Gesicht für eine große Kampagne von Coca-Cola.

Hinter ihm verbarg sich eine Vorstellung von künstlicher Intelligenz, die sich gänzlich vom aktuellen Verständnis unterschied, schließlich trug die Figur laut verfilmter Entstehungsgeschichte den übertragenen Geist eines verunglückten Fernsehjournalisten in sich. Max Headroom war damit eine (fiktionale) KI, die nicht versuchte, durch neuronale Netze, enorme Datenmengen und selbstlernende Algorithmen das komplexe menschliche Denken zu imitieren. Vielmehr steuerte in ihr ein echter menschlicher Geist die Rechenprozesse. Sie war also eine menschliche Intelligenz, die in einer Maschine am Leben erhalten wurde, und keine Maschine, die durch ihre Programmierung den Anschein von Lebendigkeit erweckte.
 

1985: MAX HEADROOM – TV Host of the FUTURE? (BBC Archive, 24.03.2022)



Auch wenn Max Headroom überzeugend artifiziell-künstlich wirkte, war er gar nicht virtuell. Hinter ihm verbarg sich nämlich der kanadische Darsteller Matt Frewer, der mithilfe von Maskenprothesen, Kontaktlinsen, Make-up und einem Anzug aus Plastik die Figur vor einem Greenscreen lediglich spielte. Nachträglich hinzugefügte Glitches (= kleine Störungen) und Stottereffekte perfektionierten die Täuschung. Das Team hinter Max Headroom erzeugte folglich nur eine Illusion von Virtualität. Einige Jahre später nahm die Produktionsfirma Me, Myself & Eye Entertainment GmbH diese Idee für ihr neues Projekt X-Base wieder auf und beauftragte die Firma Vierte Art GmbH mit der Umsetzung. Deren Version verzichtete jedoch auf den Zynismus und das Charisma der Vorlage. Sie geriet eher harmlos und erinnerte dank Glatze und Sonnenbrille optisch an den Sänger der Popgruppe „Right Said Fred“. Über ihn ist auch keine spannende Hintergrundgeschichte bekannt. Und dennoch war Eddy Highscore ein technischer Meilenstein. Wie Olaf Schirm, der Entwickler des zugrunde liegenden Verfahrens, auf Nachfrage erläuterte, sei es ihm und seinem Team erstmals in einer Livesendung gelungen, die Gesichtsbewegungen eines Sprechers (Florian Halm) mithilfe eines speziellen Helms (dem sogenannten Face Tracker) aufzunehmen und dann von einer selbst entwickelten Software auf die Mimik einer computeranimierten Figur zu übertragen. Dies erfolgte in wenigen Millisekunden und ließ sich mit der Stimme synchronisieren, wodurch Eddy tatsächlich live zum Leben erweckt wurde und spontan reagieren konnte. Aufgrund der beschränkten Leistungsfähigkeit der zur Verfügung stehenden Rechner ließ sich dieses Verfahren allerdings lediglich auf eine im Vergleich zu aufgezeichneten Animationen detailarme und starre Grafik übertragen, was insbesondere unter Gamer:innen große Häme auslöste. Das aber war bloß die Oberfläche, denn anders als Max Headroom stammte Eddy Highscore tatsächlich aus dem Inneren eines Computers.

So richtig wusste die Redaktion offenbar nichts mit dieser bahnbrechenden Technik anzufangen, denn Eddys Einsätze beschränkten sich oft einzig darin, Neuigkeiten oder Programmankündigungen vorzutragen. Dabei wäre technisch ebenso eine direkte Interaktion mit den Gastgeber:innen oder Anrufenden möglich gewesen. Zudem waren die 25‑minütigen Ausgaben derart vollgepackt, dass für einzelne Segmente oft nur wenige Sekunden blieben und technische Innovationen wie Eddy Highscore in der Hektik des Ablaufs schlicht verpufften. Als X‑Base nach 144 Folgen wegen mangelnden Zuspruchs eingestellt wurde, verschwand mit der Sendung auch der virtuelle Moderator.

Am Ende fand der eingangs zitierte Heinrich Lenhardt doch noch versöhnliche Worte für Eddy Highscore. Dieser sei wenigstens „nicht ganz so peinlich wie seine menschlichen Kollegen“ (Lenhardt 1994). Na, immerhin.
 


Anmerkung:

1) Lenhardt, H.: A. a. O., S. 10
 

Literatur:

Bishop, B.: Max Headroom: the definitive history of the 1980s digital icon. In: theverge.com, 02.04.2015. Abrufbar unter: https://www.theverge.com

Lenhardt, H.: Hey – Hey – Hey! In: PC Player, 12/1994, S. 10

Schwarz, A.: Utopie und Realität interaktiven Fernsehens. Ein Bericht aus der Praxis. In: Montage AV, Ausgabe 5, 1/1995/4, S. 143–160