Das Fernseharchiv. Der Fall: TUTTI FRUTTI reloaded

Christian Richter

Dr. Christian Richter ist Medienwissenschaftler und Referent für Medienbildung am Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg. Sein Forschungsschwerpunkt ist u.a. die Programmgeschichte des Fernsehens.

Zu Beginn der 1990er-Jahre erhitzte die Spielshow Tutti Frutti mit freizügigen Obst-Mädchen, undurchsichtigen Regeln und unzähligen entblößten Brüsten die deutschen Gemüter. Rund 23 Jahre nach ihrer Einstellung kehrte sie als lieblose Ramschnummer auf den Bildschirm zurück. Das Fernseharchiv blickt auf die Neuauflage der einstigen Skandalsendung zurück und versucht zu erklären, warum das Remake derart missglückte.

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 4/2022 (Ausgabe 102), S. 8-9

Vollständiger Beitrag als:

Es ist eine Billignummer, dass man wirklich fassungslos vor dem Fernseher sitzt.“1

Am Tag nach Ausstrahlung der Neuauflage von Tutti Frutti überschlugen sich Kritiker:innen wie Peter Zudeick mit negativen und meist hämischen Verrissen. Weil zudem die Sehbeteiligungen verhalten blieben, sollte es bei diesem einmaligen Versuch bleiben.

Dabei demonstrieren Sendungen wie TV total (ProSieben, 1999–2015; seit 2021), Geh aufs Ganze! (SAT.1, 1992–1997; Kabel Eins, 1999–2003; SAT.1, seit 2021), Der Preis ist heiß (RTL, 1989–1997; 2017; seit 2022), Die 100.000 Mark Show (RTL, 1993–2000; 2008; seit 2022) und Wetten, dass ..? (ZDF, 1981–2014; seit 2021) derzeit, dass die Exhumierung eigentlich beerdigter TV‑Ideen ein Erfolg versprechendes Vorgehen sein kann. Schließlich lassen sich im Programm zunehmend Reanimationen entdecken, die oft ein genügend relevantes Publikum erreichen. In ihnen erfahren vergangene Formate oft unter Mitwirkung von damals Beteiligten eine detaillierte und weitgehend ironiefreie Reinszenierung. Der Reiz dieser Sendungen speist sich dabei einzig aus der eigenen Historie; und mit beeindruckender Vehemenz werden alle Gründe, warum sie ursprünglich eingestellt wurden, ignoriert.
 

Tutti Frutti mit Hugo Egon Balder 1990 – 1993 (© RTL)
 

Oft scheint es so, als machte es sich das Fernsehen angesichts der wachsenden digitalen Konkurrenz durch Netflix, Amazon Prime Video und Co. lieber in der eigenen Vergangenheit gemütlich. Doch allein durch das starke Aufkommen von Streaminganbietern ist dieses Phänomen nicht zu erklären. Wie die Fernsehwissenschaftlerin Joan Kristin Bleicher belegt, werden die Programme privater und öffentlich-rechtlicher Sender bereits seit Jahrzehnten von einer stetigen Selbstthematisierung geprägt, bei der „das eigene Programm als verwertbare Reserve“ zum Einsatz kommt (Bleicher 1994, S. 154). Der aktuelle Retrotrend ist also eigentlich selbst retro.

Für Bleicher leistet das Fernsehen mit der Wiederaufführung oder Reinszenierung vergangener TV-Momente einen erheblichen Beitrag zur eigenen Historisierung und definiert in diesem Prozess selbst, „was einen Programmhöhepunkt darstellt, an den es zu erinnern […] lohnt“ (ebd., S. 156). Das Fernsehen nimmt auf diese Weise den Zuschauenden die Entscheidung aus der Hand und bestimmt schlicht selbst, welche Inhalte im kollektiven Gedächtnis haften bleiben sollen … Und im Jahr 2016 hatte das Fernsehen (genauer Verantwortliche der RTL Group) beschlossen, dass die erotische Spielshow Tutti Frutti (RTLplus, 1990–1993) zu einem solchen Höhepunkt der Fernsehgeschichte erhoben werden sollte.

Ganz abwegig war der Gedanke nicht, gehörte die Sendung bei ihrem Start im Januar 1990 doch unzweifelhaft zu den meistdiskutierten Formaten in der deutschen Programmgeschichte – wohl nicht zuletzt wegen der absichtlichen Banalität und dem erzwungenen Tabubruch. Schließlich galt es in der Show, durch simple Glücksspiele weibliche Models zu entblößen. Dazu gehörten sowohl das „Cin-Cin-Ballett“, dessen Tänzerinnen spärlich als Früchte verkleidet waren, als auch die schlüpfrigen Moderationen durch Hugo Egon Balder sowie die fortwährend als unverständlich beschriebenen Regeln, die aber ohnehin als unwichtig galten. Hauptsache, die Brüste zogen blank. Der Journalist Joachim Huber bringt es in seiner Kritik auf den Punkt: „Mit ‚Tutti Frutti‘ holte das (kommerzielle) Fernsehen nach, was das Kino mit den Lederhosen-Rammeleien schon erledigt hatte“ (Huber 2016).
 

Tutti Frutti 2016 (© RTL Nitro/Christoph Assmann)
 

Ihr Comeback erfuhr die Show am 30. Dezember 2016 nicht wie einst im Hauptprogramm von RTL, sondern auf dem kleineren Spartenkanal RTL NITRO. Und auch sonst gab es darin zahlreiche Änderungen: Anstelle eines bunt dekorierten Studios in Italien diente nun ein schmucklos-abgehangener Berliner Nachtklub als Aufzeichnungsort für das vermeintlich frivole Treiben. Natürlich fiel bereits das ursprüngliche Setting nicht durch allzu geschmackvolles und dezentes Design auf, es vermittelte jedoch wenigstens eine fernsehtypische Atmosphäre. Die neue Location vermochte dies nicht zu leisten – oder wie es der Kritiker Hans Hoff in seiner unverkennbaren Art pointiert formulierte: Es war eine Kulisse, die „in ihrer billigen Erbärmlichkeit wirkt, als sei sie beim letzten Versicherungsvertreterbelohnungsausflug in einen Budapester Billigpuff übrig geblieben“ (Hoff 2016).

Vor diesem Hintergrund bestand für zwei neue Kandidat:innen die unveränderte Aufgabe, in sichtlich abgespeckten Würfel- und Kartenspielen erneut Länderpunkte zu sammeln, um diese dann für Strip-Darbietungen einzulösen. Der Ablauf wurde allerdings immer wieder durch Ausschnitte aus den Originalausgaben und durch Gespräche mit früheren Teilnehmenden unterbrochen, sodass stets unklar blieb, ob die Produktion ein Rückblick oder eine Neuauflage sein wollte. Der einstige Gastgeber Hugo Egon Balder hatte die Präsentation einer Fortsetzung abgelehnt und erschien deshalb nur kurz als Pointe am Ende der Ausstrahlung. Seine Rolle übernahmen der Schauspieler Alexander Wipprecht sowie der Gameshow-Veteran Jörg Draeger, die den inhärenten Sexismus unter dem Gegröle des Publikums jetzt zum Kult hochstilisierten und in „Die-gute-alte-Zeit“-Watte einhüllten.

Auch wenn man diesen Aspekt und die vielen handwerklichen Unzulänglichkeiten ausblendet, trug die Neuauflage mit ihrer Unentschlossenheit eine konzeptionelle Schieflage in sich, die maßgeblich zu ihrem Scheitern beitrug. Bei den jüngsten Reaktivierungen von Der Preis ist heiß oder Die 100.000 Mark Show zeigt sich, dass diese Formate gern angenommen werden, wenn sie sich möglichst nah am Ausgangsmaterial bewegen. Es braucht dieselben Kulissen, dieselbe Musik und dieselben Moderator:innen (oder zumindest frühere Sidekicks). So war es ebenfalls bei der erfolgreichen Reanimation von Geh aufs Ganze! (wieder mit Jörg Draeger) zu beobachten, die konsequenterweise mit den Worten eröffnet wurde: „Hören Sie? Wir haben die Musik natürlich nicht geändert. Es ist alles wie immer“ (Geh aufs Ganze!, SAT.1, 26.11.2021).

Über die vielen Remakes des Kinofilms Invasion of the Body Snatchers (USA, 1956) schreibt Frank Kelleter, dass sich eine Generation als solche in der Art und Weise erkennt, wie sich ihre Version des Films gegenüber den vorangehenden unterscheidet (Kelleter 2015, S. 160). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sich jede Generation über ihre medialen Versionen eines Stoffes definiert. Damit diese „generationenübergreifenden Existenzbelege“ (ebd., S. 161) als solche erkennbar bleiben, müssen sie aber inszenatorisch voneinander abgrenzbar sein und eine ausreichend deutliche Differenz zueinander aufweisen. Genau das hat bei Tutti Frutti nicht funktioniert, denn anders als bei Geh aufs Ganze! war eben nicht „alles wie immer“. Weder entstand eine neue Version, die eine neue Generation für sich beanspruchen konnte, noch blieben genügend ursprüngliche Elemente erhalten, um für die damalige Generation als ihre Version erkennbar zu bleiben. Das Ergebnis war also weder Fisch noch Fleisch oder – um im Bild zu bleiben – weder Erdbeere noch Kirsche. Chin-chin.
 

Anmerkung:

1) Peter Zudeick in: Deutschlandfunk Kultur, 31.12.2016
 

Literatur:

Bleicher, J. K.: Das Fernsehen im Fernsehen. Selbstreferentielle Sendungen im Unterhaltungsprogramm. In: L. Bosshart/ W. Hoffmann-Riem (Hrsg.): Medienlust und Mediennutz. Unterhaltung als öffentliche Kommunikation. München 1994, S. 147–161

Deutschlandfunk Kultur: Erotik-Show Tutti Frutti. Fassungslos vor dem Fernseher. Peter Zudeick im Gespräch mit Ute Welty. In: deutschlandfunkkultur.de, 31.12.2016. Abrufbar unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de

Hoff, H.: Wer „Tutti Frutti“ anschaut, möchte sich in einer Tour schämen. In: sueddeutsche.de, 30.12.2016. Abrufbar unter: https://sz.de

Huber, J.: RTL Nitro zeigt „Tutti Frutti“-Comeback. Die Billig-Nummer. In: tagesspiegel.de, 28.12.2016. Abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de

Kelleter, F.: Das Remake als Fetischkunst. Gus Van Sants „Psycho“ und die absonderlichen Serialitäten des Hollywood-Kinos. In: POP. Kultur und Kritik, 2/2015/4, S. 154–173