Kolumne: Die grüne Illusion

David Assmann

David Assmann ist freier Filmkritiker, Filmemacher und Filmwissenschaftler. Er ist Mitglied des Auswahlgremiums von Berlinale Generation, der Jury für den Kinder & Jugend Grimme­ Preis und seit 2018 Prüfer bei der Frei­willigen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Die Verheißung von Nachhaltigkeit ist ein beliebtes Marketing-Tool geworden. David Assmann beschäftig sich mit „Greenwashing“ in all seinen Facetten.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 2/2023 (Ausgabe 104), S. 56-57

Vollständiger Beitrag als:

In gewisser Hinsicht ist das Phänomen Greenwashing ein positives Zeichen. Eine gute Klima- und Umweltbilanz ist als Marketingstrategie so wichtig geworden, dass keine Branche und kaum ein Unternehmen mehr darauf verzichten kann. In der Werbung wird Nachhaltigkeit immer häufiger als entscheidendes Verkaufsargument präsentiert. Um im öffentlichkeitswirksamen Imagewettbewerb nicht das Nachsehen zu haben, verpassen sich Firmen ein grünes Profil – und nehmen es dabei mit der Wahrheit nicht immer ganz genau. Eher nehmen sie das Risiko in Kauf, dass ihre Behauptungen als heiße Luft entlarvt werden, als ohne Ökosiegel, Ozeanplastik-Anteil oder Netto-Null-Versprechen dazustehen. Die Relevanz einer klimabewussten Wirtschaft ist also offensichtlich im öffentlichen Bewusstsein angekommen – und die Wirtschaft kann sich davor nicht länger verschließen: Das ist die gute Nachricht. In jeder anderen Hinsicht ist Greenwashing ärgerlich, skandalös und, was am schlimmsten ist, für den Klimaschutz kontraproduktiv.
 


Ärgerlich ist Greenwashing, weil es sich immer um eine Täuschung handelt: Produkte und Dienstleistungen werden als nachhaltiger dargestellt, als sie es in Wirklichkeit sind. Nur selten handelt es sich dabei um handfesten Betrug wie beim Dieselskandal von VW, meist geht es eher um irreführende Angaben. So kann beispielsweise der ökologische Anbau einer Zutat stark hervorgehoben werden, die unter etlichen anderen konventionell erzeugten Bestandteilen nur einen verschwindenden Anteil hat. Oder die Angabe „recycelt“ bezieht sich bei näherem Hinsehen nicht auf das Produkt selbst, sondern nur auf Teile seiner Verpackung.

Für Kennzeichnungen wie „umweltfreundlich“, „regional“, „nachhaltig“, „natürlich“, „ökologisch“, „bio“ oder „fair“ gibt es keine einheitlich geschützten Definitionen und Regeln, weshalb sie nahezu beliebig verwendet werden können. Subtiler, aber keineswegs weniger effektiv, ist die Wirkung eines Designs, das Naturnähe suggeriert und von der Werbung bis zum Supermarktregal allgegenwärtig ist: Bilder von Wasserfällen und opulenten Wäldern oder organische Strukturen wie Holz, Gras und Moos vermitteln implizit eine Anmutung von Nachhaltigkeit. Im Logo von McDonald’s prangt das gelbe M seit 2009 auf grünem statt auf rotem Grund. Ganz ohne ausdrückliche Versprechen oder Verpflichtungen wird so bei Konsument*innen das gute Gefühl erzeugt, beim Einkauf nicht nur auf Qualität und Preis geachtet, sondern auch an die Umwelt, das Klima, die Zukunft gedacht zu haben.

Doch auch Marken, die ihre Nachhaltigkeitsversprechen einhalten, können problematisch sein. Nicht selten handelt es sich bei ihnen lediglich um ein öffentlichkeitswirksames Rädchen in einem Unternehmensgeflecht, gegründet oder aufgekauft als eine Art Bio-Feigenblatt, das es dem Mutterkonzern erlaubt, weiterhin seine umwelt- und klimaschädlichen Geschäfte zu machen. So wie die Naturkosmetikmarken Sante, Logona, Neobio und Heliotrop (unter dem Dach von L’Oréal, das wiederum zu 24 % dem umstrittenen Lebensmittelriesen Nestlé gehört), die Pflanzendrinkhersteller Alpro und Provamel (Danone), die Eis-Hippies Ben & Jerry’s und der Bio-Tee von Pukka (Unilever) oder Honest Bio-Tee (Coca-Cola Company).
 


Ärgerlich ist Greenwashing, weil es sich immer um eine Täuschung handelt: Produkte und Dienstleistungen werden als nachhaltiger dargestellt, als sie es in Wirklichkeit sind. 



Ein weiterer Weg für Konzerne, nachhaltig zu erscheinen, ohne ihre Geschäftspraktiken zu ändern, ist das Modell der CO₂-Kompensation. Es geht in die 1990er-Jahre zurück und war ursprünglich mal eine gute Idee: Im Kyoto-Protokoll legten sich 1997 die Industrienationen auf verbindliche Einsparziele für den Treibhausgas-Ausstoß fest. Entwicklungs- und Schwellenländer verpflichteten sich hingegen nicht zu Einsparungen. In diesen Ländern konnten Konzerne, die in Klimaschutz investieren wollten, für ihr Geld sehr viel mehr bewirken als in den Industrieländern, wo an den effektivsten Einsparschrauben bereits gedreht wurde. Durch Maßnahmen wie den Bau von Wind- und Wasserkraftanlagen konnte so in einem Teil der Welt das CO₂ eingespart werden, das in einem anderen Teil ausgestoßen wurde. Spätestens mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 geht diese Rechnung jedoch nicht mehr auf. Seitdem haben alle Länder eigene Einsparziele definiert, wodurch die Möglichkeiten für private Klimaschutzinvestitionen schwinden: Weil die günstigsten und wirksamsten Einsparpotenziale bereits durch die Staaten vorgenommen werden, bleiben nur teurere und weniger wirksame Optionen übrig. Das hat das Kompensationsmodell jedoch nicht davon abgehalten, sich in den letzten Jahren rasant zu verbreiten.

Bei der Industrie am beliebtesten ist der Ausgleich durch Aufforstung, weil sie leicht verständlich ist und so schöne Bilder produziert. Gleichzeitig ist es hier jedoch ganz besonders schwer zu überprüfen, ob das Versprechen auch eingehalten wird. Das beginnt mit der entscheidenden (und oftmals nicht zweifelsfrei zu klärenden) Frage, ob ein Wald wirklich nur durch die Ausgleichszahlungen angepflanzt bzw. erhalten wird oder ob dies ohnehin geschehen wäre. Wichtig ist auch die zeitliche Dauer: Bäume nehmen beim Wachsen zwar CO₂ auf, geben es aber, wenn sie verrotten oder verbrennen, wieder in die Atmosphäre ab. Der Nutzen für das Klima ist dann dahin. Das kann absichtsvoll geschehen, weil beispielsweise ein Waldschutzprojekt ausläuft, ist manchmal aber auch schlicht nicht zu verhindern: Bei den Waldbränden an der US-Westküste im Jahr 2020 brannten große Waldflächen ab, für deren Aufbau Unternehmen bezahlt hatten, um ihre eigenen Treibhausgase wegzurechnen.
 

 

Expert*innen sind sich einig, dass Kompensationsprogramme nur dort sinnvoll sind, wo klimaschonende Alternativen nicht existieren, etwa bei (unvermeidbaren) Langstreckenflügen. Den eigenen Benzinverbrauch auszugleichen, ist insofern Unfug, als mit Fahrrad, Elektroauto und Eisenbahn sehr viel wirksamere Wege zur Einsparung offenstehen. Mit seinem Ausgleichsangebot, bei dem Autofahrende für nur 1,1 Cent zusätzlich pro Liter getanktem Benzin oder Diesel die CO₂-Emissionen der eigenen Fahrt ausgleichen können, überträgt Shell nicht nur, wie von der fossilen Energiewirtschaft seit Jahrzehnten praktiziert, die Verantwortung für den Klimawandel auf den Individualkonsum jedes und jeder Einzelnen. Die völlig willkürliche Berechnung verharmlost auch das Ausmaß des Problems und sendet ein verheerendes Zeichen, weshalb diese Kampagne 2022 mit dem Schmähpreis Goldener Geier der Deutschen Umwelthilfe (DUH) für die dreisteste Umweltlüge des Jahres ausgezeichnet wurde. „Aus Sicht der DUH und der großen Mehrheit der Abstimmenden signalisiert Shell damit, Autofahrerinnen und Autofahrer könnten ihr Fahrzeug ohne schlechtes Gewissen und Klimaschäden nutzen“, heißt es zur Begründung. „Tatsächlich stoßen sie jedoch weiterhin ungemindert CO₂ aus.“

Genau darin besteht der eigentliche Skandal von Greenwashing: dass es suggeriert, es müsse sich nichts ändern. Die Industrie könne an ihren bisherigen Produktionsprozessen und Vertriebswegen ebenso festhalten wie die Konsument*innen an ihrem gewohnten Fahr- und Kaufverhalten. Dieses falsche Versprechen hält jedoch Unternehmen wie Konsument*innen davon ab, tatsächlich wirksame Einsparungen ihres Treibhausgas-Ausstoßes vorzunehmen.

Konzerne können ihre Gewinne sogar noch steigern, weil sie Kund*innen mit der verlockendsten Verheißung von allen ködern: das Klima nicht mittels Verzicht, sondern mittels Konsum zu retten. So omnipräsent ist diese Botschaft, so raffiniert sind die Methoden der Irreführung, dass es schwerfällt, sich ihr zu entziehen. Selbst eine renommierte Institution wie der Deutsche Nachhaltigkeitspreis ist wiederholt auf Täuschungen und Betrüger hereingefallen. Das Einzige, was dagegen hilft, Greenwashing auf den Leim zu gehen, ist Recherche: über die Aussagekraft von Gütesiegeln, über die Besitzstrukturen von nachhaltigen Marken, über die Details von Klimakompensationsprojekten. Glücklicherweise gibt es zahlreiche idealistische Menschen, Blogs und NGOs, die die grünen Versprechungen der Unternehmen genauer unter die Lupe nehmen. Und mitunter ist auch der sogenannte gesunde Menschenverstand ein nützliches Werkzeug: Aluminiumkapseln werden nie eine nachhaltige Form des Kaffeetrinkens, Kreuzfahrten keine klimafreundliche Form des Tourismus sein.