„Etwas verwirrend“

Auf der Suche nach sexueller Selbstverwirklichung in der australischen Sitcom „Spreadsheet“

David Assmann

David Assmann ist freier Filmkritiker, Filmemacher und Filmwissenschaftler. Er ist Mitglied des Auswahlgremiums von Berlinale Generation, der Jury für den Kinder & Jugend Grimme­ Preis und seit 2018 Prüfer bei der Frei­willigen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Programm Spreadsheet
 Comedy, AUS 2021
SenderSat.1 emotions, ab 06.10.2023

Online seit 05.10.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/etwas-verwirrend-beitrag-1124/

 

 

Lauren hat alles im Griff. Die Trennung von ihrem Mann verläuft einvernehmlich und harmonisch. Die Erziehung ihrer beiden Kinder meistert sie ebenso souverän wie ihren Job als Anwältin in einer Großkanzlei. Und nebenbei führt sie auch noch ein abwechslungsreiches und ausschweifendes Sexleben, frei von Gefühlen und Verpflichtungen und klar getrennt von ihrer Rolle als berufstätige Mutter. Soweit zumindest die Theorie.

In der Praxis stellt sich das Ganze ein wenig anders dar. Die Männer auf den Dating-Plattformen erweisen sich nicht selten als Sonderlinge mit abwegigen Neigungen. Die Tochter findet ein gebrauchtes Kondom und bringt es für ein Bastelprojekt mit in die Schule. Der Exmann hat schon eine neue Freundin. Und die Arbeit wird regelmäßig von der Organisation von Sexkontakten überlagert.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass Laurens Kollege und Freund Alex maßgeblich bei der Operation „Sexuelle Selbstverwirklichung“ beteiligt ist. In einer Excel-Tabelle – dem titelgebenden „Spreadsheet“ – erfasst er alle Dates mit Vorlieben, Anmerkungen und Wertung, damit Lauren nicht versehentlich mit einem Flop-Mann auf ein zweites Date geht – oder mit einem Top-Mann auf ein viertes. Denn mehr als dreimal mit demselben Mann zu schlafen, würde nach Laurens Auffassung dem Prinzip der Unverbindlichkeit widersprechen und könnte die neugewonnene Freiheit gefährden, die sie ja in vollen Zügen ausleben will.
 

Trailer Spreadsheet (Showmax, 01.08.2022)



Amüsant und weitgehend unvorhersehbar stolpert die 39-jährige Lauren durch einen Parcours aus Fettnäpfchen und Kalamitäten und hält dabei stets an ihrem aussichtslosen Anspruch fest, Herrin der Lage zu sein. Die australische Produktion Spreadsheet ist eine Fremdschäm-Sitcom, die satirisch überzeichnet die Möglichkeiten des modernen Sexlebens durchspielt. In ihrem Kern besteht dabei ein unauflösbarer Widerspruch: Einerseits werden Promiskuität und tendenziell abseitige Sexpraktiken normalisiert, weil sich eine insgesamt ziemlich durchschnittliche Person wie Lauren ohne äußeren Druck (wie zum Beispiel eine Wette) ihnen hingibt. Andererseits lässt gerade der Kontrast zu Laurens Normalität die Spielarten moderner Sexualität skurril und absurd erscheinen.

Exemplarisch dafür ist die Anfangsszene der zweiten Episode. Als ein Sexpartner unvermittelt mit Dirty Talk beginnt und sie als „dreckige kleine Nutte“ bezeichnet, reagiert Lauren aufrichtig irritiert: „Äh, wie hast du mich genannt?“ Er erklärt bestürzt, dass das ja nur ein Rollenspiel sei, woraufhin sie sich darauf einlässt und sich ebenfalls „dreckige Nutte“ nennt. „Wer hat dir gesagt, dass du reden sollst“, herrscht ihr Partner sie an, und schon wieder fällt Lauren aus der Rolle: „Entschuldige, ist das immer noch das Rollenspiel? Okay, verstehe, es war nur etwas verwirrend.“

Dieser Widerspruch liegt letztlich in der Figur von Lauren begründet, für deren Verhalten es keine wirklich plausible Motivation gibt. Wozu mutet sie sich bei ihrem stressigen Alltag noch dieses außerordentlich sportliche Sexleben zu, in dem es doch insgesamt für sie viel häufiger befremdlich als befriedigend zugeht? Diese Frage ist auch für den Jugendschutz relevant und spielte daher in der Diskussion des FSF-Prüfausschusses eine Rolle: Bekommen wir hier eine Frau gezeigt, die selbstbestimmt ihre Sexualität auslebt? Aber wie weit ist es mit ihrer Selbstbestimmung her, wenn sie sich ständig den (für sie) abwegigen Wünschen ihrer Sexpartner fügt?
 


Freigegeben ab …
 

In der Serie geht es direkt zur Sache, jede der acht Episoden beginnt mit einer Sexszene. Überhaupt ist das Genre der Sex-Komödie kein klassischer Stoff für das beantragte Tagesprogramm. Dennoch kamen die mit der Serie befassten Prüfausschüsse in der Mehrzahl der Fälle dem Antrag nach. Die Sexszenen sind überwiegend dezent gestaltet und ihre bisweilen komödiantische Inszenierung bietet zusätzliche Distanzierung, so dass eine Schamverletzung jüngerer Kinder in den meisten Fällen nicht angenommen wurde. Zwar könnte die Präsenz von Laurens Töchtern zusehende Kinder zwischenzeitlich dazu verleiten, sich als Zielgruppe angesprochen zu fühlen, doch handelt es sich ersichtlich um ein Programm, das sich an ein erwachsenes Publikum richtet und auf humoristische Weise Erwachsenenthemen verhandelt: Beziehungen, Trennung, Erziehung, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und nicht zuletzt Fragen nach einer erfüllten Sexualität.

Die Protagonistin befindet sich in einer spezifischen Lebensphase – vom langjährigen Ehemann seit kurzem getrennt, die Kinder aus dem Gröbsten raus –, und ihrem Streben nach bindungsfreier Intimität steht mit dem Exmann, der mit seiner neuen Freundin zusammenzieht, auch ein konventionelles Beziehungsmodell gegenüber, das keineswegs abgewertet wird. Lediglich drei Episoden wurden aufgrund von detaillierteren Sexszenen sowie des (nicht attraktiv erscheinenden) Konsums von Alkohol und Kokain erst für das Hauptabendprogramm (Ausstrahlung ab 20.00 Uhr) freigegeben.
 

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

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Sendezeiten und Altersfreigaben

Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1§ 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

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Jugendschutz bei Streamingdiensten