Die mit dem Wolf tanzt

Die Krimiserie „Fenris“

Uwe Breitenborn

Dr. Uwe Breitenborn ist hauptamtlicher Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), Dozent, Autor und Bildungsreferent bei der Medienwerkstatt Potsdam.

Programm Fenris
 Krimi, NO 2022
SenderMagentaTV, ab 27.03.2023

Online seit 27.03.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/die-mit-dem-wolf-tanzt-beitrag-1124/

 

 

Aus Norwegen rauscht am 27. März eine neue Krimiserie heran, die mit einem ungewöhnlichen, aber sehr zeitgemäßen Sujet aufwartet. Es geht um die Wolfsproblematik, die auch in hiesigen Gefilden von Brandenburg bis Niedersachsen immer wieder die Gemüter erhitzt. Viel Irrationales ist hier im Spiel, und so kann Fenris aus diesem Erregungsthema einen veritablen Hillbilly-Tierschutz-Thrillerplot bauen, der auch hierzulande sein Publikum finden wird.
 

Gerüchte 

Die von Nordisk Film und Viaplay produzierte sechsteilige Serie wird bei MagentaTV zu sehen sein. Sie erzählt die Geschichte der Biologin und Wolfsforscherin Emma Salomonsen (Ida Elise Broch), die mit ihrem Sohn Leo (Viljar Knutsen Bjaadal) in ihren alten Heimatort Østbygda zurückkehrt, um ihren scheinbar etwas abgedrifteten Vater Marius Storhammar (Magnus Krepper) aufzusuchen. Zu ihm hat sie eine komplizierte Beziehung, die auf Trennungs- und Gewalterfahrungen in der Kindheit fußt. In melancholischen Flashbacks, die Emma als kleines Mädchen zeigen, wird dies immer wieder illustriert.
 

Ida Elise Broch als Emma Salomonsen (Bild: © Viaplay)


 

Emma fährt zu ihrem Vater, der auch ein Wolfsforscher ist, weil in dem kleinen überschaubaren Ort der Jugendliche Daniel verschwunden ist. Die Einwohner:innen vermuten, dass er von Wölfen getötet wurde. Die Wissenschaftler:innen widersprechen vehement und versuchen, mit allerlei Erfahrung und technischem Equipment den Bewohner:innen die Angst zu nehmen und nachzuweisen, dass das Verschwinden des Jungen nicht durch einen Wolfsriss zu erklären ist. Schließlich sei es seit 200 Jahren in Norwegen nicht mehr zu einer Wolfsattacke gegen Menschen gekommen. Aber wie überall, ist es schwer, gegen eingefahrene Ressentiments, undurchsichtige Interessen und Verschwörungen anzukommen; noch dazu, wenn sie zu einem mörderischen Gestrüpp verwachsen, das oberflächlich ganz idyllisch und gemeinschaftlich orientiert scheint, aber im Verborgenen wahre Abgründe aufscheinen lässt. Da liegt die Serie klar im Fahrwasser des Nordic-Noir-Stils und bietet zudem ein handfestes Schauspiel über Gerüchteküchen und den schweren Stand von Fakten. Bis auf wenige sind sich nämlich in Østbygda alle ihrer Sache sehr sicher. Zweifel? Unangebracht. Hier ziehen auch schon mal die wütenden Männer mit ihren Gewehren durch die Wälder, um faktenignorierend Fakten zu schaffen. Analogien zur amerikanischen Hillbilly-Kultur liegen auf der Hand, was sich bereits im Vorspann zeigt, der mit Sepia-Look-getränkten Bildern aufwartet, die eher an die Appalachen und amerikanische Weiten erinnern als an das norwegische Hinterland. 
 

Wolfskunde und Mythologie 

Das Besondere an dieser Serie ist die Ernsthaftigkeit, mit der das Wolfs- und Tierschutzthema durchgespielt wird. Der Plot entwickelt sich langsam und verfolgt dieses Thema konsequent. Geneigte Zuschauer:innen erfahren sehr viel über das Rudelverhalten scheuer Wölfe, die Möglichkeiten des GPS-Trackings bei Wildtieren, über Wolfswelpen und natürlich die ambivalente Beziehung des Menschen zu diesen mythenumrankten Tieren. Urängste, Stereotype und Rationalität kollidieren hier in den norwegischen Wäldern mit hohem Schauwert. Der Serientitel Fenris spricht für sich. Er geht auf die nordische Mythologie zurück und ist der Name des großen Wolfes, der als erstes Kind von Gott Loki und der Riesin Angrboda geboren wird. Das altnordische Wort geht auf den Wortstamm fen für „Sumpf“ zurück, das ursprüngliche „Fenrir" bedeutet „Sumpfbewohner" oder „Sumpfwolf". Er gilt als eines der mächtigsten und gefährlichsten Wesen der nordischen Mythologie und symbolisiert Stärke, Dunkelheit, Zerstörung und den Weltuntergang Ragnarök. Er ist widersprüchlich, unerklärlich und intelligent.
 

Bild: © Viaplay


 

Die wechselhaften Beziehungen zwischen Wolf und Mensch haben kulturelle, wirtschaftliche und ökologische Gründe. Historisch betrachtet wurden Wölfe in vielen Kulturen als Bedrohung für Mensch und Vieh angesehen und deshalb gejagt. Veränderungen der Wolfspopulationen haben Auswirkungen auf andere Wildtierbestände. In vielen Mythologien spielen sie aber auch als heilige Tiere eine große Rolle. So ist der Wolf mit dem Gründungsmythos Roms verbunden. Bei den Turkvölkern im zentralasiatischen Raum galt der Wolf als Schutzpatron der Jäger und Hirten. In der griechischen Mythologie ist der Wolf mit dem Gott Apollo und der Göttin Artemis verbunden. Bei vielen indigenen Völkern gilt er als Symbol für Stärke, Mut und Weisheit. Der Wolf bietet also eine ideale Projektionsfläche für ganz unterschiedliche Weltsichten. Und darum geht's in dieser Serie. 
 


Freigegeben ab …
 

Die norwegische Krimiserie ist ruhig erzählt und enthält, abgesehen vom Showdown, nur wenig explizite Gewaltdarstellungen. Die Bildebene bleibt meist dezent, es dominiert die serientypische Nordic-Noir-Inszenierung, die oft recht düster und melancholisch ist. Das Wirkungsrisiko einer übermäßigen Angsterzeugung bei ab 12-Jährigen wurde nicht gesehen. Auch wenn hier durchaus ein gewalthaltiges Bedrohungsszenario aufrechterhalten wird, bleibt trotz einiger Überraschungen eine relativ klare Figurenzeichnung erhalten.

Mit Emma, Kathinka, der Polizistin Tuva, dem Mädchen Elvira und anderen starken Protagonistinnen steht eine Reihe vielschichtiger weiblicher Charaktere im Mittelpunkt. Verschiedene bedrückende familiäre Konfliktszenarien sind gut in die Handlung eingebettet und nicht übermäßig aufdringlich inszeniert. Es gibt auch hinreichend entlastende Momente. Zudem dürften für ab 12-Jährige die Jugendlichen Elvira und Leo sowie das Thema Wolf (Tiere) gut anschlussfähig sein. Die ambivalente Rolle einiger Charaktere ist hinreichend kontextualisiert, auch die enthaltene Mobbingproblematik um die Jugendgang wird dramaturgisch deutlich negativ kontextualisiert, so dass eine Übertragbarkeit von möglicherweise entwicklungsbeeinträchtigenden Handlungsmustern im Sinne einer sozialethischen Desorientierung nicht zu erwarten ist. Gewaltdarstellungen sind in dem dunklen Szenario nicht selbstzweckhaft, sondern folgen der Handlungslogik. Die Serie ist ein spannendes Angebot für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen, sich mit dem Beziehungsgeflecht Wolf und Mensch intensiver auseinanderzusetzen. 
 

 

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

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Sendezeiten und Altersfreigaben

 

Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1§ 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

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Jugendschutz bei Streamingdiensten