Ein Herz für Missetäter

„The Outlaws“ (Staffel 2)

Jana Papenbroock

Jana Papenbroock studierte Film an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Neben ihrer freien Prüftätigkeit für die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) arbeitet sie als Dokumentarfilmemacherin.

Programm The Outlaws (Staffel 2)
 Drama, GB 2022
SenderProSieben FUN

Online seit 15.02.2024: https://mediendiskurs.online/beitrag/ein-herz-fuer-missetaeter-beitrag-1124/

 

 

Mit The Outlaws hat der britische Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor Stephen Merchant eine episodische Ensembleserie geschaffen, deren Mittelpunkt ein Community Centre in Bristol ist. In diesem Bürgerzentrum treffen sieben Charaktere zwischen Anfang 20 und Ende 70 aus unterschiedlichsten Milieus aufeinander, um Sozialstunden abzuleisten, die sie wegen geringfügiger Vergehen auferlegt bekommen haben.

Die Schwarze Bürgerrechtsaktivistin Myrna engagiert sich leidenschaftlich für ihre sozial benachteiligte Community. Rani, die Tochter einer Inderin und eines Engländers, will ihren kleinbürgerlichen Verhältnissen entkommen und sucht das Abenteuer. Die weiße High-Society-Tochter Gabby ist trotz Luxus und Influencerstatus ein vernachlässigtes und drogenabhängiges Wrack. Der konservative weiße Familienvater John steckt in einer Männlichkeitskrise und findet in der neuen diversen Welt keinen Anschluss mehr. Der existenziell verunsicherte Anwalt Greg ist unfähig, Entscheidungen zu treffen. Der Trickbetrüger-Opa Frank ist mit der Normalität seiner Familie überfordert. Der aus der unteren Arbeiterschicht stammende Schulabbrecher Christian hegt den Traum von einer eigenen Imbissbude an der Küste.

Die Sieben müssen zusammenarbeiten, denn einige von ihnen haben „aus Versehen“ zehntausende Pfund ausgegeben, die sie in einer Tasche im Community Centre gefunden hatten. Damit haben sie den Zorn des Besitzers der Tasche, eines mächtigen Drogenbarons, auf sich gezogen, der nun droht, sie zu liquidieren. In einem engen Zeitfenster müssen sie das ausgegebene Geld wiederbeschaffen. Da das auf legalem Wege unmöglich scheint, übernimmt die kriminell unerfahrene Zweckgemeinschaft für acht Wochen das Drogenkartell eines inhaftierten Dealers. Die Dilettanten bauen ein eigenes Netzwerk aus Abnehmern auf und verkaufen kiloweise Kokain und Crack, zusammen mit Keine-Macht-den-Drogen-Beipackzetteln, um dabei ihr schlechtes Gewissen zu erleichtern.

Die Krimikomödie entfaltet ihren Witz durch die groben Missgeschicke und gleichzeitigen Erfolge der Amateure, die sich in der Gangsterwelt behaupten und dabei trotz Polizeiüberwachung während ihrer Sozialstunden nicht auffliegen. Weil alle Figuren in einer mehr oder minder verfahrenen Lebenslage stecken, gelingt es ihnen, aus ihren delinquenten kollektiven Errungenschaften neuen Mut zu schöpfen. Durch den gemeinsamen abwegigen Ausflug ins Drogenbusiness, erfahren sie Selbstwirksamkeit und Solidarität
 

Trailer The Outlaws, Series 2 (BBC, 26.05.2022)



Die Schauplätze reichen einmal quer durch die englische Gesellschaft, von beengten Sozialwohnungen im Plattenbau bis zu noblen Villen. Das Community Centre stellt im Gegensatz dazu die zentrale Begegnungsstätte dar, in der sich die sozial miteinander eigentlich im Klassenkonflikt befindlichen Charaktere treffen und in der sie in ihrem Ringen um einen würdevollen Platz in der Gesellschaft Anerkennung finden. Dabei wird die Empathie häufig den weißen, privilegierten Figuren und ihren Befindlichkeiten zuteil. Beispielsweise wenn die Influencerin Gabby eine Schwarze Person für ihren Insta-Feed benutzt, um sich selbst als „white saviour“, als weiße Retterin, zu inszenieren und nach einem medialen Shitstorm von der Schwarzen Bürgerrechtlerin Myrna öffentlich verteidigt wird. Oder indem der Handlungsstrang von John eine strukturelle Benachteiligung des AWM (alten, weißen Mannes) am Arbeitsmarkt behauptet, weil er weder eine Behinderung hat, noch zu einer ethnischen Minorität gehört oder weiblich ist. Auch hier ist es wieder die Figur Myrna – die eigentlich gesellschaftlich Benachteiligte –, die versucht, ihm zu helfen.

Das Prisma, durch das die Serie auf seine unterhaltsamen Figuren und ihre linksradikalen bis rechtskonservativen Lebenswelten schaut, ist deutlich als bürgerlich, weiß und männlich erkennbar. Narrativ macht die Serie ihrem diversen Cast latent den Vorwurf einer Art zeitgeistigen Dominanz am Markt. Dennoch verschafft sie ihren wirklichkeitsnahen Figuren einen Handlungsraum, in dem sie glaubhaft souverän agieren und zu den interessanteren Handlungsträger:innen der Serie werden. Trotz der teils überspitzten Figurenzeichnung – die in ihrem sozialkritischen Impetus an den Verismus der Weimarer Republik erinnert – verkommen die Charaktere nicht zu Stereotypen. Der Humor ist typisch britisch-schlüpfrig bis vulgär und dennoch vom gutmütigen Tonfall der Serie geprägt. Anstatt das Soziale zu politisieren, fokussiert die Serie auf das, was alle Figuren verbindet: das Streben nach einem guten Leben und die komische Schönheit einer heterogenen Gesellschaft. The Outlaws ist somit, gerade im Post-Brexit-England, ein versöhnliches Plädoyer dafür, sich nicht von zugeschriebener Identität oder Klassenzugehörigkeit auseinanderdividieren zu lassen.
 


Freigegeben ab …
 

Die Erzählperspektive ist nicht kind-affin, obwohl einige der jüngeren Figuren für Jugendliche durchaus anschlussfähig und attraktiv wirken können. Die episodische Struktur des deutlich alltagsfernen Plots und die satirische Erzählweise wirken distanzierend. Die gelegentlich auftretende, explizite sexuelle Vulgärsprache verbleibt innerhalb der exaltierten Charakterisierung der erwachsenen Figuren und entsendet keine pauschalen Botschaften in die Lebenswelt hiesiger Kinder ab 12 Jahren. Auch eine Schamverletzung oder Schockierung 12-Jähriger wurde wegen des satirischen Kontexts nicht vermutet. Drogen werden durch die Figuren selbst negativ eingeordnet. So führt Christian wiederholt seine substanzabhängige Mutter an, um auf die Gefahren von Drogen hinzuweisen. Myrna betreibt im Bürgerzentrum ehrenamtlich eine Drogenberatungsstelle. Auch die kokainabhängige Gabby erkennt, wie sie Drogen zur Verdrängung nutzt und dass diese ihre Probleme nicht lösen. In einer Folge raucht John Crack, was seine Sorgen zunächst in den Hintergrund rückt, kurz darauf aber Panikattacken bei ihm auslöst, sodass sich auch 12-Jährigen die nachhaltigen Gefahren des Drogenkonsums vermitteln. Da gerade John die am wenigsten attraktive oder jugendaffine Figur ist, wurde keine positive Übertragung seines Handelns in den Alltag von über 12-Jährigen oder eine unmittelbare Identifikation mit ihm vermutet.

Die Atmosphäre der Serie ist von hellen und skurril inszenierten Ausnahmesituationen geprägt, die sich episodisch aneinanderreihen. Durch die komödiantische Repräsentationspraxis und weitere relativierende Faktoren, wie die überhöhte Darstellung spezifischer Milieus, wurde weder eine Ängstigung noch eine gewaltfördernde Wirkung oder sozialethische Desorientierung von Kindern ab 12 Jahren angenommen. Dementsprechend wurden alle Folgen der 2. Staffel für das Hauptabendprogramm ab 12 Jahren freigegeben, ohne weitergehende Freigabe für das Tagesprogramm. Für jüngere Kinder, die Satire noch nicht zu decodieren imstande sind, wurde die Drogenthematik als desorientierend gewertet.
 

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

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Sendezeiten und Altersfreigaben

 

Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

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Jugendschutz bei Streamingdiensten