In böser Gesellschaft

Versteckte und direkte politische Botschaften im Horrorfilm

Werner C. Barg

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Prof. Dr. Werner C. Barg ist Autor, Produzent und Dramaturg für Film und Fernsehen sowie Honorarprofessor im Bereich Medienwissenschaft der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.

Aktuelle Kinofilme wie Das erste Omen oder Late Night with the Devil geben den Anlass, den politischen Potenzialen des Horrorfilms in der Geschichte des Genres einmal genauer nachzugehen. An den beiden aktuellen sowie an weiteren filmhistorischen Beispielen wird erläutert, dass der Horrorfilm viel mehr leisten kann, als bloß zu erschrecken.

Online seit 29.05.2024: https://mediendiskurs.online/beitrag/in-boeser-gesellschaft-beitrag-772/

 

 

Shining (USA 1980), Stanley Kubricks Verfilmung des Romans von Stephen King, gilt in der Genregeschichte des Horrorfilms als schillerndes Beispiel für versteckte politische Botschaften. Roman wie Film erzählen die Geschichte des Jack Torrance und seiner Familie, die über die Wintermonate einen Hausmeisterjob in einem leerstehenden Hotel in den Bergen an der kanadisch-US-amerikanischen Grenze annehmen. Schnell verwandelt sich die Lage der Familie in dem beängstigend großen Hotel selbst in eine Grenzsituation. Jack (Jack Nicholson), der die winterliche Abgeschiedenheit nutzen wollte, um einen Roman zu schreiben, bemerkt rasch, dass er dazu nicht in der Lage ist. Seine Unfähigkeit versucht er zunächst durch immer ungebremstere Aggressionen, schließlich durch einen blutrünstigen Amoklauf zu kompensieren, der sich gegen seine Frau Wendy (Shelley Duvall) und seinen Sohn Danny (Danny Lloyd) richtet. Danny hat diese Situation vorausgesehen, denn er verfügt über das „Shining“, ein übersinnliches Talent, Geschehnisse vorhersehen zu können.
 

Trailer The Shining (Stanley Kubrick, 07.04.2012)



Haunted House

Shining folgt dem Haunted-House-Erzählprinzip. Hauptfigur Jack gerät zunehmend in die Gesellschaft böser Geister, die schon seit den 1920er-Jahren – wie das Schlussbild des Films vermuten lässt – das Hotel zu beherrschen scheinen. Während der Roman stärker die übernatürlichen Kräfte des Geisterhauses selbst betont, denen Jack als Reinkarnation des Bösen schließlich erliegt, legt Kubrick in seiner Verfilmung den Schwerpunkt auf das Psychogramm seiner Hauptfigur, die mehr und mehr dem Wahnsinn verfällt. In der ZEIT schrieb Oliver:

Bis zum Ende wird nicht klar, ob Jack wirklich Geistern begegnet oder seinen Hirngespinsten. An die Stelle klassischer Horrormotive tritt bei Kubrick der Schrecken der Entfremdung, die Unbehaustheit der Moderne, die Angst vor dem Nächsten, und sei es der eigene Mann und Vater“ (Kaever 2013).

Während bei King, der Kubricks Verfilmung nicht mochte, „das Eingreifen von Geistern und Gespenstern […] das Geschehen rationalisierbar, deutbar [macht]“, hat Kubrick „das Übernatürliche nahezu vollständig aus seiner Erzählung verbannt“ (ebd.).

Gleichwohl enthält Kubricks komplexer Filmtext Rezeptionsvorgaben für den Zuschauer, um anzudeuten, wo das Böse in diesem Hotel herkommt und worauf es verweisen könnte.
 

Kulturgeschichte des Bösen

In seinem Dokumentarfilm Room 237 (USA 2012) gibt Regisseur Rodney Ascher einer Reihe von „Experten“ das Wort, die auf direkte und versteckte Botschaften in Kubricks Filmtext hinweisen. Diese deuten darauf hin, dass der Regisseur über eine simple Geisterhaus-Horrorstory hinaus politische Aspekte einer Kulturgeschichte des Bösen thematisieren wollte.

Als eine Quelle des Bösen verweist Kubricks Film ziemlich offensichtlich auf den Genozid der Siedler an den Ureinwohnern Nordamerikas: Beim Rundgang durch das Overlook-Hotel berichtet der Manager der Torrance-Familie vor seiner Abreise, dass der Gebäudekomplex auf einer Begräbnisstätte der indigenen Bevölkerung und gegen ihren Willen errichtet wurde. Die Stämme von Ureinwohnern, die seit Jahrhunderten in der Gegend lebten, hätten durch Angriffe den Bau des Hauses zu stören versucht. Einige weitere markante Szenen, darunter die einzige Mordszene des Films, sind im Dekor mit Motiven der Indigenen verbunden; Jack benutzt bei seinem Amoklauf eine Axt wie sie die Siedler zur Urbarmachung des geraubten Landes benutzt haben.

Dass das Grauen in dem Haus sogar auf den Holocaust Bezug nehmen könnte, ist eine weitere These, die im Dokumentarfilm erläutert wird. Da gibt es die deutsche Schreibmaschine, Marke Adler, auf der Jack immer und immer wieder den Satz schreibt „Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“. Schreibmaschinen spielten bei den Deportationen in die KZs – wie es einige Szenen von Steven Spielbergs Holocaust-Drama Schindlers Liste (USA 1994) eindrücklich zeigen – eine wichtige Rolle. Mit deutscher Gründlichkeit wurden die Namen der Menschen per Schreibmaschine registriert, bevor sie unter menschenunwürdigen Umständen in Viehwaggons gepfercht und abtransportiert wurden.

Zu Beginn des Films verlassen die letzten Gäste und Bedienstete mit vielen Koffern das Hotel; überall stehen aufgestapelte Koffer herum – Bilder, die als weiteres Synonym für Deportation gelesen werden können. Häufig tauche zudem die Zahl „42“ auf, z. B. auf einem Pullover von Danny. Zudem habe Kubrick am Drehort des Hotels die Raumnummer 217 in 237 geändert. 237 ergibt die Zahl 42, wenn man die Ziffern miteinander multipliziert: 2 x 3 x 7 = 42. Die Zahl 42 symbolisiere das Jahr 1942, in dem hochrangige deutsche Regierungsbeamte und SS-Leute auf der sogenannten „Wannseekonferenz“ den Massenmord an den europäischen Juden beschlossen hatten.
 

Trailer ROOM 237 (vipmagazin Kino, 21.08.2013)



Regisseur Ascher lässt die Mutmaßungen über Shining in seinem Film komplett unkommentiert. Er zeigt die passenden Ausschnitte aus Kubricks Film sowie aus Referenzfilmen, auf die sich die Analysten beziehen. Wie plausibel die Analysen sind, überlässt Ascher der Einschätzung des Zuschauers. Dem Film steht eine Schrifttafel voran, aus der hervorgeht, dass die Expertenmeinungen keine Ansichten des Regisseurs wiedergeben. Trotz solcher Rückversicherung sind die dargelegten Indizien, etwa bezüglich einer Verbindung zwischen der Horrorgeschichte des Hotels und der grausamen US-Besiedlungsgeschichte, verblüffend stichhaltig. Andere Aspekte, z. B. die fehlende Einordnung der Behauptung, Kubrick hätte die US-Mondlandung 1969 im Studio für die US-Regierung gefakt, sind weniger nachvollziehbar. ZEIT-Kritiker Oliver Kaever spricht vom „Irrgarten der Interpretationen“, in den einige Shining-Enthusiasten gerieten (vgl. ebd.), und meint damit solche Verschwörungstheorien. Dass so viele verschiedene Interpretationen möglich sind, liegt daran, dass Kubrick mit Shining einen komplexen Filmtext geschaffen hat, der zahlreiche „Bedeutungsspuren“ (ebd.) legt, ohne sich auf eine Deutungsebene festzulegen.
 

Politische Konsequenzen existenzieller Ängste

Kaever ist zuzustimmen, wenn er Kubricks Shining als ein Vehikel sieht, mit dem der Regisseur „auf existenzielle Ängste des modernen Menschen zu zu stoßen“ (ebd.) beabsichtigt. Nicht wenige moderne Horrorfilme treibt die Darstellung möglicher gesellschaftlicher Folgen solch existenzieller Ängste um. In Frank Darabonts Film Der Nebel (USA 2007), dessen Handlung sich gleichfalls auf eine Kurzgeschichte von Stephen King stützt, werden die Einwohner eines idyllischen Küstenortes von einem plötzlich auftauchenden, unheimlichen Nebel überrascht. Als sich herausstellt, dass in dem undurchsichtigen Schleier, der über dem Städtchen liegt, furchterregende Monster und Kreaturen aus der Urzeit auf Menschenfleisch lauern, findet sich eine Gruppe sehr unterschiedlicher Menschen bedroht und eingeschlossen in den Räumen eines Supermarktes wieder.

Im Unterschied zur Serienneuverfilmung von 2017 konzentriert sich Darabonts Film auf die Gruppe der Eingeschlossenen und legt an ihren Verhaltensweisen die gesellschaftlichen Mechanismen offen, die von Menschen in Angst und Panik angesichts einer Extremsituation ausgelöst werden können. Anfangs ist das Handeln der Mehrheit noch vom Versuch geprägt, die Situation kognitiv wie emotional zu erfassen und sich rational zu verhalten. Als ihnen langsam das Ausmaß der Katastrophe bewusst wird – wobei Darabonts Film nicht an dramatischen Situationen voller Schock- und Splattereffekte spart – brechen massive Feindseligkeiten zwischen den Eingeschlossenen aus.

Angeheizt wird diese Entwicklung durch Mrs. Carmody (Marcia Gay Harden), eine fundamentalistische Christin, die den Tag des Jüngsten Gerichts hereinbrechen sieht. Anfangs wird ihr Fanatismus belächelt und kritisiert. Ein Soldat bekennt, dass die Katastrophe wohl durch ein fehlgeleitetes militärisches Experiment ausgelöst wurde. Doch mit der zunehmenden Aussichtslosigkeit der Situation machen sich in der Gruppe mehr und mehr Irrationalismus und schließlich religiöser Wahn breit. Mrs. Carmody erhält immer mehr Zuspruch. Schließlich verlangt sie – nun unterstützt von einer Mehrheit –, man möge den Kreaturen im Nebel Menschenopfer darbringen, um ganz im Sinne des Alten Testaments den zornigen Gott zu besänftigen, der den todbringenden Nebel gesandt habe. Einzig David (Thomas Jane), dessen Sohn Billy die Fanatiker als erstes Menschenopfer auserkoren haben, wendet sich mit einigen wenigen Klarsichtigen gegen den religiösen Irrsinn. Sie können dem Gottesstaat en miniature im Supermarkt entkommen, nicht aber ihrem Schicksal.
 

Schreckensvision Gottesstaat

In seiner Horrorfilmtrilogie The Purge geht Regisseur James DeMonaco noch einen Schritt weiter und führt die Dystopie eines totalitären Gottesstaates als mögliche politische Perspektive der US-Gesellschaft vor: In The Purge – Die Säuberung (USA 2013) werden die USA im Jahre 2022 von einer christlich-fundamentalistischen Regierungspartei beherrscht, die sich „Neue Gründungsväter Amerikas“ („New Founding Fathers of America“) nennt. Um die Wut und den Hass unter den Menschen abzubauen, haben die neuen Herrscher eine Nacht der „Säuberung“ erfunden. Einmal im Jahr sind Mord und Totschlag von 19 Uhr abends bis 7 Uhr morgens nicht nur erlaubt; die Regierung erwartet von ihren Bürgern geradezu, dass sie töten und dadurch „ihre Seelen reinigen“. Doch hinter der religiös-alttestamentarischen Begründung einer legalen Mordnacht steht die zynische Idee der Regierung, Sozialpolitik mit Waffengewalt umzusetzen. Die wohlhabende Mittel- und Oberschicht kann sich vor einer Bedrohung durch ausgeklügelte Sicherheitssysteme schützen oder für die „Purge“ selbst mit Waffen aller Art ausstatten, die Armen können weder das eine noch das andere. Sie sind dem Mob sich marodierend austobender Wutbürger auf brutalste Weise ausgesetzt.
 

Trailer The Purge – Die Säuberung (Universal Pictures Germany, 13.05.2013)



Während der erste Film im Rahmen eines Home-Invasion-Thrillers die politischen Implikationen der „Säuberung“ nur andeutet, erweitern die beiden weiteren Filme der Trilogie den erzählerischen Fokus. Der zweite Film, The Purge: Anarchy (USA 2014), folgt der Erzähllogik des Katastrophenfilms und erzählt parallel die Schicksale verschiedener Personen in Downtown Los Angeles während der neuerlichen „Purge“-Nacht exakt ein Jahr nach den Ereignissen des ersten Films. In The Purge: Election Year (USA 2016), dem dritten Horrorthriller der The-Purge-Reihe, stellt Regisseur James DeMonaco schließlich ganz deutlich die politischen Rahmenbedingungen seiner düsteren Gesellschaftsutopie in den Mittelpunkt der Handlung: Die „Neuen Gründungsväter Amerikas“ sind mittlerweile mehr als 20 Jahre an der Macht. Wieder stehen Präsidentschaftswahlen an. Doch diesmal gibt es nicht mehr nur vereinzelten und individuellen Widerstand gegen den Massenmord in den „Purge“-Nächten. Diesmal gibt es erstmals eine ernsthafte politische Gegenbewegung, die das „Purgen“ abschaffen will. An ihrer Spitze steht die Senatorin Charlene Roan (Elizabeth Mitchell). Sie hat gute Chancen, Präsidentin zu werden. Um die Konkurrentin der anstehenden neuen „Purge“-Nacht ganz legal jagen und ermorden lassen zu können, hebt die NFFA die Immunität für alle Politiker kurzerhand auf.
 

Warnung vor einer Wahl Donald Trumps

Der dritte Purge-Film kam im Sommer 2016 in die US-Kinos und dürfte von den Machern auch als deutliche Warnung gemeint gewesen sein, in welche Richtung sich die USA in einer Amtszeit Donald Trumps entwickeln könnte. Auch in diesem Jahr, in dem sich Trump erneut um das Präsidentenamt bemüht, ist DeMonacos Schreckensvision keineswegs ganz von der Hand zu weisen. Dabei bleibt DeMonacos Horror-Thriller-Reihe gleichwohl zwiespältig: Eindeutig gesellschaftskritisch gemeint, zeigen die Filme mögliche politische Auswüchse christlich-fundamentalistischer Herrschaft. Anderseits liefern sie in den Action- und Splatterszenen, die auf die Sensationslust des Publikums spekulieren, auch eine fiktionale Wunscherfüllung für jene Zuschauer, die den faschistischen Traum vom Tag X träumen, an dem gewaltsam und brutal mit Demokratie, Zivilgesellschaft und Menschenrechten „aufgeräumt“ werden soll. So schließen sich die Filmbilder der „Purger“ in ihren Gruselkostümen wohl auch kaum zufällig mit den realen Bildern verkleideter und maskierter Trump-Anhänger kurz, die am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington D. C. stürmten. Dort fand gerade die Bestätigung der Wahl des rechtmäßig gewählten US-Präsidenten Joe Biden im Kongress statt.
 

Zeitgeschichtliche Bezüge

In zahlreichen Horrorfilmen des europäischen Kinos finden sich dagegen weniger zwiespältige als vielmehr deutlich kritische historische und zeitgeschichtliche Bezüge. So referieren beispielsweise spanische Horrorfilme wie das Fantasydrama Pans Labyrinth (ES/MX 2006) oder die Netflixproduktion Die Todesschwester (ES 2023) auf die Gräuel des Spanischen Bürgerkriegs. Die fiktive „Geheimloge der Antihippokraten“, deren verbrecherisches Handeln in den deutschen Horrorfilmen Anatomie (D 2000) und Anatomie 2 (D 2003) im Mittelpunkt steht, verweist u. a. auf die bestialischen Menschenversuche, die Naziärzte in den Konzentrationslagern an Häftlingen durchführten. Und Luca Guadagninos Horrorfilm Suspiria (I/USA 2018), ein Remake des gleichnamigen Genreklassikers von Dario Argento aus dem Jahre 1977, deutet Parallelen zwischen der Gewaltherrschaft der Nazis und einem Hexenzirkel an, der hinter der Fassade einer berühmten Tanzkompanie blutige Rituale betreibt. Im Unterschied zur Vorlage von Argento siedelt Guadagnino seinen Film im Westberlin des Jahres 1977 an. Mit diesem zeitgeschichtlichen Horizont seines Films stellt der Regisseur einen vagen Zusammenhang zwischen seiner Horrorgeschichte und der bedrückenden Atmosphäre im sogenannten „Deutschen Herbst“ 1977 her. Das innenpolitische Klima jener Zeit war geprägt vom blutigen Terror der „Rote Armee Fraktion“ (RAF), aber auch von den drastischen, an die Grenze der Rechtsstaatlichkeit gehenden polizeilichen Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung gegen die RAF vorging.

 

Trailer Suspiria (Prime Movies, 23.08.2028)



Die Macht des Teufels

Dass das Teuflische darauf abzielen könnte, politische Macht zu erlangen, mutmaßte schon Drehbuchautor David Seltzer, als er in den 1970er-Jahren den Gruselklassiker Das Omen schrieb. Am Ende des von Mainstream-Regisseur Richard Donner realisierten Films steht das Teufelskind an der Seite des US-Präsidenten beim Staatsbegräbnis für das Diplomatenpaar Robert und Katherine Thorn (Gregory Peck/Lee Remick). Fies lächelnd blinzelt es in die Kamera. Damien (Harvey Stephens), der Antichrist, wurde fünf Jahre zuvor zur 6. Stunde des 6. Tages des 6. Monats in einem katholischen Krankenhaus in Rom geboren. Zeitgleich brachte Katherine in diesem Hospital ein Kind zur Welt. Doch ein Geistlicher erklärte Robert, dass das Kind bei der Geburt gestorben sei. Eine Totgeburt hätte seine Frau seelisch nur schwer verkraftet, da ihr Kinderwunsch sehr groß war. Deshalb ließ sich Robert darauf ein, den ebenfalls gerade geborenen Damien zu adoptieren. Dessen Mutter sei bei der Geburt gestorben, erklärte ihm der Geistliche. Katherine verschweigt er die Adoption und präsentiert Damien als ihr gemeinsames Kind. Später, Robert ist mittlerweile nach London versetzt worden, kommt es im Umfeld von Damien zu erschreckenden Todesfällen. Ein Priester taucht auf und deutet Robert an, dass Damien ein Kind des Teufels sei, nicht von dieser Welt, gezeugt mit einem Schakal. Robert glaubt dem Priester seine abstruse Geschichte nicht. Wenig später kommt der Priester unter mysteriösen Umständen ums Leben. Als auch Katherine in Damien mehr und mehr das Böse erkennt und dadurch in Gefahr gerät, stellt Robert zusammen mit dem Fotografen Jennings (David Warner) Nachforschungen in Rom an. Die Aussagen bestätigen sich schließlich auf grausame Weise. Robert begreift, dass Damien von bestimmten Kreisen offenbar ganz bewusst bei ihm und seiner Frau platziert worden ist. Der Antichrist würde, so die biblische Prophezeiung, „aus dem ewigen Meer emporsteigen“, um mit seinen Armeen die Menschheit zu vernichten. „Das ewige Meer“, findet Jennings in einer Szene des Films heraus, werde heutzutage als Metapher für die Welt der Politik interpretiert: „Das Meer, das ständig aufgewühlt werde durch Gewalt und Revolution“. Am Ende scheint Damien am Ziel zu sein. Er steht im Zentrum politischer Macht, hat das Vertrauen des US-Präsidenten gewonnen.
 

Die Macht der Kirche

Die Prequel-Erzählung von Das erste Omen in der Regie von Arkasha Stevenson leuchtet nun – fast 50 Jahre später – die Vorgeschichte der Kindesübergabe in dem römischen Krankenhaus des Jahres 1971 aus, mit der einst Das Omen begann. Ihr Film ahmt den filmtechnischen Look des zeitlich nachfolgenden Vorgängers perfekt nach, setzt aber mit der Perspektive einer weiblichen Hauptfigur eine gänzlich andere Tonalität: Margaret (Nell Tiger Free), in einem katholischen Waisenhaus in den USA aufgewachsen, kommt als junge Frau 1971 nach Rom, um sich als Nonne weihen zu lassen. Bis es soweit ist, arbeitet sie in einem kirchlichen Kinderheim. Sie versucht einem gänzlich verstörten Mädchen zu helfen, das von allen anderen im Heim missachtet oder sogar misshandelt wird. Bald kommt sie den Mitgliedern eines Geheimbundes im Vatikan auf die Spur, die einen ebenso verrückten wie perfiden Plan verfolgen: Die Tatsache, dass immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, begreifen sie als das Werk des Teufels. Deshalb versuchen sie junge Frauen mit dem Teufel zu paaren, um ein Teufelskind zu erzeugen, dass sie dann glauben, im Sinne der Kirche beeinflussen zu können, um dadurch den Teufel selbst zu überlisten. Das Kind soll in politischen Kreisen aufwachsen, schließlich selbst Macht erlangen und so den Einfluss der Kirche wieder stärken. Zu spät begreift Margaret, dass ihr Vertrauter, Kardinal Lawrence (Bill Nighy), einer der Anführer des Geheimbundes ist und sie als Geliebte des Teufels auserwählt hat.
 

Trailer Das erste Omen (20th Century Studios DE, 11.03.2024)



Im Schlussteil ihres Films, analysiert Christoph Petersen auf filmstarts.de, „offenbart Arkasha Stevenson eine Vorliebe für eine Art von Body Horror, bei dem sie im Gegensatz zum Genre-Vorreiter David Cronenberg (‚Die Fliege‘) vor allem die Eigenheiten des weiblichen Körpers erforscht. Schwangerschaft und Geburt sind häufig erlebte Horror-Themen – aber mit einer solchen visuellen Drastik wurden sie im Mainstream-Kino bislang selten ausexerziert“ (Petersen 2024). In Das Omen (1976) kann die Darstellung der Politik durchaus als Spiegel gesellschaftlicher Verunsicherung und eines politikkritischen Klimas in den USA nach Watergate und Vietnamkrieg gesehen werden. Das erste Omen markiert aufs Neue den aktuellen Paradigmenwechsel in den Narrativen des Mainstream- wie des Arthouse-Kinos hin zu einer starken Favorisierung weiblicher Erzählperspektiven und der damit verbundenen Kritik an überkommenen patriarchalen Strukturen. Daher ist die drastische Darstellung der Vergewaltigungsszenen mit dem Teufel in Stevensons Film zwar Horror par excellence, aber keine selbstzweckhafte Effekthascherei. Die nur schwer erträglichen Szenen transportieren eindringlich die grundlegende Kritik der Regisseurin an den Machtstrukturen eines von Männern beherrschten Kirchenapparats, der Frauen zu Opfern und Objekten macht.
 

Late Night with the Devil

Für ihren Horrorfilm Late Night with the Devil haben sich die australischen Regie-Brüder Cameron und Colin Cairnes ein ungewöhnliches Format ausgesucht: die Sendung einer Late-Night-Show im US-Fernsehen, die mehr als 40 Jahre vermeintlich als verschollen galt und nun quasi im Kinofilm der Cairnes Brother als Found Footage präsentiert wird. Weil Talkmaster Jack Delroy (David Dastmalchian) sich nach dem Tod seiner Frau eine längere Auszeit nahm, muss er nach seiner Rückkehr ins TV-Geschäft nun mächtig um die Einschaltquoten seiner Show Night Owls with Jack Delroy kämpfen.

Für die Halloweennacht 1977 hat er sich mit seinem Produzenten Leo (Josh Quong Tart) daher etwas ganz Besonderes einfallen lassen: eine Show rund ums Paranormale. Zuerst lässt er das Medium Christou (Fayssal Bazzi) schicksalhafte Geschichten einiger Menschen im Publikum ermitteln. Dann hetzt er den Magier Carmichael (Ian Bliss), der nicht an Geister glaubt und alles Paranormale für Budenzauber hält, auf Christou. Während der Auseinandersetzung mit Carmichael bricht Christou zusammen. Die Quote steigt. Nun setzt Delroy noch eins drauf. Sein nächster Gast, die Parapsychologin Dr. June Ross-Mitchell (Laura Gordon) erweckt in der jungen Lilly (Ingrid Torelli) einen bösartigen Dämon. Er hatte von der jungen Frau, einem ehemaligen Sektenmitglied, Besitz ergriffen. Nun wird aus der Late-Night- eine Horror-Show.
 

Trailer Late Night with the Devil (KinoCheck, 29.4.2024)



Die Cairnes loten in ihrem ungewöhnlichen Kinofilm im perfekt nachgestellten TV-Show-Format der 1970er-Jahre das medienkritische Potenzial des Horrorfilms aus. Wie einst Wolfgang Menge/Tom Toelles Das Millionenspiel im deutschen Fernsehen (ARD 1970) oder Sidney Lumet in seiner medienkritischen Satire Network (USA 1976) fürs Kino, zeigen sie, was geschehen kann, wenn Medienmacher um der Einschaltquote willen die Sensationsgier des Publikums bis auf äußerste herausfordern. Dies als Horrorfilm zu präsentieren, ist ein ebenso kluger wie mutiger Einfall, wobei sich die Regisseure nicht scheuen, es mit Horrorfilm-Klassikern wie Der Exorzist (USA 1973) aufzunehmen oder auf Paranormal Activity (USA 2007) zu rekurrieren, der gleichfalls im Found-Footage-Stil gedreht wurde.
 

Fazit

Es wurde zu zeigen versucht, dass nicht wenige Horrorfilme und Mysterythriller nicht nur mit den Ängsten des Publikums spielen, sondern in fiktionaler Form direkte und indirekte Entwürfe einer Welt jenseits der gesicherten Standards der Zivilgesellschaft liefern. Soghaft, emphatisch oder mit kritischer Distanz zeigen sie mögliche politische Konsequenzen menschlicher Reaktionen in einer Welt voller Ängste und Gewalt.

 

Quellen:

Kaever, O.: „Shinig“-Doku. Die geheime Botschaft des Teppichmusters. In: Zeit Online, 20.09.2013. Abrufbar unter www.zeit.de (letzter Zugriff: 26.05.2023)

Petersen, Ch.: Das erste Omen: So gut sehen (Horror-)Filme nur ganz, ganz selten aus. In: Filmstarts. Abrufbar unter: www.filmstarts.de (letzter Zugriff: 26.05.2023)