Juristische Urteile/Beschlüsse 98
Sachsen-Anhalt und die Erhöhung des Rundfunkbeitrags – Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
Zum Sachverhalt: Ende 2020 hat das Land Sachsen-Anhalt als einziges Bundesland dem Ersten Medienänderungsstaatsvertrag nicht zugestimmt, der somit nicht, wie angedacht, am 1. Januar 2021 in Kraft treten konnte. Die mit diesem Staatsvertrag bezweckte Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent auf 18,36 Euro trat folglich nicht ein. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (Beschwerdeführer) legten dagegen Verfassungsbeschwerde ein. Sie rügten die Verletzung ihrer Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) – durch das Unterlassen der Zustimmung könne „ihr grundrechtlicher Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung nicht erfüllt werden.“
Mit Beschluss vom 20. Juli 2021 entschied der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zugunsten der Rundfunkanstalten und bestätigte damit eine Verletzung ihrer Rundfunkfreiheit – „in der Ausprägung der funktionsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“.
Ausgeführt wird zunächst, dass der Gesetzgeber dafür Sorge tragen muss, dass die zur Erfüllung des klassischen Funktionsauftrags der Öffentlich-Rechtlichen (Sicherung der Meinungsvielfalt) notwendigen technischen, organisatorischen, personellen sowie finanziellen Bedingungen vorliegen. Die Beitragsfestsetzung müsse dabei frei von medienpolitischen Interessen vorgenommen werden. Um eine solche Einflussnahme auf die Wahrnehmung des Programmauftrags auszuschließen, gelte das Gebot der Trennung – zwischen der Beitragsfestsetzung und der medienpolitischen Konkretisierung des Rundfunkauftrags. Um dieses Gebot prozedural abzusichern, eigne sich ein dreistufiges Verfahren der Bedarfsfeststellung. Die erste Stufe bilde die Bedarfsanmeldung der Länder. Auf der zweiten Stufe erfolge die Überprüfung durch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), „ob sich die Programmentscheidungen im Rahmen des Rundfunkauftrages halten und ob der daraus abgeleitete Finanzbedarf im Einklang mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ermittelt worden ist.“ Auf Grundlage des Beitragsvorschlags von der KEF setzen die Länder schließlich den Beitrag fest (dritte Stufe).
Erklärt wird des Weiteren, dass die Länder als föderale Verantwortungsgemeinschaft für die Erfüllung des Anspruchs auf funktionsgerechte Finanzierung und die Einhaltung der dazu notwendigen prozeduralen Absicherung zuständig seien. Komme beispielsweise ein Land dieser Mitgewährleistungspflicht nicht nach und werde dadurch die Erfüllung des Finanzierungsanspruchs verhindert, sei darin bereits eine Verletzung der Rundfunkfreiheit zu sehen.
Es bestehe auch keine verfassungsgemäße Rechtfertigung für das Unterlassen der Zustimmung. So sei ein Abweichen von der Bedarfsfestsetzung der KEF nur durch alle Länder gemeinsam möglich. Sehe z.B. ein Land eine Abweichung als notwendig an, müsse dieses versuchen, ein Einvernehmen unter den Ländern herzustellen. Dies sei Sachsen-Anhalt vorliegend nicht geglückt.
Das BVerfG beschließt, dass die Regelungen des Art. 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags vorläufig mit Wirkung vom 20. Juli 2021 bis zum Inkrafttreten einer staatsvertraglichen Neuregelung gelten.
Quellen:
BVerfG: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag. Pressemitteilung Nr. 69/2021 vom 5. August 2021. Abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de
BVerfG: Leitsätze zum Beschluss des Ersten Senats vom 20. Juli 2021, 1 BvR 2756/20, 1 BvR 2775/20 und 1 BvR 2777/20 – Staatsvertrag Rundfunkfinanzierung. Abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de
Influencer-Marketing: BGH-Urteil zur Werbekennzeichnung
Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied in drei Verfahren, ob Influencerinnen mit ihren Instagram-Posts gegen die Pflicht zur Werbekennzeichnung verstoßen haben. Zum Sachverhalt: Der Verband Sozialer Wettbewerb (VSW) hatte gegen drei bekannte Influencerinnen geklagt (Cathy Hummels, Leonie Hanne sowie Luisa-Maxime Huss). Der Vorwurf des VSW: unzulässige Schleichwerbung, insbesondere durch die Verwendung sogenannter Tap Tags. Entsprechend nahm er die drei auf Unterlassung und Ersatz einer Abmahnpauschale in Anspruch.
Zum Einsatz von Tap Tags („anklickbare Schilder“): Bei Instagram können beispielsweise präsentierte Kleidungsstücke mit Tap Tags versehen werden. Werden die Kleidungsstücke angeklickt, erscheinen die Tap Tags, die die Hersteller nennen. Klickt man wiederum auf die Tap Tags selbst, erfolgt eine Weiterleitung des Nutzenden auf das Instagram-Profil des jeweiligen Herstellers.
Der BGH entschied, dass die Klage des Verbandes nur in dem Fall der Influencerin Huss zulässig und begründet ist. Im Gegensatz zu den anderen beiden Influencerinnen hatte Huss für das Posten ihres Beitrags mit entsprechendem Einsatz von Tap Tags eine Gegenleistung vom Hersteller erhalten.
Der BGH führte aus, ab wann die Veröffentlichung eines Beitrags eine kennzeichnungspflichtige „geschäftliche Handlung zugunsten eines fremden Unternehmens darstellt“ (vgl. § 2 Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb [UWG]). Ein entsprechender Post müsse nach seinem Gesamteindruck übertrieben werblich sein; dies bedürfe der umfänglichen Würdigung durch das Tatgericht. Von einem werblichen Überschuss sei auszugehen, wenn ein Beitrag „ohne jede kritische Distanz allein die Vorzüge eines Produkts dieses Unternehmens in einer Weise lobend hervorhebt, dass die Darstellung den Rahmen einer sachlich veranlassten Information verlässt.“ Bezogen auf das Einsetzen von Tap Tags entschied der BGH: Das Versehen der Beiträge mit Tap Tags sei nicht übertrieben werblich; hingegen sei bei der Verlinkung auf eine Internetseite des Herstellers ein werblicher Überschuss zu bejahen.
Die Reaktionen auf dieses Urteil sind gespalten. Für Rechtsanwalt Simon Apel (Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz) beispielsweise ist nicht ersichtlich, worin der Unterschied zwischen der Weiterleitung auf das Instagram-Profil und der Verlinkung auf eine Internetseite des Herstellers liegen soll. Plausibler wäre für ihn die Entscheidung des BGH, wenn der Tap Tag, ohne Weiterleitung, bloß den Namen des Unternehmens nennen würde. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer Branchenverband Bitkom, begrüßt hingegen das Urteil und empfindet „Klarheit für alle, die Teil dieser neuen Werbeökonomie sind“. Influencerin Huss wünscht sich eine klarere Regelung, ihres Erachtens bestehe nach wie vor ein großer Interpretationsspielraum. Vorsichtshalber alles zu kennzeichnen, komme für sie nicht in Betracht, da sie nicht wie „eine große Dauerwerbeschleife“ wirken wolle.
Quellen:
BGH: Bundesgerichtshof zur Pflicht von Influencerinnen, ihre Instagram-Beiträge als Werbung zu kennzeichnen. Urt. v. 09.09.2021, Az. I ZR 90/20 (Huss), I ZR 125/20 (Hanne), I ZR 126/20 (Hummels). Abrufbar unter: https://www.bundesgerichtshof.de
Acr/LTO-Redaktion: BGH zum Influencer-Marketing auf Instagram. Nicht alle Produktbeiträge sind Werbung. In: Legal Tribune Online, 09.09.2021. Abrufbar unter: https://www.lto.de
Medienaufsicht und Influencer-Werbung
Wenn sich Influencer-Werbung auch an Kinder richtet, sind die Vorgaben des § 6 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) zu beachten. Danach sind insbesondere direkte Aufrufe zum Kauf von Waren oder Dienstleistungen unzulässig, die die Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit dieser Altersgruppe ausnutzen (vgl. § 6 JMStV). In diesem Zusammenhang hat die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) beim Zentrum für Wissenschaft und Forschung | Medien (ZWF/Medien) die Studie zu Werbepraktiken und direkten Kaufappellen an Kinder in sozialen Medien in Auftrag gegeben. Die beauftragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interviewten 32 Kinder und deren Eltern. Auch befragten sie Influencerinnen und Influencer sowie Agenturen zu ihren Werbestrategien und führten eine typologisierende Inhaltsanalyse durch. Ein wesentliches Ergebnis der Studie: 43 unterschiedliche und „zum Teil höchst problematische Werbeformen“ wurden ausgemacht. Martin Heine, Direktor der Medienanstalt Sachsen-Anhalt und Verantwortlicher innerhalb der KJM für das Thema „Kinder und Werbung“, erklärt, dass die Studie zum Anlass genommen wird, die als problematisch angesehenen Influencer-Kanäle nach den Vorgaben des JMStV zu überprüfen.
Quelle:
Die Medienanstalten: KJM veröffentlicht Studie zu Influencer-Werbung an Kinder. 43 teils höchst problematische Werbeformen identifiziert. Pressemitteilung, 12/2021, 16.08.2021. In: Die Medienanstalten, 16.08.2021. Abrufbar unter: https://www.die-medienanstalten.de
Weitere Informationen:
Die Studie ist abrufbar unter: https://www.die-medienanstalten.de
Verzahnung von Jugendmedienschutz und Datenschutz
Die Autorinnen Schreiber und Gottwald gehen in ihrem Beitrag der Frage nach: „Wann und wie dürfen personenbezogene Daten Minderjähriger, die zur Wahrung des Jugendschutzes erhoben wurden – z. B. i. R. d. Altersverifikation – noch weiterverwendet werden?“ Diese Verschränkung von Daten- und Jugendmedienschutz sei auch in Deutschland in den gesetzgeberischen Fokus gerückt. So bessere der Gesetzgeber derzeit einige Stellschrauben nach. Die Verfasserinnen nehmen dabei insbesondere den sich aktuell im Gesetzgebungsprozess befindlichen Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien (TTDSG-E) in den Blick; konkret § 20 TTDSG-E („Hat ein Telemedienanbieter zur Wahrung des Jugendschutzes personenbezogene Daten von Minderjährigen erhoben, etwa durch Mittel zur Altersverifikation oder andere technische Maßnahmen, oder anderweitig gewonnen, so darf er diese Daten nicht für kommerzielle Zwecke verarbeiten.“). Schreiber und Gottwald merken an, dass diese Regelung sowohl beim Anwendungsbereich als auch auf Rechtsfolgenseite zahlreiche Fragen offenlasse. So werfe insbesondere der Passus „anderweitige Datengewinnung“ Fragen auf; auch sei nicht hinreichend klar, welche Zwecke als kommerziell zu qualifizieren seien. Die Verfassenden befinden abschließend, dass § 20 TTDSG-E in „zu begrüßender Weise“ zu einer Verzahnung der Rechtsmaterien Datenschutz und Jugendmedienschutz beitrage; sie plädieren jedoch dafür, dass die offenen Aspekte im Gesetzgebungsverfahren diskutiert werden.
Quelle:
Schreiber, K./Gottwald, B.: Jugendschutz durch Datenschutz. Wann dürfen zum Jugendschutz erhobene Daten nach TMG bzw. TTDSG-Entwurf noch verarbeitet werden?. In: Multimedia und Recht (MMR), 6/2021, S. 467 – 470
Zu den Autorinnen:
Dr. Kristina Schreiber, Partnerin der Sozietät Loschelder Rechtsanwälte, Köln; Bernadette Gottwald, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sozietät Loschelder Rechtsanwälte