„Max hat Dummheit studiert …“
Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts beim Cybermobbing
Folgender Fall hat sich an einem Gymnasium in Memmingen abgespielt, ließe sich aber durchaus auf die gesamte Republik übertragen.
Ein 12-jähriger Schüler eines Gymnasiums erstellt ein Facebook-Profil unter dem Namen seines Mitschülers samt Foto und der Betitelung „P.-W. Fat Opfer“. Er „garniert“ dieses Fake-Profil mit Äußerungen wie „der Junge habe die ‚Opfergrundschule‘ besucht“, „Dummheit studiert“, „er vergewaltige kleine Kinder“ und „zeige seine Exkremente auf Facebook“. Des Weiteren erreichten den Jungen E-Mails mit folgenden Inhalten: „Fick dich du Wixxer du fetter Zwidder kill dich selber und am besten heute noch!“, „Und du bist häßlich dass ich kotzen muss!!“. Der Schüler war aufgrund seines überdurchschnittlichen Körpergewichts bereits vor diesen Geschehnissen im Rahmen des Klassenverbandes zur Zielscheibe von Beleidigungen geworden, die ihn derart massiv verletzten, dass er von da an psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen musste. Aufgrund der erneuten Vorfälle erlitt er schließlich einen Nervenzusammenbruch.
Vom Mobbing zum Cybermobbing
Schon zu analogen Zeiten hatten schulische Auseinandersetzungen Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (AllgPersR) zur Folge. Während das „Mobbingopfer“ jedoch zumindest nach Schulschluss in den eigenen vier Wänden ein wenig aufatmen konnte, findet Cybermobbing permanent statt. Ein diffamierendes Foto, hochgeladen bei Facebook oder in der WhatsApp-Gruppe, bleibt für alle Nutzer verfügbar und verfängt sich gegebenenfalls auch dauerhaft im Netz. Cybermobbing ist deutlich effektiver als die analoge Schikane – die Streuung der Information ist um ein Vielfaches größer, da in sehr kurzer Zeit ein immens großer Zuschauerkreis erreicht werden kann. Die Möglichkeit, aus der Anonymität heraus zu agieren, lässt die Hemmschwelle sinken, jemanden drastisch zu verleumden. So bleibt jedwede Gemütsregung des Betroffenen als Korrektiv des eigenen Verhaltens ungesehen.
Grundzüge des AllgPersR
Das AllgPersR leitet sich ab aus Art. 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit):
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ (Art. 2 Abs. 1 GG)
und Art. 1 GG (Schutz der Menschenwürde):
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ (Art. 1 Abs. 1 GG)
Es schützt das Recht des Einzelnen auf Achtung und freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gegenüber dem Staat und im privaten Rechtsverkehr.
Um diese generalklauselartige Weite des AllgPersR zu konkretisieren, hat die Rechtslehre verschiedene Fallgruppen entwickelt:
- das Recht am eigenen Bild,
- das der persönlichen Ehre,
- das Recht am eigenen Namen,
- das am gesprochenen und geschriebenen Wort und
- das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Da der Schutz einer Person regelmäßig die Entfaltungs- oder Meinungsfreiheit einer anderen behindert, muss stets eine umfassende Interessenabwägung erfolgen. Hierbei kommt es aufseiten des Verletzten insbesondere darauf an, welche Sphäre seiner Persönlichkeit verletzt wurde („Sphärentheorie“). Unterschieden wird zwischen der Öffentlichkeits-, Sozial-, Privat- und Intimsphäre. Während Letztere absoluten Schutz genießt, ist ein Eingriff in die Öffentlichkeitssphäre, beispielsweise im Rahmen einer Berichterstattung, in der Regel hinzunehmen.
Zwei Fallgruppen sind beim Cybermobbing besonders häufig tangiert: das Recht am eigenen Bild sowie das der persönlichen Ehre.
Fallgruppe: Recht am eigenen Bild
Bei dem Recht am eigenen Bild gilt der Grundsatz, dass jeder Mensch selbst darüber bestimmen darf, ob und in welchem Zusammenhang Bilder oder Bildnisse von ihm verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden; so geregelt in § 22 Kunsturhebergesetz (KUG). Entsprechend bedarf es grundsätzlich einer Einwilligung des Abgebildeten. Voraussetzung ist jedoch, dass die abgebildete Person für einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis erkennbar ist. Die Erkennbarkeit ergibt sich in der Regel aus der Darstellung der Gesichtszüge. Für eine Identifizierbarkeit können allerdings auch andere körperliche Merkmale, wie eine markante Kopfform, eine typische Körperhaltung oder aber individuelle Tätowierungen ausreichen. Das Persönlichkeitsrecht, also auch das Recht am eigenen Bild, steht grundsätzlich jeder Person, egal welchen Alters, zu.
Für das Verbreiten und Veröffentlichen von Fotos bedarf es also auch bei Kindern der Einwilligung. Wer diese erteilt, hängt von dem Alter/der Einsichtsfähigkeit des jeweiligen Kindes ab. Die Einwilligung eines geschäftsunfähigen Kindes (unter 7 Jahren) erteilen die gesetzlichen Vertreter des Kindes, in der Regel also die sorgeberechtigten Eltern.
Anders sieht es aus, wenn das Kind das siebte Lebensjahr vollendet hat. Es ist dann als beschränkt geschäftsfähig anzusehen und ihm wird eine gewisse Einsichtsfähigkeit zugeschrieben. Es lässt sich nicht generell beantworten, ab wann genau von einer solchen Einsichtsfähigkeit auszugehen ist. Das Kind muss jedoch zumindest die Risiken überschauen können, die mit einer öffentlichen Verbreitung von Fotos im Netz verbunden sind. Damit sollte das Kind spätestens mit 14 Jahren nicht mehr allein der Willkür seiner Eltern ausgesetzt sein. Mit vorhandener Einsichtsfähigkeit ist daher von einer sogenannten Doppelzuständigkeit von Kind und gesetzlichem Vertreter auszugehen. Diesen Aspekt sollten sich Eltern vor Augen führen, wenn sie, wie heute üblich, sämtliche Kanäle mit Kinderfotos bestücken.
Das Gesetz sieht in engen Grenzen Ausnahmen vom Grundsatz des Einwilligungserfordernisses vor (vgl. § 23 Abs. 1 KUG). So besagt u.a. eine der Ausnahmen, dass Bildnisse ohne eine entsprechende Einwilligung verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen, auf denen die Person nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheint (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG). Während also beispielsweise das Veröffentlichen eines Fotos vom Berliner Dom, auf dem nur ganz beiläufig und in weiter Ferne eine Person abgelichtet ist, zulässig ist, fällt ein Klassenfoto, auf dem 20 Schülerinnen und Schüler abgebildet sind, nicht unter diese Ausnahme.
Fallgruppe: Recht der persönlichen Ehre
Die digitalen Kommunikationskanäle sind zahlreich – egal, ob in Chatrooms, bei Instant Messengern oder in sozialen Netzwerken: Es wird beleidigt, schikaniert oder gelästert. Als eine weitere Fallgruppe des AllgPersR schützt das Recht der persönlichen Ehre vor solch diffamierenden Äußerungen.
Für die Frage, ob eine Äußerung rechtlich unzulässig ist, bedarf es der Abgrenzung zwischen den Äußerungsformen der Meinung und der Tatsachenbehauptung. Der Meinungsäußerung eigen ist, dass sie nicht beweisbar und rein subjektiv gefärbt ist; wie etwa die Aussage: „XY hat einen hässlichen Kleidungsstil“. Anders hingegen das „Wesen“ einer Tatsachenbehauptung; diese ist dem Beweis zugänglich und besitzt einen nachweisbaren Wahrheitsgehalt: „XY hat mich bestohlen.“
Wahre Tatsachenbehauptungen sind grundsätzlich hinzunehmen, es sei denn, sie verletzen den Betroffenen in seinen Rechten; tangieren beispielsweise seine absolut geschützte Intimsphäre. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen sind hingegen grundsätzlich unzulässig. Aufgrund der bedeutenden Rolle, die der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung zugewiesen ist, sind Meinungen und Werturteile so lange zulässig, bis sie die Grenze zur Beleidigung oder Schmähkritik überschreiten. So hat eine Person grundsätzlich auch scharfe Kritik hinzunehmen.
Von einer Beleidigung ist jedoch (in der Regel) dann auszugehen, wenn die Äußerung unsachlich wird und sie das Gegenüber verletzen oder demütigen soll. Eine klare Regel, ab wann diese Grenze überschritten ist, existiert jedoch nicht. Recht sicher fallen Aussagen darunter, die dem Adressaten jedwede Würde absprechen. Hingegen stellen bloße Distanzlosigkeiten oder allgemeine Unhöflichkeiten ohne abwertenden Charakter in der Regel keine Beleidigungen dar.
Grundsätzlich ist eine Aussage mit dem zu vergleichen, was zwischen den Beteiligten üblich ist. Treffen sich also, wie beispielsweise im dargestellten Fallbeispiel, zwei minderjährige Streitparteien vor Gericht, wird der Richter in seine Bewertung mit einfließen lassen müssen, dass Schimpfwörter unter Jugendlichen/Schülern in gewissem Umfang Teil von jugendspezifischer Sprache und Verhalten sind.
Zurück zum Landgericht Memmingen …
Das Gericht entschied zugunsten des diffamierten Jungen. Es sah die Voraussetzungen für die zivilrechtlichen1 Ansprüche auf Unterlassung und auf Schmerzensgeld wegen schwerwiegender Verletzungen seines AllgPersR als gegeben an (§§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1, 827, 828 Abs. 3, 253 Abs. 2 BGB sowie nach § 22 KUG).
Die Kammer stellte zunächst fest, dass der zur Tatzeit 12-jährige Schüler durch das Versehen des „gefakten“ Facebook-Profils mit dem Foto des bloßgestellten Jungen gegen dessen Recht am eigenen Bild verstoßen habe. Weder der Mitschüler noch seine Erziehungsberechtigten hatten solch einer Verwendung zugestimmt.
Hinsichtlich der ehrverletzenden Äußerungen führten die Richter aus, dass es verfehlt sei, wegen einer isolierten, mündlichen Äußerung wie „Ich habe Dummheit studiert“ unter Minderjährigen einem Unterlassungsanspruch wegen der Verletzung des AllgPersR stattzugeben.
Vorliegend beschränke sich das Verhalten des beklagten Schülers aber bei Weitem nicht auf vereinzelte jugendtypische Äußerungen gegenüber seinem Mitschüler. So beträfen die getätigten Äußerungen allesamt den Kernbereich seiner Persönlichkeit. Zudem verstärke die Verbreitung über das Internet die Wirkung entsprechender Äußerungen gegenüber einer nur mündlichen und damit in der Wirkung flüchtigen Äußerung massiv.
Strafmündigkeit und Deliktsfähigkeit
„Ich bin noch keine 14, mir passiert eh nichts“, denkt sich vielleicht mancher Jugendliche, und mag sich möglicherweise auch der Schüler aus Memmingen gedacht haben. Diese Überlegung trifft allerdings nur zum Teil zu. Unterschieden werden muss zwischen der Strafmündigkeit und der Deliktsfähigkeit. Die Strafmündigkeit bezeichnet die Fähigkeit, strafrechtlich verantwortlich zu sein, sie beginnt mit 14 Jahren. Kinder, die bei Begehung der Tat keine 14 Jahre alt sind, sind schuldunfähig und damit strafunmündig (vgl. § 19 StGB). Anders hingegen im Zivilrecht. Hier greift die Deliktsfähigkeit, die besagt, dass Kinder zwischen 7 und 18 Jahren dann haften, wenn sie die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht haben. Das Kind/der Jugendliche muss also fähig sein, seine Verhaltenspflicht gegenüber dem Geschädigten/der Allgemeinheit zu erkennen. So prüft der Richter im Zweifel, wie es um den Entwicklungsstand des Minderjährigen bestellt ist.
Die Richter schrieben dem 12-Jährigen die Delikts-/Einsichtsfähigkeit zu: Der Schüler besuche mit dem Gymnasium eine herausgehobene Schule. Auch sei das Thema „Cybermobbing“ in der Klasse behandelt worden, er damit über das Thema informiert und entsprechend sensibilisiert gewesen. Schließlich habe sein Auftreten während der Verhandlung erkennen lassen, dass er die erforderliche Einsicht ebenso wie die intellektuelle Fähigkeit habe, die Gefährlichkeit seines Tuns zu erkennen.
Aufgrund der Schwere der Verletzung sprach die Kammer dem geschädigten Schüler auch Schmerzensgeld zu. Dies jedoch nicht in der beantragten Höhe von 2.000 Euro, sondern „lediglich“ 1.500 Euro. Für die Bemessung der Intensität der Verletzung sowie der Höhe des Schmerzensgeldes berücksichtigte die Kammer zunächst die erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die durch das vorsätzliche Verhalten des beklagten Schülers zumindest mit verursacht worden seien. Zu seinen Lasten wertete sie außerdem die Intimsphäre verletzenden Inhalte als auch die Art der Verbreitung über das Internet.
Zu seinen Gunsten hingegen verwiesen die Richter auf seine noch kindliche Unerfahrenheit. Es sei angesichts des Umstandes, dass der Beklagte noch Schüler ist, zudem gerechtfertigt, seine Schwierigkeiten bei der Aufbringung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen und dessen Höhe zu mindern.
Fazit
Um die Situation zu deeskalieren, sollten Betroffene zunächst Eigeninitiative ergreifen und nicht auf direktem Wege Anwalt und Polizei/Staatsanwaltschaft einschalten. Ratsam ist, sich erst einmal an Eltern, ältere Geschwister oder an den Vertrauenslehrer zu wenden. Der Täter sollte angeschrieben und aufgefordert werden, binnen einer bestimmten Frist die schikanierenden Inhalte zu entfernen. Außerdem ist es bei Bedarf zu empfehlen, Kontakt mit dem entsprechenden Social-Media-Anbieter herzustellen, um rechtsverletzende Inhalte löschen zu lassen.
Sollten diese ersten eigenen Maßnahmen nicht ausreichen, ist das Aufsuchen eines Rechtsanwalts zu empfehlen. Dieser wird eine Abmahnung verfassen, die neben der sofortigen Beendigung des verletzenden Verhaltens auf die Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung hinwirkt. Bei strafrechtlicher Relevanz besteht parallel dazu die Möglichkeit, Beleidigungen bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft zur Anzeige zu bringen. Dabei sollte bedacht werden, dass eine Strafanzeige und eine sich daran anschließende Verurteilung für einen noch Minderjährigen drastische und weitreichende Auswirkungen auf seine persönliche wie berufliche Entwicklung haben können.
Für jedwedes Vorgehen ist die Beweissicherung des belastenden Materials allerdings unerlässlich. Für eine genaue Dokumentation des Geschehenen bietet sich das Führen eines Tagebuches an. Weiterhin sollten Screenshots von verletzenden Inhalten gemacht werden. Handelt es sich um ausführliche diffamierende Chatverläufe, beispielsweise in Klassen-Whats-App-Gruppen, besteht die Option, sich den gesamten Chatverlauf inklusive eingefügter Medien und Bilder per Mail an sich selbst zu schicken (bei WhatsApp z.B.: auf Kontaktinfo klicken – Funktion „Chatverlauf exportieren“).
Anmerkung:
1 Mobbing kann mit zivilrechtlichen und/oder strafrechtlichen Mitteln geahndet werden.
In zivilrechtlicher Hinsicht stehen dem in seinen Persönlichkeitsrechten Verletzten Unterlassungs-, Berichtigungs-, Gegendarstellungs- und auch Schadensersatzansprüche (z.B. auf Schmerzensgeld) zu. Ein Großteil der Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist auch strafrechtlich relevant (Rechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger). Zu nennen sind hier beispielsweise die Beleidigung, die üble Nachrede, die Verleumdung (§§ 185 ff. StGB) oder die Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs (§ 201a StGB).