Never myself, always the same

Jana Papenbroock

Jana Papenbroock studierte Film an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Neben ihrer freien Prüftätigkeit für die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) arbeitet sie als Dokumentarfilmemacherin.

Trotz diverser Diversity-Bemühungen herrscht Backlash zwischen Parfumregal und Reality-TV. Weibliche Gesichter und Körper dienen der Produktvermarktung und das Frauenbild der 50er-Jahre kehrt mit aufgespritzten Lippen zurück. Jana Papenbroock über bizarre Widersprüche misogyner Phänotypen..

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 2/2023 (Ausgabe 104), S. 88-91

Vollständiger Beitrag als:

Letztes Jahr brachte Prada einen neuen Duft auf den Markt, Paradoxe, der schon wie Calvin Kleins Contradiction in den späten 1990ern mit dem offenbar nie alt werdenden Spruch „Never the same, always myself“ und einer wild tanzenden, dramatisch mit VR-Brille navigierenden, tiefseetauchenden, larger-than-life malenden, auf einem exaltierten Selbstverwirklichungstrip befindlichen Emma Watson wirbt. „Why should I be framed, boxes are always too small“, sagt die junge, schöne Multimillionärin im Werbeclip, die durch „frames“ und „small boxes“ ihr Vermögen produziert, sei es durch opulent finanzierte Filmframes, die formatierten kleinen Kästchen ihres Instagram-Werbekanals oder den Verkauf wohlkadrierter Bilder ihres Gesichts und Körpers für die Vermarktung eines Produkts der Luxusfirma einer italienischen Multimilliardärin. Paradox ist das alles nicht, nur unehrlich. Gerade wenn der Kauf von Luxusgütern als notwendiges Mittel konstruiert wird, um ganz authentisch bei sich selbst und seiner Situation anzukommen. Wie soll ich zu meinem Selbst gelangen, wenn dieses Selbst erst durch einen Konzern an möglichst viele Abnehmer*innen verkauft werden muss, die alle das gleiche Bild einer Emma Watson im Ausnahmezustand verinnerlichen? Bin ich mehr ich selbst und gleichzeitig im abwechslungsreichen Wandel, wenn ich durch Konsum von Kommoditäten dazu beitrage, den Reichtum von Milliardär*innen zu steigern?
 

Prada Paradoxe | The Film | Emma Watson Director's Cut (Prada, 22.08.2022)



Wer die Gesichter der Upperclass, von Social-Media-Influencer*innen und aufsteigenden Reality-TV-Persönlichkeiten genauer beobachtet hat, dem wird nicht entgangen sein, dass das „never the same“ vor allem in der letzten Dekade zu einem zuweilen geradezu gruseligen „ever the same“ gemorpht ist und ein vermeintlich individueller Gesichtsausdruck cyborgartige Gleichförmigkeitsausmaße angenommen hat.

Für die meisten nicht an Instagram-Fish-Gape-Selfies bzw. mit dem Filter Facetune zombieartig revitalisierte Selbstvermarktungsfotos gewöhnte Augen sieht ein beträchtlicher Anteil der weiblichen und zunehmend ebenfalls männlichen Unternehmer*innen mehr und mehr zum Verwechseln ähnlich aus: ein plastisches Gesicht wie eine Maske, schräg liegende Katzenaugen, hohe Wangenknochen, eine winzige Stupsnase, dicke, hochgebürstete Statement-Augenbrauen, absolut falten- und porenfreie latexartige Haut und ein Gesichtsausdruck, als sei man kurzsichtig und müsse die Augen zusammenkneifen, um scharf zu stellen, wobei einem die Kinnlade herunterfällt und daher der Mund leicht offen steht, oder als sei man gerade von einer Weltreise zurückgekehrt, aber habe zu viele Beruhigungsmittel genommen – alles gesehen, nichts mitbekommen.

Im Porträtfilm Story Telling for Earthly Survival erzählt die Biologin und Philosophin Donna Haraway von ihrem Forschungsausflug in die Geschichte der Kieferorthopädie, als sie zum ersten Mal Student*innen der Princeton University mit schneeweißen und perfekt geraden Zähnen begegnete. Ihre Recherche über den Ursprung des scheinbar perfektionierten Biss-Modells führte sie schließlich zu antiken Statuen griechischer Götter. Der US-amerikanische Biss wird nach einem nicht real existierenden griechisch-mythologischen Okklusionsideal modelliert. Ein Biss entwickelt sich evolutiv hochgradig situativ: Je nachdem, ob täglich zähes Fleisch gerissen wird oder mit den Backenzähnen Körner gemahlen werden müssen, formen sich Zähne und ihre Anordnung im Kiefer idiosynkratisch. Dass vermögende US-Amerikaner*innen heute seltsam gleichförmige, zu gerade angeordnete und zu weiße Zähne aufweisen, zeigt wohl einerseits im Aby Warburg’schen Sinne, wie stark wir noch vom Nachleben der griechischen Antike geprägt sind, und andererseits, wie sehr wir durch Technologie längst zu Cyborgs geworden sind, denen weder ihr Gewordensein noch ihr Gesicht mehr gehört.

Haraway entwirft im Cyborg Manifesto aus dem Jahr 1985 ein hoffnungsvoll progressives Bild des Hybridwesens, das von ödipaler Triangulierung und der Oppression eines übermächtigen kapitalistischen Patriarchats befreit ist. Ihr Cyborg ist ein sozialistischer, nicht essenzialistischer Versuch eines genderfluiden, monströsen Mischwesens, das rigide Grenzziehungspraktiken zu verunklaren versucht und ein romantisiertes Naturbild ablehnt. Für Haraway gibt es kein Zurück zu einer vermeintlich ursprünglichen, heilen, natürlichen Welt und biologisch-eindeutigen Geschlechtlichkeit. Sie nutzt Technik und Technologie emanzipatorisch, um Herrschaft und Unterdrückung zu dekonstruieren. Haraways posthumaner Cyborg tritt für situative, partielle Wissensformen ein und Geschlechterbilder, die einander nicht phallogozentrisch dominieren, sondern egalitäre Differenz und Mehrstimmigkeit zulassen. Aus der Übernahme einer Cyborg-Identität ergeben sich unterschiedliche Effekte: die feministische Rückeroberung des unterdrückten Körpers durch das Aufbrechen der Grenze zwischen Organismus und Technologie. Oder die Akzeptanz fließender, nicht binärer und widersprüchlicher Identitäten sowie anderer Arten von Verwandtschaftsbeziehungen, die über die biologische Kernfamilie hinausgehen.
 


Diese Bilder stellen Frauen in einen paternalistischen Schönheitswettbewerb, anstatt sie zur Kooperation zu befähigen.



In den technohybriden Schönheitsidealen, die momentan hoch im Kurs auf Instagram oder in Reality-TV-Shows und anderen TV-Beauty-Formaten sind, in denen teilweise auch invasive OPs genutzt werden, um den Anforderungen der idealisierten Bilder zu genügen, ist leider weder ein radikal sozialistischer noch emanzipatorischer, antikapitalistischer Gestus spürbar. Im Gegenteil, die liquiden oder finanzierten Cyborgs, mit denen wir es hier zu tun haben und die auf Seiten wie celebface ausgiebig anthropologisch untersucht werden können, sind Inbegriffe eines reaktionären, internalisierten Male Gaze, der weiblich gelesene Körper vor allem auf ihre primären Geschlechtsmerkmale reduziert: ein großer Po, eine kleine Taille, große Brüste, geschwollene, lüsterne Lippen, die sexuelle Verfügbarkeit suggerieren, keinerlei dermatische Spuren von gelebtem Leben. Anstatt Macht infrage zu stellen und andere Welten und Seinsweisen zu imaginieren, propagieren diese Cyborgs steten Konsum von in der Regel hochpreisigen Beautyprodukten, ‑behandlungen und ‑OPs, kurzum: Es sind systemstabilisierende, patriarchale Bilder von Weiblichkeit, die diese rückschrittlichen Cyborgs verbreiten; Bilder, die Frauen in einen paternalistischen Schönheitswettbewerb stellen, anstatt sie zur Kooperation zu befähigen, wodurch sie erst in die Lage kämen, alteingesessene Herrschaft ernsthaft kippen zu können.
 

TOP 10 der unnötig sexualisierten weiblichen Filmhauptfiguren (Watch Mojo Deutschland, 28.02.2018)



Auch das gegenwärtige Diversity Washing einschlägiger TV-Formate ändert nichts am patriarchalen Diktum ihrer Grundaussagen: Du musst schön sein, verführen und brav Produkte verkaufen.

Dabei sind es unglücklicherweise oft auch Frauen, die das patriarchale Projekt perpetuieren, weil sie maßgeblich von ihm profitieren und nicht unmittelbar an seinem Umbau verdienen würden. Es würde zwar eine Mehrheit profitieren und es könnte zudem wasserbasiertes Leben in einem menschenfreundlichen Klima erhalten werden, aber das myopische Begehren der extrem Reichen gebietet es nicht, dass alle etwas haben, was sie auch für sich allein behalten können.

So progressiv, um diverser und inklusiver auszusehen durch einen Anstrich aus Blackfishing, Queerbaiting oder die Aufnahme einiger phänotypisch diverser Teilnehmer*innen in den exklusiven Formaten, ist die Film- und Fernsehindustrie inzwischen. Aber die Klassenverhältnisse zu ändern im Sinne von Fair Pay für alle oder gar obszöne Multimillionen-Euro-Löhne von ohnehin schon extrem Reichen abzuschaffen? – Daran ist nicht zu denken mit dieser Hardcore-Minorität der Celebrity-Unternehmer*innen, die sich verhalten wie ihr Alphatier Elon Musk, der lieber in die Kolonisation des Planeten Mars investiert, als mit seinem mittelalterlich feudalen Vermögen dazu beizutragen, unseren Planeten bewohnbar zu halten.
 


Du musst schön sein, verführen und brav Produkte verkaufen.



Die bestehende Realität ist längst und immer schon ungleich diverser und komplexer als die fabrizierten medialen Schönheits- und Subjektbilder großer Unternehmen, die in ihrer Fortschrittlichkeit konstitutiv hinterherhinken. Einer der erfolgreichsten Skinfluencer (Influencer im Bereich „Hautpflege“) in Deutschland ist beispielsweise ein queerer, türkischstämmiger, nerdiger Bio-Student mit Vollbart und Hornbrille, dem Hunderttausende junger Konsument*innen folgen, der nebenbei in der herzlichen Manier einer gesprächigen Tante Bodyshaming und Depression thematisiert und oft zu günstigen Produkten der Eigenmarken von Drogerien rät, die der Arbeiterklasse zugänglich sind.

Die Wirklichkeit ist seit jeher divers und queer gewesen. Jeder, der den Körper und die Hände einer arbeitenden Landwirt*in gesehen hat, weiß, dass klischierte Bilder von Geschlechterstereotypen völlig an der Realität arbeitender Frauen vorbeigehen, die uneindeutig und in vielerlei Hinsicht „queer“ sind, auch wenn ihre Sprache nicht immer das de facto gelebte avancierte Geschlechterbild zeitgemäß zu beschreiben vermag. Wer zurückblickt und die Bilder eines nicht sexualisierten nackten Körpers einer kurzhaarigen promovierten Physikerin am Badesee in der DDR anschaut, findet teilweise fortschrittlichere, freiere Körperbilder als die Bilder, die heutzutage von jungen Frauen im TV produziert werden, die in antiquiertem, rückenschädigendem Schuhwerk wie in den heteronormativen 1950ern herumstöckeln und sich – anstatt in ihr Wissen zu investieren – im sinnentleerten Konsum und der Arbeit an ihrem fremdbestimmten Bild verausgaben.

Man denke an Gestalten wie Divine, Mabel Hampton, Annemarie Schwarzenbach und gehe weiter zurück bis zu Sappho und darüber hinaus. Es hat im 7. Jahrhundert v. Chr. progressivere Geschlechterrollen gegeben, als sie heute unter dem Hashtag der Diversität und sexuellen Vielfalt als Novitäten serviert werden.
 

Divine (1982): Shake It Up (TopPop, 28.10.2018)



Auch die eigentlichen Leben der Reality-TV-Frauen*, die im Subtext ihrer Repräsentation als flache Abbilder konventioneller Schönheitsideale ohne eigenen wirklichen Subjektstatus gehandelt werden, sind natürlich weitaus komplexer und vielschichtiger als ihre reduzierte Darstellung. In der klassischen Showdramaturgie werden die Teilnehmerinnen misogynerweise meist als „blöd“, „bitchy“ oder aber „brav“ im Sinne von „unbedarft“ und „prüde“ charakterisiert, sodass Dynamik durch geschlechterstereotype „Stutenbissigkeit“ und „Zickenkriege“ konstruiert werden kann. Dass sich hier denkende, überlebende, arbeitende, ausgebeutete, prekär lebende, kämpfende, verletzte, vulnerable, teilweise auch psychisch erkrankte, unter Umständen sogar suizidale und noch sehr junge Menschen ausliefern, die keine Kontrolle über ihr Fremdbild haben, nicht einschätzen können, welche medialen Folgen wie Cybermobbing, Hassrede, Stalking etc. ihre Partizipation auslösen kann, ist fragwürdig, wenn keine Verantwortung für einen eintretenden, medial-misogynen Shitstorm übernommen wird und den Betroffenen kein Mittel zur Rehabilitierung ihres Selbstbildes zur Verfügung steht. Das Übergewicht eines fremdbestimmten Bildes, das mit der Selbstwahrnehmung nicht vereinbar scheint, kann schwere psychische Störungen und tiefe Krisen auslösen. Sicher, es gibt kein stabiles ursprüngliches Selbst, das zu finden wäre. Ein Selbstbild ist immer schon zutiefst verworren, durchmischt, von anderen und anderem abhängig. Aber ein Selbst muss nicht von einem es reduzierenden, als minderwertig behandelnden zynischen Blick bestimmt sein, ein Selbst kann zur progressiven Selbstgestaltung durch Kultur, Wissen, Kooperation oder emanzipatorisches Fernsehen wie die Kindersendung Wissen macht Ah! (von 2001–2017 von der ehemaligen Profifußballerin, Autorin und Musikerin Shary Reeves moderiert) ermächtigt werden.
 


Es hat im 7. Jahrhundert v. Chr. progressivere Geschlechterrollen gegeben, als sie heute unter dem Hashtag der Diversität und sexuellen Vielfalt als Novitäten serviert werden


Die Wahrnehmung einer komplexen, vielfältigen, widersprüchlichen und veränderbaren Welt wird durch die oppressive Macht von reduktionistischen Selbst- und Schönheitsbildern auf eine Weise eng geführt, dass proto-narzisstische Selbstdarstellung (ob im nächsten Post oder TikTok-Video) weltbestimmend zu sein scheint, als ginge es um nichts anderes im Leben. Während dieser wertvollen Zeit, die zur medialen Selbstdarstellung aufgewendet wird, wird die Welt tatsächlich bestimmt, nur nicht von wissentlich oder unwissentlich unterdrückten, künstlich minimierten Content-Lieferant*innen, die das Geschäft der (im Jahr 2021) in Deutschland 81 % männlich besetzten Führungspositionen ermöglichen.

Bei genauerem Blick sind diese mehrheitlich männlichen Chefs und Unternehmer genau das, was Marx 1867 als „vampirische“ „Ungeheuer“ bezeichnete, die sich durch die Kraft von Arbeiter*innen beleben und ewig leben wollen. Der Unternehmer und Milliardär Christian Angermayer, der zwar erst 44 Jahre alt ist, aber schon jetzt aussieht wie ein Untoter, investiert mit seinen Start-ups zum einen – wie prophetisch von Marx vorhergesehen – in die Überwindung des Todes, nach ihm ist Altern „heilbar“, und zum anderen in die Therapie von Psychopathologien mit psychotropen Drogen. Warum sollte ein extrem Reicher auch etwas an der toxischen Situation vieler psychisch Erkrankter ändern – wie beispielsweise guten Wohnraum zu schaffen, schöne Arbeitsbedingungen, schöne Löhne, Zugang zu guter Ernährung und Erholung –, wenn er auch Magic Mushrooms verkaufen kann? Oder gleich ganz neue Krankheiten als Absatzmärkte erfinden kann wie das Altern?

Gegen die durchgeknallten, vampirischen, nicht sterben wollenden ultrareichen Ungeheuer und ihre pathologischen Bilder von Schönheit, die als Kommoditäten verkauft werden, um ihr Privatvermögen stets weiter zu steigern, ist glücklicherweise ein Kraut gewachsen: Widerstand in all seinen Ausdrucksformen. Prada zeigt auf Emma Watsons YouTube-Kanal, wie 46 % Plastik, 29 % Glas, 67 % Metall und 39 % Pappe gespart werden können, wenn man sich gleich die Refill-Flasche zum Paradoxe-Parfum dazukauft. Der erste Kommentar unter dem Video: „Und wenn Du es nicht kaufst, sparst du 100 % aller Materialien.“

Wie gesagt, die Wirklichkeit ist immer ihrer Zeit voraus.