Petition gegen transgenderfeindliche Berichterstattung in den Medien
Laut Petition kommen in den Medien vermehrt Autor*innen zu Wort, die Transgender als Trend oder Ideologie darstellen. Es sei „von Mädchen, die keine Mädchen sein wollen“ die Rede (Bundesverband Trans* et al. 2022). Diese Berichterstattung würde damit teilweise sogar die Existenz von Transpersonen infrage stellen. So würde Hass gegenüber diesen Menschen geschürt, ihre Anerkennung und ihre gesellschaftliche Gleichstellung würden als gefährlich für die Mehrheitsbevölkerung bezeichnet. Gleichzeitig würden Transpersonen in ihrer Lebensrealität überproportional oft sowohl physische als auch psychische Gewalt erfahren.
Zwar sei positiv zu bewerten, dass Transgender zunehmend medial thematisiert würden, allerdings würde es bezüglich der Recherche und der Auswahl von angeblich wissenschaftlichen Gesprächspartner*innen oft an Präzision und Ausgewogenheit fehlen. Die Diskriminierungen, mit denen Transpersonen zu kämpfen hätten, sowie ihre oft prekäre rechtliche und finanzielle Lage, würden dabei meist unerwähnt bleiben.
Die mediale Berichterstattung sei für die gesellschaftliche Wahrnehmung und Diskussion dieses Phänomens ausgesprochen wichtig, deshalb könne eine nachlässige Darstellung des Themas für die betroffenen Personen dramatische Folgen haben.
Die Petition verweist darauf, dass in den USA und Großbritannien nicht zuletzt aufgrund der medialen Berichterstattung Transfeindlichkeit salonfähig geworden sei. Dies habe unter anderem dazu geführt, dass die Konversionstherapien für Schwule und Lesben zwar verboten, Transpersonen davon aber ausgenommen worden seien. Die verzerrte Berichterstattung trage auch dazu bei, dass Suizidversuche insbesondere bei Transkindern und -jugendlichen stiegen – fast die Hälfte habe schon einmal ernsthaft Suizid in Erwägung gezogen –, außerdem seien sie sechsmal mehr von Mobbing betroffen als andere Jugendliche.
Die vermehrte mediale Aufmerksamkeit für das Thema rührt nicht zuletzt daher, dass die Bundesregierung gerade ein Gesetz plant, das mehr Selbstbestimmung ohne psychiatrische Gutachten schaffen soll: „Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, kündigte gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio an, dass noch vor der parlamentarischen Sommerpause die Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes stehen sollen.“ (Frühauf 2022, außerdem dazu Nyke Slawik in rbb 24 Inforadio 2022)
Am 30.06.2022 stellten Bundesjustizminister Marco Buschmann und Bundesfamilienministerin Lisa Paus die Eckpunkte des Gesetzentwurfs vor.
Es gehe zudem ausschließlich um die Änderung des Vornamens und des Personenstandes. Dazu reiche künftig eine Selbstauskunft. Für Minderjährige ab 14 Jahren ist die Zustimmung beider Sorgeberechtigten notwendig, andernfalls werde das Familiengericht hinzugezogen. Bis zum 14. Lebensjahr können nur die Eltern die Erklärung für die Kinder und Jugendlichen abgeben.“ (Westkämper 2022)
Bisher waren dazu teure und langwierige psychiatrische Gutachten notwendig. Dagegen formiert sich massive Kritik, die nach Ansicht der Petition in den Medien überproportionale Beachtung findet.
Als Beispiel für die negative mediale Berichterstattung nennt die Petition unter anderem Interviews mit dem Jugendpsychotherapeuten Alexander Korte, der sich offen gegen das geplante Gesetz positioniert und argumentiert, Transgender würde plötzlich im Jugendalter als Trend auftreten: „Ich würde eher von einem Zeitgeistphänomen sprechen. Trans ist offensichtlich eine neuartige Identifikationsschablone, für die es einen gesellschaftlichen Empfangsraum gibt. Und das spricht in erster Linie eine vulnerable Gruppe von weiblichen Jugendlichen an. 85 % der trans Identifizierten sind ja biologische Mädchen. Das ist ein internationales Phänomen. In Schweden stieg die Diagnosehäufigkeit bei 13- bis 17-jährigen Mädchen von 2008 bis 2018 um 1.500 %.“ (Korte in Feddersen/Kutter 2022). Korte wendet sich gegen den Vorwurf, Transpersonen als krank zu bezeichnen: „Ohne die Einordnung als krankheitswertige Störung gibt es keine Kostenübernahme der Finanzierung von medizinischen Dienstleistungen! Dazu gibt es eigentlich mehrere rechtskräftige Urteile des Bundessozialgerichts. Entscheidend ist der ,klinisch relevante Leidensdruck‘ und die Beeinträchtigung. Die unselige Entpathologisierungsdebatte führt ins Nichts – sie schadet den Betroffenen, was ein Großteil von ihnen mittlerweile auch begriffen hat.“ (ebd.)
Während Korte nach Ansicht der Petition in den Medien überproportional häufig zu Wort kam, fand die Stellungnahme der Bundespsychotherapeutenkammer kaum Beachtung: „Der DPT spricht sich dafür aus, dass künftig auch die Änderung des Geschlechtseintrags bei Transidentität über eine Erklärung gegenüber dem Standesamt und nicht länger über ein Gerichtsverfahren mit zwei Gutachten geregelt wird. Der Deutsche Psychotherapeutentag regt zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts von transidenten Personen an, den Geschlechtseintrag im Wesentlichen nur vom Geschlechtsempfinden der antragstellenden Person abhängig zu machen.“ (Bundespsychotherapeutenkammer 2022)
Auch Alice Schwarzer wird vorgeworfen, gegen Transgender zu agieren: „So durfte Alice Schwarzer die Werbetrommel für ihr trans*feindliches Buch rühren, das sich als Fachbuch inszeniert. Von einer ausgewogenen oder gar differenzierten Auseinandersetzung mit Trans*geschlechtlichkeit kann darin aber nicht die Rede sein. Das Buch versammelt ausschließlich Beiträge, in denen trans*feindliche Vorstellungen vertreten werden. Trans* Personen wird ihre Fähigkeit abgesprochen, über das eigene Geschlechtsempfinden Bescheid zu wissen, und Ängste vor trans* Personen als Täter*innen werden geschürt. Die Herausgeberinnen machen damit Stimmung gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz, das trans* und inter* Personen die Änderung des Namens und Geschlechtseintrags erleichtern soll.“ (Bundesverband Trans* et al.)
Alice Schwarzer erläutert in der „Zeit“ ihre Kernthese: „Unsere Sexualität ist ursprünglich nicht objektfixiert und bleibt lebenslang variabel. Eine Feministin wie ich plädierte also damals, genauso wie ich es heute noch tue, für die Befreiung der Menschen von den Geschlechterrollen und für die Entfaltung des Individuums je nach Begabung, Interessen und Möglichkeiten, jenseits der Zuweisung der sozialen Geschlechterrollen.“ (Schwarzer 2022)
Transpersonen empfinden jedoch ihr erkennbares Geschlecht als Gegensatz zu ihrem biologisch gefühlten Geschlecht, und damit sehen sie das Geschlecht nicht als soziale Konstruktion.
Schwarzer wiederholt eine These aus einem 1984 von ihr veröffentlichtem Buch: „Der Transsexualismus scheint mir der dramatischste Konflikt überhaupt, in den ein Mensch auf dem Weg zum ,Mannsein‘ bzw. ,Frausein‘ in einer sexistischen Welt geraten kann. […] In diesem Konflikt haben die Transsexuellen selbst keine Wahlmöglichkeit mehr: Ihr Hass auf den ,falschen‘ Körper ist weder durch Argumente noch durch Therapien zu lösen. Transsexuelle sind zwischen die Räder des Rollenzwangs geraten. […] In einer vom Terror der Geschlechterrollen befreiten Gesellschaft wäre Transsexualismus schlicht nicht denkbar.“
Anschließend resümiert Schwarzer in ihrem Beitrag: „Das war vor fast 40 Jahren. Da ahnte ich nicht, welche problematische Entwicklung das Phänomen eines Tages nehmen würde. Nämlich dass Transsexualität nicht mehr als schwerer seelischer Konflikt einiger weniger begriffen würde – denen Verständnis und Hilfe zustehen –, sondern zunehmend als Weg, sich für die vermeintlich ,falsche‘ Geschlechterrolle einfach den ,passenden‘ Körper zu suchen.“ (ebd.)
Alles in allem geht es hier wohl weniger um die Absicht, Transmenschen zu diskriminieren, sondern um den Streit, ob es ein biologisch festgelegtes oder beabsichtigtes Geschlecht gibt oder ob es sich dabei um eine gesellschaftliche Konstruktion handelt: Steckt hinter der Vorstellung, im falschen Geschlecht zu leben, nur eine innere Interpretation und Wahrnehmung oder steckt dahinter ein biologisches Phänomen, das zu einer Differenz zwischen dem körperlich erkennbaren Geschlecht und dem psychisch und emotional empfundenen Geschlecht führt? Ein solcher Diskurs muss in einer freiheitlichen Gesellschaft offen möglich sein. Unter dem Aspekt der Menschenwürde, die natürlich auch für Transpersonen gilt, dürfte das allerdings keine Rolle spielen. Und darum geht es schließlich in dem Selbstbestimmungsgesetz: Von Bedeutung sollte sein, wofür sich diese Menschen entscheiden; das Ergebnis eines wissenschaftlichen, von allen Seiten ein wenig ideologisch geführten Diskurses, dessen Ergebnis vermutlich noch offen ist, steht dagegen zurück.
Quellen:
Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK): Abbau von struktureller Diskriminierung gegenüber trans Menschen. Stellungnahme vom 40. Deutschen Psychotherapeutentag, 13./14.05.2022. Abrufbar unter: www.bptk.de
Bundesverband Trans* (BVT* e. V.), Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e. V.), TransInterQueer (TrIQ e. V.) und Inter*Trans*Beratung Queer Leben: Gegen trans*feindliche Berichterstattung, für einen respektvollen und sachlichen Umgang! Petition, Stand: 29.06.2022. Abrufbar unter: https://innn.it/transmedienwatch
Frühauf, S.: Selbstbestimmung soll Gesetz werden. In: tagesschau.de, 23.02.2022. Abrufbar unter: www.tagesschau.de
Feddersen, J./Kutter, K: Jugendpsychiater über Transidentität. „Es ist hip, trans zu sein“. Gespräch mit Alexander Korte. In: taz, 02.05.2022. Abrufbar unter: https://taz.de
rbb 24 Inforadio: Slawik: „Transsexuellen-Gesetz war höchst problematisch“. Interview mit Nyke Slawik. In: inforadio.de, 30.06.2022. Abrufbar unter: www.inforadio.de
Schwarzer, A.: Transsexualität und Geschlechterrollen. Im Gendertrouble. In: ZEIT ONLINE, 23.02.2022. Abrufbar unter: www.zeit.de
Westkämper, A.: Selbstbestimmungsgesetz. Ampel-Plan: Alle Menschen sollen Geschlecht und Vornamen künftig selbst festlegen dürfen. In: Redaktionsnetzwerk Deutschland, 30.06.2022. Abrufbar unter: www.rnd.de