Provokation im kindlichen (Ritter-)Gewand

Die Adult-Animation-Serie „Crossing Swords“ bei ProSieben FUN

Christiane Radeke

Christiane Radeke studierte AV-Medienwissenschaften an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg und ist hauptamtliche Prüferin bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF). Sie schreibt als Autorin u.a. für das Kinder- und Jugendfilmzentrum (KJF) und arbeitet für die Deutsche Welle in der Abteilung Documentaries.

Programm Crossing Swords
 Animation, USA 2020/2021
SenderProSieben FUN, ab 22.08.2022

Online seit 29.08.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/provokation-im-kindlichen-ritter-gewand-beitrag-1124/

 

 


Sie sehen aus wie selbstgebastelte Playmobilfiguren aus Restmaterialen: die Knappen, Ritter, Könige, Kobolde und ganz normalen Schülerinnen und Lehrerinnen. Sie bedienen sich einer obszönen Sprache, trinken Alkohol oder nehmen Drogen. Der Humor dieser comic­haft überzogenen Adult-Animation-Serie soll aus dem Kontrast des sehr kindlich anmutenden und reduzierten Stop-Motion-Looks mit naiv aussehenden Figuren einerseits und derb sexualisierten Anspielungen und heftigen Gewaltspitzen andererseits generiert werden. Selbstverständlich erreicht in Crossing Swords nichts ein auch nur ansatzweise realistisches Niveau. Da der Plot in der Zeit der Ritter spielt, ist Gewalt ein beliebtes Konfliktlösungsmittel. Dazu werden grobe Sprüche gemacht.

Im Zentrum steht mit dem Knappen Patrick die offenbar einzige positive und integre Figur. Er versucht, sich im Wahnsinn der ihn umgebenden Welt zu behaupten, verwechselt Sex mit Liebe und wird dafür zu Rattenbissen verurteilt, hilft seinem schwulen Kumpel, die Liebe zu gewinnen, und wirkt ansonsten meistens reichlich überfordert von seiner Umwelt – eine ganz klassische Identifikationsfolie also für adoleszente Rezipient:innen.
 

Trailer Crossing Swords (Staffel 2, ProSieben FUN)



In den drei ersten Folgen der 2. Staffel geht es um die Verurteilung Patricks, weil er seine Sexpartnerin aus Liebe freundlich behandelt und „nicht geliefert“ hat, um ein massives Drogenproblem an einem Eliteinternat für Mädchen und um eine schwule Zweckheirat.

Wenn kindlich niedliche Figuren zu derber Sprache greifen, mag man dies geschmacklos nennen, gleichzeitig ist es für junge Zusehende aber wegen der Tabubrüche und Veralberung von Political Correctness auch attraktiv und anschlussfähig. Serien wie Southpark oder Popetown sollen offenbar nochmal überboten werden, was die grenzüberschreitenden Inhalte angeht.
 



Freigegeben ab …
 

Der FSF lagen drei Episoden der 2. Staffel zur Prüfung vor. Der Prüfausschuss diskutierte kontrovers und kam zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einigkeit herrschte darüber, dass von einer gewaltbefürwortenden oder ‑fördernden Wirkung nicht auszugehen ist. Die Gewalttaten hier sind vielmehr ein Bild für die Verrohung der gezeigten Gesellschaft und werden nicht von Identifikationsfiguren verübt. Auch eine nachhaltige Ängstigung wurde ausgeschlossen. Die abstrakte Animationsgestaltung verhindert eine realistische Anmutung, zudem ist alles bis ins Absurde überzogen und veralbert.

Diskutiert wurden die derbe Sprache und die teils blutigen Gewaltspitzen. Zwei Stimmen kamen zu dem Ergebnis, dass ab 12‑Jährige im Hauptabendprogramm mit der provokativen Grundanlage bereits angemessen umgehen und das Ganze als völlig überzeichnete Persiflage erkennen können. Wenngleich die sprachliche Ebene abträglich im Sinne des guten Geschmacks ist, so wird sie jedoch nicht als entwicklungsbeeinträchtigend eingestuft. Die Figuren, die derbe Sprachbilder verwenden, sind nicht vorbildhaft. So ist es vor allem der König, eine äußerst negative Figur ohne jede Moral, der verbal ab und an zu Sexismen greift. Sarkasmus und schwarzer Humor können zudem von der Altersgruppe im Hauptabendprogramm bereits erkannt und zur genregemäßen Einordnung genutzt werden.

Auffällig ist auch, dass Protagonist Patrick sich nicht derartig äußert und als positive Identifikationsfigur seine absurd durchgedrehte, gewaltgeprägte und verrohte Umwelt allein durch seine freundliche Art spiegelt und konterkariert. Insofern liefert diese Figur auch Orientierung. Alkoholmissbrauch wird ebenfalls durchweg von negativen Figuren begangen, das Drogenproblem an der Schule an keiner Stelle verharmlost oder beschönigt. Ansonsten herrscht ein klamaukig überzeichneter Grundton vor, der zwar provoziert, aber ohne nachhaltig beeinträchtigende Wirkung auf die Altersgruppe verhallt.

Die Serie kann von ab 12‑Jährigen als völlig überzeichneter, nicht ernst zu nehmender Klamauk erkannt und verarbeitet werden. Eine Übertragungsgefahr auf das Verhalten der abzustellenden Altersgruppe oder Übernahme von problematischen Verhaltensmustern und diskriminierenden Sprechweisen wurden mehrheitlich nicht angenommen. Allerdings wurden zwei Schnittauflagen an sexualisierten Stellen verhängt, die für 12‑Jährige als entwicklungsbeeinträchtigend bewertet wurden.

Eine Stimme vermutete, dass die satirische Überzeichnung noch nicht von allen Vertreter:innen der Altersgruppe ab 12 Jahren hinreichend erkannt werden kann, und stimmte für eine Freigabe für das Spätabendprogramm. Erst ab 16‑Jährige seien in ihrer Werteorientierung ausreichend gefestigt, um das Gesehene angemessen zu verarbeiten.

Eine weitergehende Freigabe für das Tagesprogramm ab 12 Jahren wurde im Hinblick auf das Wohl jüngerer Kinder nicht als möglich erachtet. Gerade weil der kindliche Look die falsche Rezeptionsbotschaft vorgibt, wurde entwicklungsbeeinträchtigendes Potenzial angenommen.
 

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

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Sendezeiten und Altersfreigaben