Sex sells

Die Comedy-Serie „Minx“ bei RTL+

Jana Papenbroock

Jana Papenbroock studierte Film an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Neben ihrer freien Prüftätigkeit für die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) arbeitet sie als Dokumentarfilmemacherin.

Programm Minx
 Comedy, USA 2022
SenderRTL+, ab 15.09.2022

Online seit 06.10.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/sex-sells-beitrag-1124/

 

 

Minx ist eine neue HBO-Comedy-Serie aus der Feder von Ellen Rapoport, bei der vornehmlich feministische Filmemacherinnen wie Carrie Brownstein (bekannt durch Portlandia und ihre Band Sleater-Kinney), Rachel Lee Goldenberg und Natalia Leite Regie führten.

Die Prämisse ist zunächst unverfänglich: In den USA der 1970er-Jahre will eine junge, bürgerliche Feministin, Joyce Prigger, ein neues radikales Magazin auf den Markt bringen: Das Matriarchat erwacht. Als keiner der Upper-Class-Verleger, die allesamt reaktionäre Vorstellungen von der Welt und Rolle der Frau vertreten, ihr politisches Magazin publizieren will, kommt ein Erotikheftverleger, Doug Renetti, auf sie zu, der ihr ein Angebot macht. Er möchte Joyces feministische „Medizin“ mit seiner „Erdnussbutter“ ummantelt verkaufen: Ein feministisches Erotikheft, worin Frauen auf ihre Kosten kommen und vor allem als Konsumentinnen auf einem expandierenden Markt (ganz im Eigeninteresse des Unternehmers) ernst genommen werden sollten. 

Doug, der ein Selfmademan aus der Arbeiterschicht ist, konfrontiert Joyce mit ihren bürgerlichen Vorurteilen gegenüber der Erotikindustrie und Sexarbeit. In seiner Redaktion arbeiten alles andere als heteronormative alte weiße Männer: Ein schwuler, empathischer Fotograf of color, der seine Miete zahlen können will, eine sympathische Erotikdarstellerin ohne Zugang zum bürgerlichen Bildungskanon, die sich für Klassenkampf interessiert, vor allem aber eine solidarische Gemeinschaft, die in der repressiven Gesellschaftsordnung der 1970er-Jahre zu überleben und, noch mehr, aufzusteigen versucht und sich nicht zu fein dazu ist, (sich) dafür zu verkaufen, erwerben bei Doug ihr Brot. Doug ist realistisch, Joyce idealistisch, durch ihn wird sie vom Kopf auf die nackten, primären Geschlechtsmerkmale gestellt, die ihre progressiven Ideen auf den Markt tragen sollen. 

Joyce findet sukzessive heraus, dass nicht die „Schmuddelblatt“-Klientel rückständig und sexistisch ist, sondern das weiße Establishment, das sich hinter seiner vorgehaltenen scheinheiligen Moral übelster sexueller Ausbeutung bedient und seine Macht durch strukturelle Gewalt erhält.
 

Trailer Minx (STARZ, 31.03.2023)



In ihrem neuen Heft „Minx – A New Magazine for the Modern Feminist“ sind neben Artikel über Vergewaltigung in der Ehe, die Ausbeutung von Müttern durch unbezahlte Betreuungs‑, Pflege- und Hausarbeit und die Enttabuisierung femininer Lust und Masturbation auch und recht prominent nackte Penisse zu sehen. Die frontale Ansicht unterschiedlicher Penisse in Großaufnahme bereitet selbst für heutige Sehgewohnheiten noch immer Kopfzerbrechen. Lässt sich die historisch erfolgreiche Objektivierung des weiblichen Körpers auf das männliche Geschlecht übertragen? Ist ein Penis in Nahaufnahme sexy, komisch oder doch aufdringlich im Falle einer darzustellenden Erektion, die selbst für Dougs liberale Redaktion „too much“ ist?

Die Frage danach, was Frauen wirklich anmacht, versucht die neue Allianz aus weißem bildungsbürgerlichen Gloria-Steinem-geprägten Feminismus von Joyce und dem Klassenkampf der heterogenen Erotikindustrie-Underdogs zu stellen. Doug folgt dabei der Maxime des Pragmatismus: Sex sells, also können bewährte Geschäftsmodelle auch Gleichstellung als Kommodität voranbringen. Joyce geht es um mehr als reine Vermarktung, aber sie lernt, dass die kulturelle Revolution nicht durch eine einseitige, didaktische Befreiungsbewegung „von oben“ gelingen kann, sondern erst durch soziale Inklusion und einen Dialog mit den „Unterdrückten“ glaubhaft wird. Im Kampf Seite an Seite, stürzt Joyce zwar nicht das Patriarchat, revolutioniert aber ihre Beziehung zu ihren Privilegien und zu anderen teils unerwarteten Feminist:innen, die davon weitaus weniger haben. 
 


Freigegeben ab …
 

Die humorvolle, nicht kindaffine und dialoglastige Erzählweise, das realitätsferne Setting in den USA der 1970er-Jahre sowie das Fehlen kindaffiner Identifikationsfiguren wirken auf ab 12‑Jährige distanzierend. Inhaltlich wirkt die Thematik um eine Gründung eines feministischen Magazins in den 1970ern, interpersonelle Erwachsenenkonflikte und Emanzipationsbestrebungen zwischen Forderungen nach kommerzieller Teilhabe und politischer Gleichstellung wenig anschlussfähig für 12‑Jährige und junge Jugendliche. Die Grundatmosphäre ist hell, von teils skurril inszenierten Geschlechterverhältnissen sowie den sexistischen Hürden, die Joyce in ihrer Karriere in den Weg gestellt werden, geprägt.

Die geprüften Folgen wurden antragsgemäß für das Hauptabendprogramm, verbunden mit einer Altersfreigabe ab 12 Jahren freigegeben. Der aufklärerische Impetus kontextualisiert die kontrovers diskutierten Nahaufnahmen männlicher Geschlechtsteile, u. a. auch im erigierten Zustand. Die Darstellung eines erigierten männlichen Geschlechtsteils wurde von einer Ausschussminderheit, die für eine Kürzung votierte, als sexuell konfrontativ und unter Umständen für sensible 12‑Jährige, die in der sexuellen Selbstfindungsphase befindlich sind, als überfordernd gewertet. Die Mehrheit hingegen konnte keinen voyeuristischen Kontext der Aufnahmen feststellen und wertete die Inszenierung nicht als sexuell, sondern parodistisch und höchstens kurzzeitig irritierend, ohne nachhaltig ängstigende oder sozialethisch desorientierende Wirkmacht, zumal in der Szene selbst eine kritische Einordnung der expliziten Darstellung erfolgt.

Bitte beachten Sie:
Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

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Sendezeiten und Altersfreigaben

Hinweis:
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauer:innen mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. In dem Fall gelten nicht die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1§ 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.

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Jugendschutz bei Streamingdiensten