Urteile (Ausg. 86)

Redaktion Recht

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 4/2018 (Ausgabe 86), S. 110-110

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Facebooks virtuelles Hausrecht versus Meinungsfreiheit seiner User

Das Oberlandesgericht (OLG) München beschloss am 27. August 2018, dass das soziale Netzwerk beim Löschen von Kommentaren der Meinungsfreiheit seiner Nutzerinnen und Nutzer keine engeren Grenzen setzen dürfe, als dies staatliche Stellen dürften. Ausgangspunkt des Rechtsstreits: die Löschung einer umstrittenen Äußerung der AfD-Politikerin Heike Themel. Im Zuge einer auf Facebook geführten Debatte über österreichische Grenzkontrollen war die Politikerin als „Nazischlampe“ bezeichnet worden. Ihren Konter, ein Wilhelm-Busch-Zitat („Ich kann mich argumentativ leider nicht mehr mit Ihnen messen. Sie sind unbewaffnet und das wäre nicht besonders fair von mir.“), löschte das soziale Netzwerk unter Verweis auf seine Gemeinschaftsstandards. Dies sei nicht rechtens, entschied das OLG, unter Berücksichtigung der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte* – insbesondere der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG sei es nicht vereinbar, dass Facebook „gestützt auf ‚ein virtuelles Hausrecht‘ […] den Beitrag eines Nutzers […] auch dann löschen dürfte, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsfreiheit nicht überschreitet (Beschl. v. 27.08.2018, Az. 18 W 1294/18)“. Die Löschung von Kommentaren könne nicht in das freie Belieben des Netzwerkes gestellt werden. Eine Sprecherin von Facebook bekundete, dass ihnen die Verfügung noch nicht vorliege. Sie legte jedoch bereits die Sichtweise des Unternehmens dar: Den weltweit miteinander vernetzten Nutzerinnen und Nutzern solle es ermöglicht werden, sich auszutauschen und Inhalte zu teilen; dies dürfe nicht auf Kosten der Sicherheit und des Wohlergehens anderer erfolgen.

Anmerkung:

* Von einer Drittwirkung bei Grundrechten spricht man, wenn sie ihre Schutzwirkung nicht nur im Verhältnis zwischen Bürger und Staat, sondern auch im Verhältnis zwischen Bürger und Bürger entfalten. Die mittelbare Drittwirkung tritt immer dann ein, wenn die Anwendung der Grundrechte nicht unmittelbar zwischen den Bürgern stattfindet, jedwede zu treffende Entscheidung aber im Lichte der Grundrechte betrachtet werden muss.

OLG München zur Meinungsfreiheit auf Facebook: Wenn das „virtuelle Hausrecht“ an seine Grenzen stößt. In: Legal Tribune Online, 06.09.2018 (letzter Zugriff: 19.09.2018)
 



Kindeswohlgefährdung durch Mediennutzung?

Über diese Fragestellung hatte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main in einem Sorgerechtsstreit zu entscheiden. Zuvor, in erster Instanz, trat im Rahmen der Kindesanhörung zutage, dass die 8-jährige Tochter freien Zugang zum Internet über Geräte der Mutter hatte und ein eigenes Smartphone besaß. Das zuständige Familiengericht übertrug das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter, gab ihr jedoch zugleich feste Regeln hinsichtlich der Nutzung der im Haushalt verfügbaren Medien auf. So sollte die Mutter insbesondere verbindliche Nutzungszeiten festlegen, kindgerechte Inhalte finden und das Gericht über diese Reglementierungen informieren. Es untersagte zudem, dass dem Kind ein eigenes Smartphone zur Verfügung gestellt werde.

Gegen diese getroffene Aufenthaltsbestimmung legte der Vater Beschwerde ein. Der Verfahrensbeistand der Tochter sowie die Kindesmutter schlossen sich dieser an und begehrten die Aufhebung der Auflagen zur Mediennutzung.

So gelangte der Fall an die nächsthöhere Instanz: Das OLG Frankfurt hob die erteilten Auflagen mit der Begründung wieder auf, dass diese in unberechtigter Weise in die grundrechtlich geschützten Elternrechte der Kindesmutter eingriffen (§§ 1666, 1666a BGB). Danach dürften Maßnahmen nur dann erlassen werden, wenn „das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird. Es muss positiv festgestellt werden, dass bei weiterer Entwicklung der vorliegenden Umstände der Eintritt eines Schadensnachteils des Kindes mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist, die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts rechtfertigt eine eingreifende Maßnahme nicht.“

Und diese konkrete Gefährdung durch die Mediennutzung konnte das Gericht im vorliegenden Fall nicht feststellen. Allgemeine Risiken der Nutzung smarter Technologien durch Minderjährige würden jedoch per se nicht eine hinreichend konkrete Kindeswohlgefährdung begründen. Sie seien vielmehr mit anderen Gefahren etwa durch ausgedehnten Fernsehkonsum oder ausschließliche Ernährung mit Junkfood vergleichbar. Das Gericht wies schließlich darauf hin, dass die Nutzung digitaler Medien durch Minderjährige pädagogisch begleitet werden müsse, dabei ergäben sich jedoch individuelle Spielräume der Eltern, staatliches Eingreifen sei subsidiär.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 15.06.2018, Az.: 2 UF 41/18