Von der Notwendigkeit rassismuskritischer Perspektiven

Bericht von der FSF-Jahrestagung 2024

Matthias Struch

Matthias Struch studierte Kunstgeschichte und Neuere Geschichte. Er ist Hauptamtlicher Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. und Sammlungsleiter im Deutschen Historischen Museum.

Bei der diesjährigen FSF-Jahrestagung am 6. Juni in Berlin standen rassistische und diskriminierende Inhalte in Film und Fernsehen im Fokus. Lisa Rüther und Gülgün Teyhani vom Anti-Rassismus Informations-Centrum in Duisburg (ARIC-NRW e.V.) brachten wichtige Impulse in die Diskussion ein.

Online seit 24.06.2024: https://mediendiskurs.online/beitrag/von-der-notwendigkeit-rassismuskritischer-perspektiven-beitrag-772/

 

 

Die Film- und Fernsehgeschichte ist bis in ihre Anfänge hinein voll von rassistischen und anderen diffamierenden und diskriminierenden Darstellungen, voll von N- und Z-Wörtern, Zuschreibungen und Rollenbildern. Doch auch in zeitgenössischeren Produktionen irrlichtern sie herum oder treten massiv hervor wie beispielsweise 2021 in Die letzte Instanz, einem früheren WDR-Talkformat, in dem sich fünf der deutschen Mehrheitsgesellschaft angehörenden Medienmenschen ohne Rassismus- und Diskriminierungserfahrung über Rassismus und Diskriminierung unterhielten und sich auch das Z-Schnitzel nicht nehmen lassen wollten; nicht nur für aufgeregte Menschen wie mich eine Art Offenbarungseid.

Für den Kinder- und Jugendmedienschutz sind Rassismus, Diskriminierung, Diffamierung in medialen Darstellungen ein grundsätzliches Problem. Ihre Relevanz hat sich zwar durchaus in Prüfordnungen und Richtlinien niedergeschlagen, dennoch scheint es fast überfällig, dass sich die FSF in einer Prüfer:innenfortbildung damit intensiver befasst.
 

Lisa Rüther und Gülgün Teyhani vom Anti-Rassismus Informations-Centrum (ARIC-NRW e.V.)


 

Der Prüfer:innenstamm der FSF ist hinsichtlich bestimmter Aspekte sicherlich divers aufgestellt – Alter, Geschlecht, soziale Herkunft –, unter anderen Gesichtspunkten wie religiöse und kulturelle Vielfalt lässt sich Nachholbedarf feststellen. Es gibt unter den Prüferinnen und Prüfern nur wenige mit Migrationshintergrund, Afrodeutsche oder Sinti:zze und Rom:nja sucht man vergeblich in den Ausschüssen. Dies ist ein Problem. Rassistische und anderweitig diskriminierende Inhalte zu erkennen und damit einhergehende Wirkungsvermutungen anzustellen und zu verargumentieren, gehören zum Arbeitsauftrag und -alltag der FSF, was auch für alle anderen Indikatoren für beeinträchtigende Wirkungen gilt. Dass es hier zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen kann, ist dem Diskurs an sich geschuldet. Doch es gibt Unterschiede in der Wirkungsvermutung, die mit Wirklichkeitserfahrung zu tun haben. Ist Menschen, deren Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen gegen Null gehen, eine angemessene Einschätzung und Bewertung möglich?

Einen ersten größeren Input zum Thema holte sich die FSF auf der Jahrestagung bei Lisa Rüther und Gülgün Teyhani vom Anti-Rassismus Informations-Centrum in Duisburg (ARIC-NRW e.V.). ARIC berät von Diskriminierung und Rassismus Betroffene und unterstützt Menschen und Initiativen in ihrer Arbeit gegen Diskriminierung und Rassismus mit dem Ziel,

Maßnahmen und Regelungen zur Gleichstellung gegen rassistische Diskriminierung in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft zu etablieren“ (aric-nrw.de).

Der instruktive Input erfolgte in Teilen partizipativ: Die Zuhörenden sollten – quasi als „Diskriminierungsbarometer“ – den rassistischen und diskriminierenden Gehalt/Inhalt verschiedener Situationen und Aussagen bewerten, was voraussetzt, sie als solche wahrzunehmen. Eine wesentliche Grundlage im Verständnis von Rassismus und Diskriminierung ist für ARIC neben wissenschaftlichen Theorien die Perspektive von Betroffenen. Nicht zuletzt daraus resultiert auch ein weit gefasster, aber logischer Begriff von Diskriminierung, der von Herkunft und Nationalität über Hautfarbe, äußerliche Erscheinung bis zu sozialer Herkunft, Familienstand oder Lebensalter auf verschiedene tatsächliche oder zugeschriebene Merkmale zielt. Auf dieser Kategorisierung aufbauend und der Wahrnehmung des:der Anderen als Andere:r führt der Weg über Stereotypisierung, Vorurteilsbildung und Verhaltensorientierung hin zur Diskiminierung in verschiedenen Varianten und Wirkungsräumen.

Als eine wesentliche Grundlage für die Ausbildung und Etablierung von Diskriminierung, aber auch als deren Folge sind gesellschaftliche oder soziale Machtverhältnisse und Ungleichheiten anzusehen, die gleichzeitig in Wechselwirkung stehen und damit die Systeme und Strukturen, die sie ermöglichen, funktionsfähig halten. Rassismus wiederum geht noch weiter und ist in seinen Auswirkungen totalitärer. Als ideologisches Konstrukt stellt er Gruppen von Menschen über andere und deren gleichwertige Existenzberechtigung infrage und legitimiert Machtverhältnisse, was zur Folge hat, dass gesellschaftliche „Teilhabe oder die Ausübung von Menschenrechten und Grundfreiheiten […] verhindert, limitiert oder verweigert werden“ (ARIC-Arbeitsdefinition zu Rassismus). Vor diesem Hintergrund beschreiben Rüther und Teyhani die Auswirkungen wiederkehrender Diskriminierungserfahrungen für davon Betroffene und plädieren für eine deutlich stärkere Sensibilisierung bei der Wahrnehmung entsprechender Inhalte und eine deutlich stärkere Berücksichtigung im Rahmen der Prüfpraxis.
 


Als eine wesentliche Grundlage für die Ausbildung und Etablierung von Diskriminierung, aber auch als deren Folge sind gesellschaftliche oder soziale Machtverhältnisse und Ungleichheiten anzusehen, die gleichzeitig in Wechselwirkung stehen und damit die Systeme und Strukturen, die sie ermöglichen, funktionsfähig halten. Rassismus wiederum geht noch weiter und ist in seinen Auswirkungen totalitärer.“



Mit den neugewonnenen Erkenntnissen aus dem ARIC-Input ging es für die Anwesenden in das bei FSF-Prüfer:innenfortbildungen bewährte Format der Diskussion von Medienbeispielen, in denen rassistische Darstellungen, Stereotype und Zuschreibungen offenkundig präsentiert oder aber diskursiv problematisiert wurden.

Die Diskussionen führten zu einer Vielzahl von Bewertungen und daraus resultierenden „Prüfentscheidungen“, die von Tagesprogramm bis Spätabendprogramm reichten, teilweise unter Schnittauflagen oder mit Vorschlägen für Disclaimer und Triggerwarnungen bei lediglich geschmacklosen oder unangemessenen Inhalten. Diese Ergebnisse kommentierten die beiden Referentinnen mit einer deutlichen Positionierung, die eine stärkere Sensibilisierung forderte – insbesondere zum Schutz der von Rassismus und Diskriminierung Betroffenen. Neben jugendschutzrelevanten Gründen, wie der Vermutung einer sozialethisch-desorientierenden Wirkung durch diskriminierende Inhalte, können manche von ihnen auch retraumatisierend wirken. Vor diesem Hintergrund gäbe es keine Legitimation für ihre Darstellung oder Ausstrahlung.

Ob diese entschieden-rigorose Position in irgendeiner Form und auch dauerhaft Eingang in den Kosmos des Kinder- und Jugendmedienschutzes findet, bleibt abzuwarten. Die Diskussion und Kommentierungen zu einzelnen Aspekten zeigen aber auch, dass der Weg der Bewusstseinswerdung möglicherweise noch ein längerer sein könnte. Es gibt also einiges zu tun, bei den Filmen und Formaten, aber auch für die FSF und ihre Prüferinnen und Prüfer.

 

Literatur

aric-nrw.de: Über ARIC-NRW e. V. Abrufbar unter: www.aric-nrw.de (letzter Zugriff: 20.06.2024)