Was macht Zombies so attraktiv?

Die Serie THE WALKING DEAD und ihre Wirkung

Birgit Mühl

Wer zufällig und unvorbereitet in eine Folge der Serie The Walking Dead schaltet, könnte von der dargestellten Gewalt schockiert werden. Vor allem wenn man den Zusammenhang nicht kennt bzw. versteht, ist das visuelle Gewaltpotenzial dieser durchaus hochwertig produzierten Serie enorm groß. Umso erstaunlicher ist es, dass die Serie auch bei Studenten äußerst beliebt ist. Was bringt ethisch stabile, intelligente junge Menschen dazu, sich genüsslich den Überlebenskampf zwischen Zombies und dem Rest der Menschheit anzuschauen? Birgit Mühl, Absolventin am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, hat im Rahmen ihrer Masterarbeit hierzu eine wissenschaftliche Wirkungsstudie durchgeführt. tv diskurs sprach mit ihr.

Online seit 29.04.2019: https://mediendiskurs.online/beitrag/was-macht-zombies-so-attraktiv/

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Können Sie kurz beschreiben, worum es in The Walking Dead geht?

In der Serie geht es um ein apokalyptisches Szenario, in dem Zombies die Weltherrschaft übernommen haben. Übliche gesellschaftliche Ordnungsstrukturen gibt es nicht mehr, die Hauptaktivität der Menschen besteht darin, vor den Zombies zu fliehen. Die Handlung begleitet eine Gruppe von Protagonisten, die versucht, in dieser Welt irgendwie zu überleben und dabei das Menschliche nicht zu verlieren. Ich denke, das Attraktive für junge Menschen ist, dass es sich um ganz unterschiedliche Charaktere in unterschiedlichen Altersgruppen handelt, sodass sich der Zuschauer immer mit irgendjemanden von ihnen identifizieren kann. Es herrscht eine indifferente Moral: Auf der einen Seite gibt es zwar die absolut Bösen, repräsentiert durch die Zombies, die man bekämpfen muss. Auf der anderen Seite haben sich verschiedene Menschen zu Gruppen zusammengeschlossen, die um ihr Überleben kämpfen, nicht nur gegen die Zombies, sondern auch gegen andere Menschen. Dabei ist nicht ganz klar, wer zu den „Guten“ und wer zu den „Bösen“ gehört. Die Figuren in der Serie sind vielschichtig gezeichnet, sie bekämpfen sich gegenseitig und setzen brutale Gewalt ein, um ihre Interessen durchzusetzen. Trotzdem gibt es Werte wie Zusammenhalt und Freundschaft. Dieser moralische Graubereich macht auch die Serie so spannend, weil es zum Nachdenken anregt: Wie würden wir in diesem Kampf um die verbliebenen Ressourcen agieren? Es wird ja nichts Neues mehr produziert. Und jede Ernte von Nahrungsmitteln auf freiem Feld wird zur Gefahr, weil die Zombies jederzeit angreifen können.
 


Kann man darin vielleicht eine Art symbolische Repräsentation von Ängsten und Visionen sehen, die wir beispielsweise in Bezug auf die katastrophalen Folgen des Klimawandels haben? Oder für unsere Ratlosigkeit, die wir empfinden, wenn wir hören, dass wir im Jahr zweimal so viele Ressourcen verbrauchen, wie sie die Erde in einem Jahr zur Verfügung stellt? Geht es also um eine Beschäftigung mit der Apokalypse?

Das kann durchaus sein. Die Zombies werden ja immer wieder als verschiedene Symbole oder Metaphern verwendet. Natürlich, unsere Erde verfügt nur über begrenzte Ressourcen. Und wenn wir immer mehr werden und diesen Weg der Verschwendung fortführen, wird es irgendwann zu wenig für uns alle sein. Und dann wird unser Leben vielleicht zu einem Kampf um Ressourcen.

Der Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe Gunnar Heinsohn sieht die Ursachen der zahlreichen Fluchtbewegungen nicht nur in Kriegen, sondern auch in den zunehmenden Umweltkatastrophen in Afrika, die zu Hungersnöten führen. Er sieht in der augenblicklichen Flüchtlingssituation erst den Anfang und vermutet, dass der Flüchtlingsstrom derart zunehmen wird, dass er nicht mehr aufzuhalten sein wird. Ist das vielleicht so eine apokalyptische Angst?

Ich denke, dass sich der Klimawandel und damit einhergehende Umweltkatastrophen noch sehr stark auf Fluchtbewegungen auswirken werden. Wenn wir nicht gemeinsam an Lösungen arbeiten, könnte das tatsächlich unsere Gesellschaft verändern. Ob das so drastisch wie bei The Walking Dead sein wird, wage ich zu bezweifeln. Die Angst vor der Apokalypse, also der Kampf mit dem Ziel zu überleben, ist das eigentliche Thema der Serie.

Es gibt einige Szenen, in denen Menschen grausam und gefühllos abgeschlachtet werden: Ihnen werden die Kehlen durchgeschnitten, nachdem man ihnen den Kopf mit einem Baseballschläger zertrümmert hat. Das alles ist detailliert zu sehen. Der Vorwurf: In dieser Massierung könnte die gezeigte Gewalt zu einer Verrohung junger Zuschauer führen, zu einer Verharmlosung oder gar Verherrlichung von Gewalt beitragen, denn Gewalt wird zur täglichen Normalität. War dieser Vorwurf für Sie die Motivation, sich näher mit der Wirkung der Serie zu beschäftigen?

Ich bin selbst ein Fan der Serie. Das war die größte Motivation für die Untersuchung ihrer Wirkung. Verkürzt wird ja oft angenommen, dass Gewaltdarstellungen die Gewaltbereitschaft bei den Zuschauern verstärken. Das war für mich schon deshalb unverständlich, weil sehr viele Forschungsergebnisse genau das Gegenteil besagen: Gewaltdarstellungen führten bei den Zuschauern zu Aggressionshemmungen, je nach Kontext der Gewalt. Und deshalb wollte ich mir das genauer anschauen. Wie ist das jetzt bei The Walking Dead? Vor allem, weil man nicht immer sicher weiß, wer die Guten und wer die Bösen sind.

Wie haben Sie Ihre Studie durchgeführt?

Die Untersuchung lief in drei Phasen ab. Zunächst habe ich eine Präbefragung durchgeführt. Anhand eines Fragebogens wurden verschiedene Einstellungen und Haltungen abgefragt, um ein Persönlichkeitsprofil der Befragten zu erstellen. In erster Linie ging es darum, etwas über die Aggressions- und Gewaltbereitschaft der Probanden zu erfahren. Dann erfolgte die Filmsichtung, dabei wurden der Hautleitwiderstand und der Puls der Probanden gemessen. Direkt im Anschluss daran gab es die Postbefragung, wieder mit einem Fragebogen, in dem dann die gleichen Werte wie vor der Rezeption ermittelt wurden. Die Differenz zwischen der Prä- und der Postbefragung ist das, was wir als Wirkung des Films verstehen. Zusätzlich wurde im Postfragebogen abgefragt, wie sich die Probanden in die jeweiligen Figuren eingefühlt haben, wie sie generell die Figuren charakterisieren und beschreiben würden, ob sie als positiv oder negativ wahrgenommen wurden.

Haben Sie dabei eine ganze Folge der Serie gezeigt?

Nein. Weil ich drei verschiedene Gruppen miteinander vergleichen wollte, habe ich drei unterschiedliche Videos mit Zusammenschnitten aus mehreren Folgen von The Walking Dead erstellt. Ich habe dabei versucht, jeweils eine andere Geschichte zu erzählen, die Gewaltszenen waren aber immer die gleichen. Im ersten Film wurden die Protagonisten sowohl durch positive als auch durch negative Erklärungsszenen charakterisiert, und zwar so, wie die Serie sie darstellt. Sie sind teilweise sehr brutal und gewalttätig, aber man merkt trotzdem, dass sie noch Zusammenhalt und den Wert von Freundschaft und Mitmenschlichkeit anstreben. Im zweiten Film habe ich nur jene Erklärungsszenen verwendet, die die Charaktere negativ beschreiben, die positiven Erklärungsstücke wurden herausgeschnitten. Im dritten Film wurde dann die Geschichte mit denselben gewalthaltigen Handlungen, jedoch ohne die negativen Erklärungsszenen erzählt. Meine ursprüngliche These war, dass man einen Unterschied in der Wirkung feststellen müsste, je nachdem, ob die gewalttätigen Protagonisten positiv oder negativ charakterisiert wurden.

Und traf Ihre These zu?

Dieser Unterschied in der Wirkung ließ sich nicht feststellen. In einzelnen Punkten gab es Tendenzen, die man vielleicht dahin gehend hätte interpretieren können, aber das Spannende an den Ergebnissen ist, dass es sehr auf das Individuum ankommt, wie das Gewaltverhalten reflektiert und was daraus konstruiert wird. Wenn man das Gefühl hat, dass sich ein Happy End einstellt, reflektiert man das gesamte Geschehen ganz anders. Und auch die Wirkung ist anders als bei einem als negativ empfundenen Ende.

Also kann man das so interpretieren, dass es durchaus Menschen gibt, bei denen eine aggressions- oder gewaltsteigernde Wirkung entstehen könnte?

Das ist nicht auszuschließen, aber in meinen Ergebnissen finde ich sie nicht. Bei mir war durchgehend eine Gewaltreduktion als signifikante Reaktion festzustellen. Die Gewaltbereitschaft wurde reduziert und die Aggressionshemmung gesteigert. Dass es immer wieder Einzelfälle geben kann, bei denen das nicht so ist, ist natürlich durchaus möglich.

Das heißt, aufgrund Ihrer Ergebnisse wären das Ausnahmefälle?

Ja, ganz genau. Wer ohnehin gewaltorientiert ist, kann durch verschiedene Stimuli seine Aggressionsbereitschaft verstärken, das muss nicht The Walking Dead sein.

Wie viele Probanden haben Sie untersucht?

Ich habe 95 Probanden untersucht. Sie waren zwischen 19 und 36 Jahre alt, wobei eine relativ große Anzahl um 25 Jahre alt war, da die Studie bei uns am Institut durchgeführt wurde.

Kann es sein, dass man beispielsweise an einer Berufsschule andere Ergebnisse erhalten würde?

Es wäre auf jeden Fall interessant, sich das anzuschauen. Es kann durchaus sein, dass dabei andere Ergebnisse herauskämen, obwohl das angesichts der Eindeutigkeit meines Ergebnisses nicht sehr wahrscheinlich ist.

Im Jugendschutz gehen wir davon aus, dass bei der Wirkung die Kontextuierung von Gewalt eine Rolle spielt. Gewalt, die als erfolgreich und akzeptabel dargestellt wird, wenn es darum geht, Interessen durchzusetzen oder Konflikte zu lösen, trägt danach eher zu einem Anstieg der Gewalt bzw. zur Aggressionsbereitschaft bei. Wenn die Gewalt erfolglos bleibt und darüber hinaus negativ annotiert ist, wenn sie beispielsweise von extrem unsympathischen Personen ausgeübt wird, die beim Happy End bestraft oder getötet werden, vermuten wir eher eine Reduktion der Gewaltbereitschaft. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Leiden der Opfer gezeigt werden und wir uns mit diesen identifizieren. Durch Reduktion unseres Aggressionspotenzials wollen wir dann vermeiden, in eine solche Situation zu geraten. Vor diesem Hintergrund haben Sie wohl auch die Filme unterschiedlich geschnitten.

Genau so ist es. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass bei einem Film, in dem die Personen, die Gewalt ausüben, positiv oder gar nicht charakterisiert werden, einen aggressionssteigernden Effekt auf die Rezipienten haben. Das zeigte sich allerdings in unserer Untersuchung nicht. Bei allen drei Filmen konnte ich eine Reduzierung der Aggressions- und Gewaltbereitschaft feststellen. Man könnte dies dadurch erklären, dass die Charaktere von vornherein sehr ambivalent gezeichnet sind; auch in den Teilen, in denen sie eben Gewalt anwenden. Durch den Aufbau der Serie ist man ja dazu angehalten, die Protagonisten, die man die ganze Zeit sieht, als die Helden zu betrachten. Das wird durch den ganzen Aufbau der Handlung, durch die Schnitte, durch die Kameraführung zumindest nahegelegt. Und es ist sehr schwer, das künstlich so zu manipulieren, dass der Effekt, den ich gern untersucht hätte, wirklich herausgestellt werden kann. Da müsste man wahrscheinlich mit anderem Material arbeiten. Was ich betonen möchte: In den Szenen, die ich verwendet habe, wurden schon die negativen Auswirkungen von Gewalt gezeigt, sodass dadurch eine kritische Auseinandersetzung mit der dargestellten Gewalt stattgefunden hat. Man sieht die negativen Auswirkungen, man sieht die Brutalität und will diese ja dann im eigenen Leben nicht haben. Einige der Probanden kannten die Serie schon. Ich habe versucht herauszubekommen, ob es im Vergleich zu denen, die die Serie nicht kannten, unterschiedliche Effekte geben würde. Auch das konnte ich nicht feststellen. Also, auch wer die Serie schon kannte, erlebte durch das Ansehen aller drei Filme eher eine Reduzierung seiner Aggressions- und Gewaltbereitschaft. Der einzige Unterschied war, dass diejenigen, die die Serie bereits kannten, sich besser in die Story eindenken und die Handlung leichter nachvollziehen konnten. Aber von den Effekten her, die ich herausfinden wollte, ob es also eher eine Steigerung oder eine Hemmung der Aggressions- und Gewaltbereitschaft geben würde, zeigten sowohl die, die die Serie kannten, als auch die, die sie nicht kannten, eine Reduzierung ihrer Aggressionsbereitschaft.

Im Jugendschutzbereich wird die Serie je nach Folge mal ab 16, mal ab 18 Jahren freigegeben. Das hängt davon ab, wie detailliert die Brutalität gezeigt wird. In der Mehrheit liegen die Folgen bei einer Freigabe ab 16 Jahren. Würden Sie das aus Ihrer Sicht für adäquat halten?

Das kann ich so jetzt nicht beantworten. Die Szenen sind teilweise sehr schockierend. Aber ich glaube, dass es auch viele Erwachsene gibt, die damit ihre Probleme haben und sich die Serie nicht anschauen sollten. Das ist weniger eine Frage des Alters als der Fähigkeit, solche Inhalte symbolisch zu verarbeiten.

Es geht Ihrer Meinung nach also mehr darum, Menschen zu schützen, die dieses Gewaltniveau nicht gewohnt sind, weil sie sonst eher harmlose Filme schauen und von The Walking Dead schockiert werden könnten?

Ja. Das ist auch insofern plausibel, als von der Forschung her belegt ist: Wenn durch das Gesehene Angst ausgelöst wird, reflektiert man diese Angst so, dass man im eigenen Leben alles unternimmt, um Gewalt aus dem Weg zu gehen und solche Gewalterlebnisse zu vermeiden.

Birgit Mühl ist Absolventin der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien

Professor Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der tv diskurs.