Welchen Einfluss haben Individualisierung und Digitalisierung von AV-Angeboten auf die Inhalte?
Keine Frage, On-Demand-Technologien haben nicht nur den Alltag von Erwachsenen, sondern auch den von Kindern und Jugendlichen verändert. TV spielt nach wie vor eine zentrale Rolle im Medienverhalten in allen Zielgruppen, die crossmedialen Verknüpfungen zwischen Fernsehen und On-Demand werden aktuell und künftig noch weiter ausgebaut. Erfolgreiche und qualitativ hochwertige TV-Formate werden in den Mediatheken bzw. Video-on-Demand-Portalen der Sender oder anderen Onlineangeboten fortgesetzt oder starten dort.
Annette Kümmel, Senior Vice President Governmental Relations & Regulatory Affairs bei ProSiebenSat.1 Media SE
Vermutlich wird sich auch hier zeigen, was sich in der Mediengeschichte immer wieder gezeigt hat: Beide Aussagen stimmen. Das Angebot wird gleichzeitig einfacher und komplizierter, monotoner und vielfältiger, niveauärmer und niveauvoller. Spannend ist aber die Frage: Wer wird wie mit welchen Inhalten und mit welchen Zielen umgehen?
Dr. habil. Gerd Hallenberger, Medienwissenschaftler
Eine Ausdifferenzierung wird vor allem nach Nutzungsmodus und Endgerät erfolgen, z.B. mit verstärkter Verbreitung von Kurzforminhalten bei der mobilen Nutzung. Insgesamt wird damit die Vielfalt steigen, da auch lineare Kanäle stärker fragmentieren und Serien sowie Filme on demand häufiger genutzt werden.
Claus Grewenig, Leiter des Bereichs „Medienpolitik“ bei der Mediengruppe RTL Deutschland
Dass eine größere Vielzahl an Angeboten zu mehr Vielfalt und Qualität führt, halte ich nicht für zwingend. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner letzten Entscheidung zum Rundfunkbeitrag dargestellt, dass „die Mechanismen des Internets Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen eher begünstigen und neue Unsicherheiten hinsichtlich Glaubwürdigkeit von Quellen und Wertungen entstehen“. Ich denke, es wird beides geben und geben müssen, um die Wirkung der Medien für unsere Demokratie zu erhalten. Daher arbeiten wir in den Ländern daran, rechtliche Voraussetzungen zu schaffen, die es den sogenannten Qualitätsmedien ermöglichen, mit ihren Inhalten auch in der digitalen Welt bestehen zu können und wahrgenommen zu werden.
Heike Raab, Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa, für Medien und Digitales
Wenn das kulturelle Angebot in einem bestimmten Segment breiter wird, wirkt sich das nur sehr selten positiv auf Vielfalt und Qualität aus. Meist ist die neue Vielfalt nicht mehr als Vervielfältigung des Bestehenden oder von Erfolgsmustern (siehe den gegenwärtigen Serienhype im Fernsehen). Was aber nicht heißen soll, dass es mitunter nicht großartige Neuerungen geben kann, beispielsweise Podcasts.
Romain Kohn, Direktor der Unabhängigen luxemburgischen Behörde für audiovisuelle Medien (ALIA)
Trotz aller Individualisierung und Digitalisierung der Angebote wird es auch weiterhin einen Mainstream und Formate „mit Lagerfeuer-Charakter“ geben. Daneben wird es aber eine Vielzahl anderer Inhalte geben. Mittels künstlicher Intelligenz und Empfehlungssystemen werden diese Angebote und ihre Auswahl für den Einzelnen immer weiter auf die individuellen Nutzungssituationen und inhaltlichen Präferenzen zugeschnitten. Diese Entwicklung ist zunächst einmal positiv und kann Qualität und Vielfalt der Angebote weiter steigern. Entscheidend wird sein, dass die Vielfalt der AV-Angebote für den einzelnen Nutzer auffindbar bleibt bzw. unter den sich ändernden Vorzeichen ein chancengleicher Zugang der Anbieter und Angebote zu den Nutzern gewährleistet ist. Deshalb sind Plattformregulierung und Regulierung von Intermediären wie Facebook oder YouTube wahrscheinlich die wichtigsten Themen, die wir aktuell bei der Vielfaltssicherung haben.
Dr. Anja Zimmer, Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB)
Ich sehe eine immense Vielfalt. Gerade im Spielbereich gibt es mittlerweile auch viele kleinere Spieleentwickler (Indie-Entwickler), die es ohne die Digitalisierung in dieser Form gar nicht geben würde. Hier sehe ich ganz viel Kreativität, die letzten Endes zu mehr Vielfalt führt anstatt zu einer Simplifizierung von Inhalten.
Elisabeth Secker, Geschäftsführerin der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK)